Daniel Küblböck und die Schattenseiten des Ruhms: Depressionen und die Folgen von Castingshows

Der Fall des ehemaligen DSDS-Stars Daniel Küblböck, der von einem Kreuzfahrtschiff verschwand, wirft ein Schlaglicht auf die möglichen psychischen Auswirkungen von Castingshows auf ihre Teilnehmer. Die Tragödie um Küblböck und die Reaktionen darauf lenken die Aufmerksamkeit auf ein Thema, über das bisher wenig bekannt ist.

Die Einschätzung von Dieter Bohlen

Ein «unheimlich lustiges Kerlchen» sei er gewesen, aber auch «unheimlich traurig und unheimlich depressiv». So beschrieb Dieter Bohlen seine Einschätzung zu Daniel Küblböck, einem ehemaligen Finalisten der Castingshow «Deutschland sucht den Superstar» (DSDS). Bohlen, der bereits 2002 als Juror in der Show sass, fiel Küblböck schon damals als schräger Typ auf.

Am Sonntag wurde bekannt, dass Küblböck bei Neufundland über die Reling eines Kreuzfahrtschiffs gestürzt ist, vermutlich mit Absicht, wie Passagiere gesehen haben wollen. Inzwischen haben die Rettungskräfte die Suche aufgegeben, während Daniel Küblböcks Familie «auf ein Wunder» hofft.

Castingshows und ihre psychischen Auswirkungen

Küblböcks Person und Bohlens Reaktion werfen ein Licht auf ein Thema, über das man wenig weiss: die möglichen psychischen Auswirkungen von Castingshows auf ihre Teilnehmer. Die Formate sind gerade bei jungen Zuschauern nach wie vor populär. DSDS ist in der 15. Staffel und mit fünf Millionen Zuschauern pro Sendung ein Flaggschiff der deutschen TV-Unterhaltung. Heidi Klums «Germany's Next Topmodel» gibt es seit 13 Jahren, die aktuelle Staffel ist mit zwei Millionen Zuschauern pro Folge die erfolgreichste seit 2013.

Während die Beliebtheit von Castingshows bei den Zuschauern vielfach ergründet wurde - Hauptmotive sind die Freude am Fremdschämen und Ablästern, aber auch die Erfolge und Misserfolge der Kandidaten -, ist die Teilnehmerperspektive unbekannt. Dass der erhoffte Karriereschub eine Illusion ist, darüber sind sich die meisten Teilnehmer im Klaren. Doch was macht die Erfahrung der Instant-Öffentlichkeit mit ihnen?

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Studie über die Erfahrungen ehemaliger Kandidaten

Maya Götz vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen in München hat in einer Studie von 2014 ehemalige Castingshow-Kandidaten befragt. Das Resultat: 45 Prozent der befragten Kandidaten beschreiben die Teilnahme positiv. Knapp ein Drittel blickt mit gemischten Gefühlen auf die Teilnahme zurück, und für ein Fünftel ist sie negativ belegt. 60 Prozent der männlichen Teilnehmer beschreiben die Erfahrung als positiv, bei den Frauen sind es 30 Prozent.

Weil Castingshow nicht gleich Castingshow ist, hat Götz die verschiedenen Formate auf dem Markt untersucht. Die meisten negativen Erfahrungen fallen auf die Shows DSDS und «Popstars». Gemischt oder rein negativ beschreiben die Teilnehmer von «Das Supertalent» ihre Erlebnisse. Nur positiv äussern sich die Teilnehmer des Formats «Star Search». Unter jenen, die gute Erinnerungen an ihre Teilnahme haben, seien vor allem Leute, die von der Produktionsfirma eingeladen wurden, weil sie bereits im Musikbusiness tätig waren, so Götz im Gespräch.

Auffällig ist, wie wenig Kritik ehemalige DSDS-Kandidaten am umstrittenen Format öffentlich äussern. Es scheint, als wolle sich niemand seine Chancen im Musikgeschäft verbauen. Auch die bekanntesten drei Schweizer DSDS-Teilnehmer - Beatrice Egli, Luca Hänni, Jesse Ritch - wollten auf Anfrage nicht über ihre Erfahrungen sprechen.

Anders der Basler Baschi, dem es als einem der wenigen gelang, nach seiner «Musicstar»-Zeit eine langfristige Musikerkarriere aufzubauen. «Das Einzige, was wir unter Kontrolle hatten, waren die drei Minuten am Sonntagabend, als wir auf der Bühne standen», sagt er. Ansonsten sei man als Kandidat Fernsehen und Medien ausgeliefert. «Die machen mit dir, was sie wollen.» Nur sehr geerdete Menschen würden dies schadlos überstehen.

DSDS-Finalistin Annemarie Eilfeld, 2009 als «sexy Zicke» inszeniert und von Dieter Bohlen als «Everybody's Arschloch» bezeichnet, nahm an Götz' Studie teil: «Ich war 18 Jahre alt und kannte diese Art TV-Produktion nicht. Ich vertraute immer allen. Im Nachhinein war das naiv und hat mir und meiner Familie sehr viel Schmerz bereitet.» Eine andere DSDS-Kandidatin gab an: «Ich war damals erst 16 Jahre alt und konnte damit nicht umgehen, bekam später Depressionen und bekomme bis heute mein Leben nicht in den Griff.» Für Maya Götz typische Beispiele für die negativen Langzeitfolgen einer Castingshow. «Jeder Zuschauer hat eine Meinung von einem, weil Fernsehen ja scheinbar die Realität zeigt.» Tatsächlich aber geben die Teilnehmer - je nach Sendeformat - ihre Rechte weitgehend ab, haben keinen Einfluss auf das Drehbuch. Sie sind für die Produzenten menschliches Material.

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Zusammenfassung der Studienergebnisse

Bewertung der Teilnahme Prozentanteil
Positiv 45%
Gemischte Gefühle ca. 30%
Negativ 20%

Die Rolle der Inszenierung

Laut Götz ist vor allem die Rückkehr ins normale soziale Umfeld problematisch, weil die Kandidaten mit dem Bild leben müssen, das von der Öffentlichkeit als echt und dokumentarisch eingeschätzt wurde. Besonders Kandidaten, die als «Freaks» inszeniert wurden, leiden darunter. Denn ihre TV-Persönlichkeit basierte darauf, wie falsch sie in ihrer Selbsteinschätzung lagen. Als Paradiesvögel durften sie für Unterhaltung sorgen - unheimlich lustige Kerlchen. Doch die Häme aus dem Umfeld dauert teilweise jahrelang, da die Videos im Netz abrufbar sind.

Eine weitere DSDS-Kandidatin berichtet, wie jedes Mal «der ganze Scheiss wieder von vorne anfängt, dass man von jedem angesprochen wird».

Daniel Küblböcks Leben nach DSDS

Daniel Küblböcks Leben nach DSDS passt in die Kategorie «Freak mit Wiedereinstiegsschwierigkeiten». Auf der Suche nach Aufmerksamkeit tingelte der Bayer, der aus einer zerrütteten Familie kam, durch Casting- und Reality-TV-Formate. Er versuchte sich erfolglos im Filmgeschäft und behauptete, mit Investitionen in Ökostrom Millionen verdient zu haben. 2011 wurde er von der 70-jährigen Immobilienmillionärin Kerstin Elisabeth Kaiser adoptiert und nannte sich fortan Daniel Kaiser-Küblböck. Zuletzt besuchte er eine Schauspielschule. Sein Abschlussstück handelte von einer Frau, die ins Meer springt und ertrinkt. Auf dem Kreuzfahrtschiff trug Küblböck Frauenkleider und landete nach auffälligem Verhalten beim Schiffsarzt. Danach ging er über Bord.

Die Verantwortung der Castingshows

Die Tragödie mit DSDS direkt in Verbindung zu bringen, wäre zu kurz gedacht. Castingshows und Reality-TV machen gesunde Menschen nicht zu kranken, aber sie ziehen Letztere womöglich an und lassen sie alleine. Zwar will man psychisch labile Menschen auch bei einem knallharten Format wie DSDS nicht, dafür sorgt eine psychologische Beurteilung der Kandidaten. Doch die emotionale, psychische und körperliche Belastung ist enorm - viele Kandidaten seien sich dessen nicht bewusst, sagt Maya Götz.

Anders als im Leistungs- und Wettkampfsport existiere hier ein rein kommerzieller Rahmen. Die Medienwissenschaftlerin will kein Castingshow-Verbot, schlägt aber eine psychologische Betreuung während und nach den Shows vor. Zudem könne der aggressive Inszenierungscharakter gewisser Formate abgeschwächt werden, zugunsten einer aufbauenden Haltung.

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Neue ARD-Doku beleuchtet Fall Küblböck

Eine neue ARD-Doku mit dem Titel «Die Küblböck-Story - Eure Lana Kaiser» (ab 26. August in der Mediathek) enthüllt nun die letzte Sprachnachricht, die Lana Kaiser kurz vor dem Verschwinden aufgenommen hat. In der Nachricht, adressiert an einen früheren Lebensgefährten, klingt Kaiser deutlich angespannt und sagt mit brüchiger Stimme: «Hallo Manni, ich bin‹s - der Daniel, also die Lana eigentlich ... ich wollte dir nur sagen, dass ich gern von diesem Schiff hier runter möchte. Ich würde gern nach New York fliegen. Auf dem Schiff klappt irgendwie nichts, wie ich es mir ... Ruf mich doch bitte zurück ... alles klar, mach›s gut, ciao.» Der Ex-Partner, an den die Sprachnachricht verschickt wurde, kommt in der Doku ebenfalls zu Wort.

Lana Kaiser war im Jahr 2018 während einer Kreuzfahrt von Hamburg nach New York über den Atlantik verschwunden. Kaiser soll in den Morgenstunden über Bord gesprungen sein, anschliessende Suchen blieben erfolglos. Berichte von Mitreisenden, die teilweise in der Doku zu Wort kommen, zeichnen ein Bild von Konflikten an Bord, unter anderem auch von Anfeindungen aufgrund von Kaisers geschlechtlicher Identität oder Sexualität. Eine Frau beschreibt das Verhalten anderer Mitreisender als «sensationslüstern». Diese belastenden Erfahrungen dürften zu dem Zustand beigetragen haben, in dem sich Kaiser befand. Kurz vor der Kreuzfahrt hatte sich der ehemalige «DSDS»-Star als trans sichtbar gemacht und den Namen Lana Kaiser als Teil der Identität gewählt.

Die Doku-Serie «Die Küblböck-Story - Eure Lana Kaiser» ist ab 26. August in der ARD Mediathek verfügbar. In drei Folgen kommen Wegbegleiterinnen und -begleiter wie Dragqueen Olivia Jones, Freundinnen und Freunde, ehemalige Partner und Familienmitglieder sowie Prominente wie Riccardo Simonetti und Lucy Diakovska zu Wort. Die Doku blickt hinter die Kulissen der Karriereanfänge bei «Deutschland sucht den Superstar» und beleuchtet auch die unentdeckten Seiten des Musikstars.

Mariella Ahrens (56) zweifelt bis heute an der offiziellen Version von Daniel Küblböcks Tod. Die Schauspielerin, die 2004 gemeinsam mit dem Sänger in der Sendung "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" vor der Kamera stand, sprach mit RTL offen über ihre Bedenken. "Ich war sehr irritiert, dass er Suizid begangen haben soll, und glaube das bis heute noch nicht", so Ahrens. Die Nachricht vom Verschwinden Küblböcks im Jahr 2018 auf einem Kreuzfahrtschiff habe sie tief getroffen. Aus ihrer Sicht habe Daniel nach dem "Dschungelcamp" an Stärke und Reife dazugewonnen.

Es sind Vorschläge, die Sendungen wie «The Voice» oder «Die grössten Schweizer Talente» teilweise bereits umgesetzt haben. Ob DSDS nachzieht, darf bezweifelt werden. Dieter Bohlen trug bei seiner Videobotschaft zu Küblböck eine verspiegelte Sonnenbrille und ein Hoodie mit der Aufschrift «Be one with the ocean». Das sei aber «völlig falsch rübergekommen», entschuldigte er sich nach Protesten von Fans.

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