Die Psychoanalyse, eine von dem Nervenarzt Sigmund Freud Ende des 19. Jahrhunderts in Wien begründete Disziplin der Humanwissenschaften, interessiert sich als Tiefenpsychologie für das individuelle, immer auch gesellschaftlich geprägte Unbewusste im Menschen.
Die psychoanalytische Untersuchung besteht in einer besonderen Form der Begegnung zwischen Menschen. Sie ist in erster Linie ein Gespräch, allerdings eines mit bestimmten Spielregeln, das sich von der gewöhnlichen Kommunikation unterscheidet.
Durch die psychoanalytische Grundregel wird der Analysand angeregt, alles, was er spürt, was er fühlt und was ihm einfällt - sei es ihm auch unangenehm, peinlich oder erscheine es ihm unangemessen und unwichtig - möglichst unausgewählt und unzensiert zu äußern. Der Psychoanalytiker versucht, diesen freien Assoziationen mit gleichschwebender Aufmerksamkeit zu begegnen; das bedeutet, dass nichts a priori bevorzugt, gewichtet oder bewertet wird.
Umgekehrt löst jeder Analysand eine Fülle innerer Bewegungen im Analytiker aus.
Als Widerstand werden all die unbewussten Kräfte und Abwehrmechanismen bezeichnet, die sich dem Bewusstwerden des Verdrängten entgegenstellen. Dementsprechend besteht die Aufgabe der Psychoanalyse darin, im «Kampf um die Erinnerung» (Alexander Mitscherlich) gegen unbewusste Widerstände die unbewussten lebensgeschichtlichen Sinn- und Bedeutungszusammenhänge im aktuellen Erleben und Verhalten erkennbar zu machen, zu rekonstruieren und zu deuten.
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Die psychoanalytische Theorie ist ein komplexes System von Hypothesen über die Funktionsweisen und die Entwicklung der Seele. Dabei geht es zwar stets um den Einzelnen, jedoch immer in seinem sozialen Kontext.
Durch ständige Wechselwirkungen mit klinischen Erfahrungen und unter Einbeziehung der Forschungsergebnisse von Nachbardisziplinen entwickeln sich die Denkmodelle der Psychoanalyse ununterbrochen weiter.
Deswegen ist es eigentlich auch unmöglich, von «der Psychoanalyse» zu sprechen. Der amerikanische Psychoanalytiker Pine hat kürzlich «vier Psychologien der Psychoanalyse» unterschieden: die Trieb- Psychologie, die Ich-Psychologie, die Selbst-Psychologie und die Objektbeziehungs-Psychologie.
Die topologischen und dynamischen Modelle Freuds
In einem ersten räumlichen, «topischen» Vorstellungsmodell unterschied Freud zwischen Bewusstem, Vorbewusstem und Unbewusstem. Während das Vorbewusste relativ leicht dem Bewusstsein zugänglich werden kann, setzt das eigentliche oder dynamisch Unbewusste dem Bewusstwerden Widerstand entgegen.
Die Funktionsweisen des Unbewussten werden als primärprozesshaft bezeichnet. Damit ist gemeint, dass die gewöhnlich gültigen Orientierungen in Raum und Zeit entfallen, Widersprüche unvermittelt nebeneinander existieren können, Teile für das Ganze stehen können, Verschiebungen vorkommen oder Komplexe verdichtet werden können.
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Das dynamische oder ökonomische Modell erfasst, dass im Seelenleben Kräfte und Antriebe am Werk sind (Bedürfnisse, Wünsche, Affekte, Empfindungen, Energien, Impulse), die bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Freud stellte das Lustprinzip (Streben nach Lust und Vermeiden von Unlust) dem Realitätsprinzip (Fähigkeit zum Aufschub von Befriedigung und Verzicht) gegenüber.
Das Struktur- oder Instanzenmodell
Im Struktur- oder Instanzenmodell werden drei seelische Bereiche voneinander abgegrenzt und in ihrer dynamischen Interaktion untersucht: das Ich, das Es und das Über-Ich (mit dem Ich-Ideal). Im Es werden neben angeborenen Anteilen insbesondere die Triebe, Bedürfnisse und Grundaffekte und das aus dem Bewusstsein Verdrängte lokalisiert.
Das Über-Ich umfaßt vor allem die während der Entwicklung verinnerlichten moralischen Forderungen, Vorschriften und Verbote der Mitwelt, während im Ich-Ideal die Gebote, Ideal- und Wertvorstellungen angesiedelt werden.
Das Über-Ich hat unter anderem die Funktionen des Gewissens und der Selbstbeobachtung (Freud), wirkt ich-unterstützend und haltgebend, aber auch als Richter, Kritiker und Zensor.
Unter genetischer Betrachtung (als Entwicklungspsychologie) untersucht die Psychoanalyse, wie in den verschiedenen Entwicklungsabschnitten psychosoziale Entwicklungsherausforderungen und Krisen durchlebt werden. Sie führen je nach ihrem geglückten oder missglückten Verlauf zu bestimmten Identitätsdimensionen (Erikson), zur Ich-Reife oder zu seelischen Erkrankungen.
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Soweit sich die psychoanalytische Perspektive mehr auf die Entwicklung des eigenen Selbst konzentriert, bekommen die Theorie des Narzissmus oder die Selbst-Psychologie grundlegende Wichtigkeit.
Sowohl in der Selbst-Psychologie als auch in der Objektbeziehungs- Psychologie sind die emotionale Einfühlung in den Patienten und die personale Resonanz des Psychotherapeuten besonders wichtig für die Behandlungstechnik.
Die Psychoanalyse sieht den lebendigen und gesunden Menschen als ein Wesen im Widerspruch an, von Geburt an ständig mit dem Bewältigen und Meistern von Entwicklungsherausforderungen und Konflikten befasst.
Die gesunde wie die kranke Persönlichkeit lässt sich im Rahmen des Strukturmodells durch das funktionale Verhältnis zwischen Ich, Es und Über-Ich und deren Beziehung zur Mitwelt näher bestimmen. Fehl- und Mangelentwicklungen des Ich und krankheitsbedingte unnötige Energieverschwendungen behindern seine Kontroll- und Steuerungsaufgaben.
Nach Freuds Tod erfolgte eine Erweiterung der psychoanalytischen Betrachtungsweise: Zunehmend wurde den strukturellen Deformationen innerhalb der Ich-Funktionen erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt, Deformationen also, welche das Ich bereits in allerfrühester Kindheit gar nicht erst zu einer angemessenen Entwicklung kommen lassen.
Die Ich-Psychologie war zwischen 1940 und 1980 die vorherrschende Richtung psychoanalytischen Denkens. Ich-Psychologie beschäftigt sich mit der Frage, wie es Menschen gelingt, sich an die Welt, in der sie leben, anzupassen.
Die psychoanalytische Methode soll helfen, die Dramatik im Erleben des jungen Kindes nachvollziehen zu können.
Abwehr ist ein dynamischer Vorgang, der das Bewusstsein vor den gefährlichen, konflikthaften, inneren wie auch äußeren Reizen schützen soll. Deshalb ist die psychoanalytische Konflikttheorie untrennbar mit dem psychoanalytischen Strukturmodell verbunden, welches diese drei Segmente beinhaltet: Das Es als Triebsystem, Ich und Über-Ich als Steuerungssysteme.
Ein differenziertes und auch in der diagnostischen Praxis anerkanntes Modell der unbewussten Konflikte wird in der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) beschrieben. Die OPD unterscheidet acht unbewusste Konflikttypen: Abhängigkeit vs. Autarkie, Selbstwert vs. Objektwert, Über-Ich- und Schuldkonflikte, Ödipal-sexuelle Konflikte usw.
In seinem Strukturmodell (auch Instanzenmodell) beschrieb Freud den immerwährenden Kampf zwischen zwei gegnerischen Instanzen der Persönlichkeit - dem Es und dem Über-Ich. Der dritte Aspekt des Selbst, das Ich, tritt in diesem Kampf als Vermittler auf.
Das Es repräsentiert die grundlegenden Triebe. Es handelt irrational, auf Impulse hin und drängt nach Ausdruck und unmittelbarer Befriedigung, ohne zu berücksichtigen, ob das Gewünschte realistisch und möglich, sozial wünschenswert und moralisch akzeptabel ist.
Das Über-Ich repräsentiert die Werte eines Individuums, einschliesslich der moralischen Einstellungen, die von der Gesellschaft gelernt wurden. Das Über-Ich entspricht in etwa der landläufigen Vorstellung von Gewissen. Es ist die innere Stimme des Sollens und des Nicht-Sollens.
Das Ich ist der realitätsgebundene Aspekt des Selbst, der den Konflikt zwischen den Impulsen des Es und den Anforderungen des Über-Ich schlichtet. Ein Teil der Aufgaben des Ich besteht darin, Handlungen auszuwählen, welche die Impulse des Es befriedigen, ohne unerwünschte Konsequenzen zu haben.
Das Ich ist jenes Funktionenbündel, das sich im Dienst des Austauschs mit den jeweils relevanten Umwelten herausbildet und selbst- wie objekterhaltend tätig ist. Einige sogenannte Ich-Funktionen sind z. B.: Wahrnehmen, Urteilen, Steuern, Antizipieren, Aufschieben.
Dynamisch Unbewusstes: Der mentalen Vergegenwärtigung und sprachlichen Reflexion dauerhaft durch Abwehrprozesse entzogen. Das Vorbewusste enthält jene psychischen Inhalte, welche zwar momentan im Bewusstsein nicht präsent sind, aber nahezu beliebig reproduziert und erinnert werden können.
Der Traum war für Freud «der Königsweg» zur Entdeckung des Unbewussten. Die in der Traumdeutung aufgedeckten Mechanismen finden sich in anderen Erscheinungsformen des Unbewussten wieder, z. B. in Fehlleistungen, Versehen, Versprechern etc.
Freud hat den Traum auch als «Hüter des Schlafes» bezeichnet: Das Ich setzt dabei Bedürfnissen und Ansprüchen, die sonst zum Erwachen führen würden, eine harmlose Wunscherfüllung entgegen, etwa wenn das Hungergefühl durch einen Traum beschwichtigt wird, in dem man etwas isst. Wenn allerdings der Drang zu gross wird, wacht der Schläfer auf.
Die Deutung von Träumen hat im psychoanalytischen Setting einen hohen Stellenwert, weil durch den Traum unbewusstes Material an die «Oberfläche» befördert und der Bearbeitung zugänglich gemacht wird.
Freud definierte zwei Arten des Trauminhalts, den manifesten und den latenten. Der manifeste Inhalt ist der bewusst erinnerte Traum, der nach dem Aufwachen mehr oder weniger genau erinnert wird. Der latente (versteckte) Inhalt wird nicht erinnert, sondern muss in seiner symbolischen Bedeutung erschlossen werden.
Abwehrmechanismen
Als Abwehr bezeichnet die Psychoanalyse jede psychische Aktivität, die darauf abzielt, psychischen Schmerz in all seinen möglichen Formen zu vermeiden. Die Abwehrmechanismen gehören zu den Funktionen des Ich und dienen der Wahrnehmung und Bewältigung der psychischen Realität.
Abwehrmechanismen sind kommunikative, mentale und physische Operationen, die der Spannungsregulierung dienen. Das Individuum unterdrückt die Wahrnehmung bedrohlicher oder verpönter Triebimpulse oder Affekte, die es gegenüber einem Objekt hat.
Verdrängung ist der psychische Prozess, der das Individuum davor schützt, extreme Angst oder Schuld zu empfinden, weil seine Impulse, Vorstellungen und Erinnerungen inakzeptabel sind und/oder weil ihr Ausdruck gefährlich wäre.
Der Vorgang der Verdrängung ist wie bei jedem Abwehrmechanismus als unbewusst zu bezeichnen, d.h. der Betreffende bemerkt nichts davon.
Er musste lange um deren wissenschaftliche Anerkennung kämpfen und entwickelte dabei auch ausgeprägte autoritäre, teilweise sogar fanatische Züge.
Freud hat seine Theorien im Laufe der Jahrzehnte allmählich entwickelt, einzelne Teile wieder verworfen, umgebaut und erweitert.
Die Annahme eines Ubw mit so weitreichenden Wirkungen versetzt dem Glauben des Rationalismus, dass der Mensch grundsätzlich vernünftig zu handeln weiss und mittels vernünftigem Handeln auch eine vernünftige Welt aufbauen kann, einen argen Stoss.
Freud ist im materialistischen Geist des 19. Jahrhunderts erzogen worden und diesem Denken weitgehend bis ans Lebensende treu geblieben. Er teilt insofern den typisch materialistischen Reduktionismus, der darin besteht, dass das Geistige auf das Psychische, das Psychische auf das Organische und das Organische auf das Mineralische zurückgeführt wird.
Es liegt im Wesen des Ubw, dass es als solches - direkt - nicht beobachtbar ist.
Dabei hat es sich sogar gezeigt, dass die neurotischen Symptome (z. B. hysterische Anfälle) eine Zeitlang verschwanden, wenn der Klient zuvor gewisse belastende Erlebnisse unter Einwirkung der Hypnose wiedererinnern und erzählen konnte.
Selbstverständlich sind Fehlleistungen nicht bloss im Bereiche des Schreibens, sondern bei allen gewohnheitsmässigen Handlungen möglich. So kann man sich verhören, versprechen, verlaufen, verfahren, verwählen, vergreifen, verschlafen, oder man kann etwas vergessen, verlegen oder (z. B. einen Zug oder einen Termin) verpassen.
Diese Freudsche Auffassung ist heute zum Gemeingut geworden.
Der psychoanalytisch gebildete Mensch hat es sich angewöhnt, eigenen Fehlleistungen nachzugehen, weil sich meist interessante Entdeckungen über Gegebenheiten des Ubw machen lassen.
Es gehört zur grundlegenden Vereinbarung zwischen dem Psychoanalytiker und dem Analysanden, dass dieser alles, was ihm irgendwie ins Bewusstsein kommt, ausspricht, mag es noch so peinlich, unmoralisch, unsinnig und kindisch erscheinen.
Wenn sich jemand zwangsweise täglich Dutzende von Malen die Hände seift, so spricht dieses neurotische Symptom eine recht deutliche Sprache: Der betreffende Mensch fühlt sich schuldig und möchte seine belastenden Schuldgefühle auf eine - allerdings unnütze - Weise beseitigen.
Freud bezeichnet die Traumdeutung als die ‘via regia’ (den königlichen Weg) zum Ubw.
Freud hat im Verlaufe seiner Entwicklung seine Theorie insofern umgebaut, als er nach den Instanzen fragte, welche für psychisches Geschehen verantwortlich sind, also: Wer bewirkt etwas? Er betrachtete das Seelenleben als einen aus Einzelteilen zusammengesetzten Apparat. Die Lehre vom psychischen Apparat ist eine der grundlegendsten Anschauungen der Psychoanalyse.
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