Bulimie: Ursachen, Folgen und Behandlung der Ess-Brech-Sucht

Eine Bulimie (Ess-Brech-Sucht, Bulimia nervosa) ist gekennzeichnet von wiederkehrenden Essanfällen. In der Schweiz leiden 2,4 Prozent der Frauen und 0,9 Prozent der Männer an einer Bulimie - mit steigender Tendenz.

Was ist Bulimie?

Bulimie (Bulimia nervosa/Ess-Brechsucht) ist eine Essstörung. Bei der Ess-Brechsucht kommt es zu wiederholten Essanfällen mit anschliessendem Erbrechen. Betroffene leiden unter Essanfällen, in denen sie unkontrolliert sehr viel essen und/oder darunter, dass sie schon kleinste Nahrungsmengen als zu viel empfinden.

Die Bulimie (Bulimia nervosa) zählt zu den Essstörungen. Umgangssprachlich wird sie auch als Ess-Brech-Sucht bezeichnet. Typische Bulimie-Symptome sind Heisshungerattacken, bei denen die Betroffenen unkontrolliert grosse Mengen an Nahrung verzehren. Um nicht zuzunehmen, ergreifen sie anschliessend drastische Gegenmassnahmen wie selbst herbeigeführtes Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln oder sie treiben exzessiv Sport. Häufig ist eine Diät der Einstieg in die Ess-Brech-Sucht.

Symptome und Diagnose

Bei der Bulimie kommt es zu wiederholten Heisshungeranfällen, die mit einem Kontrollverlust einhergehen. Innerhalb kürzester Zeit werden grosse Mengen an Nahrungsmitteln verschlungen. Die Betroffenen dieser Essstörung fühlen sich diesem Geschehen machtlos ausgeliefert. Um der Angst vor einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken, wird unmittelbar danach versucht, den Vorfall rückgängig zu machen, durch selbst induziertes Erbrechen.

Nach dem Essen kommt es zu kompensierenden Massnahmen: typisch ist Erbrechen. Möglich ist auch der Missbrauch von Abführmitteln, harntreibenden Mitteln (Diuretika) oder Einläufen, Fasten wenn sich die Person übermässig körperlich betätigt. Die Essattacken und das kompensatorische Verhalten kommen über drei Monate mindestens zweimal pro Woche vor.

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Personen mit Bulimie beschäftigen sich gedanklich sehr viel mit Essen, und erleben eine Gier oder einen Zwang danach, zu essen. Das Selbstwertgefühl von Menschen mit Bulimie hängt übermässig stark mit der Figur und dem Körpergewicht zusammen; Personen mit Bulimie erleben sich in der Regel als zu dick.

Während einem Essanfall essen Menschen mit Bulimie oft heimlich und allein. Für ihr Verhalten und das damit verbundene Gefühl von Kontrollverlust empfinden sie oft Scham und Selbstverachtung. Vielen fällt es sehr schwer, anderen Personen über die Bulimie zu erzählen.

Der erste Schritt für die Diagnose ist dann ein ärztliches Anamnesegespräch. Folgende Fragen könnte der Arzt der Patientin oder dem Patienten bei Verdacht auf Bulimie stellen:

  • Fühlen Sie sich zu dick?
  • Sind Sie zufrieden mit Ihrem Körper?
  • Achten Sie sehr darauf, wie viel und was Sie essen?
  • Haben Sie Heisshungerattacken, bei denen Sie mit dem Essen gar nicht mehr aufhören können?
  • Kommt es vor, dass Sie die aufgenommene Nahrung wieder erbrechen? Wie häufig ist das?
  • Haben Sie körperliche Beschwerden wie zum Beispiel Muskelschwäche, Verstopfung, starke Bauchschmerzen?

Diagnosekriterien der Bulimie

Nach dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-V) gelten folgende Merkmale als Bulimie-Anzeichen:

  • wiederholte Episoden von Fressattacken
  • wiederholte Anwendung von unangemessenen, einer Gewichtszunahme gegensteuernden Massnahmen
  • Essattacken und unangemessenes Kompensationsverhalten treten mindestens drei Monate lang mindestens einmal pro Woche auf.
  • Figur und Körpergewicht haben einen übermässigen Einfluss auf die Selbstbewertung.
  • Symptome treten nicht ausschliesslich im Zusammenhang mit einer Magersucht auf.

Ursachen von Bulimie

In Einzelfällen kann Bulimie aber auch bei Männern bzw. Bulimie tritt meistens aufgrund einer Kombination von psychischen und gesellschaftlichen Gründen oder während/nach einer Anorexie auf. Eine bedeutende Rolle spielt dabei die in unserer Gesellschaft verbreiteten Vorstellung von Schlankheit als Schönheitsideal.

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Essanfälle werden typischerweise ausgelöst durch unangenehme Stimmung oder Erregung jeglicher Art, zwischenmenschliche Belastungen, Spannung und unangenehmes Körpergefühl sowie auch durch Hunger nach diätartigem Essverhalten. Eine gewisse Entfremdung ist typisch: So fällt es vielen Personen schwer, zu erkennen, welche Gefühle und Gedanken sie vor dem Essanfall konkret beschäftigen oder belasten.

Menschen mit Bulimie streben eine Figur an, die dem herrschenden, überschlanken Schönheitsideal entspricht. Dadurch erhoffen sie sich Anerkennung und Zuneigung. Zuzunehmen erscheint ihnen bedrohlich, da sie sich vor Ausgrenzung fürchten. Aber auch für die Regulation negativer Emotionen kann ein Essanfall ein Ventil bedeuten.

Folgen der Bulimie

Eine ausgeprägte Bulimie richtet im Körper grossen Schaden an.

Bulimie kann schwerwiegende Folgen für die Gesundheit haben. Dazu zählen unter anderem Mangelernährung, Herzmuskelschwäche, Osteoporose, Nierenschäden, Magenriss, Verstopfung oder Zahnschäden.

Durch das ständige Erbrechen treten verschiedene Mangelerscheinungen und Störungen im Elektrolythaushalt auf. Hinzu kommt die chemischen Auswirkungen der Magensäure auf die Speiseröhre und den Mund.

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Mangelernährung: Die wiederholten Diäten, das ständige Erbrechen, aber auch die Einnahme von Abführmitteln können den Elektrolythaushalt stören und eine Mangelernährung verursachen. In schweren Fällen wirkt sie sich auf die meisten wichtigen Organsysteme aus.

Herzmuskelschwäche: Eine zu niedrige Kaliumkonzentration im Blut und in den Zellen kann einen unregelmässigen Herzschlag und Herzmuskelschwäche zur Folge haben.

Osteoporose: Kalziummangel macht die Knochen brüchig.

Nierenschäden: Der Elektrolytmangel kann lebensbedrohliche Nierenschädigungen verursachen.

Bauchschmerzen und Magenriss: Durch das Überessen bläht sich der Magen auf. Das verursacht starke Schmerzen. Im schlimmsten Fall kann ein lebensgefährlicher Riss im Magen (Magenruptur) entstehen.

Zahnschäden: Die Folgen von Bulimie machen sich häufig an den Zähnen bemerkbar. Die Magensäure zerstört erst den Zahnschmelz und dann das Zahnbein. Dadurch können die Zähne zunächst schmerz- und temperaturempfindlich und dann schadhaft werden.

Chronisches Sodbrennen: Durch das ständige Erbrechen wird der Schliessmuskel der Speiseröhre gedehnt. Das kann chronisches Sodbrennen (Reflux) verursachen. Die aufsteigende Magensäure verursacht zudem Schleimhautentzündungen der Speiseröhre (Ösophagitis). Wenn Magensaft in die Luftwege gerät, besteht im Extremfall die Gefahr zu ersticken oder eine Lungenentzündung zu bekommen.

Gastritis: Ausserdem wird beim Erbrechen der Magen gereizt und kann sich ebenfalls entzünden (Gastritis). Stetiges Erbrechen führt dann häufig zu weiteren Verletzungen bis hin zu schmerzhaften Blutungen, Vernarbungen und Organdurchbrüchen.

Menstruationsstörungen und ungewollte Schwangerschaft: Häufig wird bei Frauen mit Bulimie die Regelblutung unregelmässig. Bei Frauen, die mit der Pille verhüten, kann das Erbrechen die Wirksamkeit herabsetzen. Damit steigt die Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft.

Hautveränderungen: Mögliche Folgen einer Bulimie sind trockene Haut und brüchige Haare mit Haarausfall. Auch Pigmentstörungen und Akne treten auf.

Angeschwollene Ohrspeicheldrüsen: Durch das häufige Erbrechen schwellen die Speicheldrüsen an und die Mundwinkel werden wund.

Veränderungen des Gehirns: Bei Bulimie verändert sich auch die Gestalt des Gehirns (Pseudoatrophie). Die Ursachen und Auswirkungen dieses Phänomens sind jedoch nicht geklärt.

Risiken in der Schwangerschaft: Aufgrund der Mangelernährung entwickeln sich ungeborene Kinder einer an Bulimie-erkranken Mutter oft nicht richtig. Das Kind kann bleibende Schäden davontragen.

Psychische Folgen

Depressionen: Nicht selten geht Bulimie mit deprimierten Zuständen oder Depressionen einher. Häufig sind auch Angstsymptome und Angststörungen.

Substanzmissbrauch: 30% der Menschen mit Bulimie haben Erfahrung mit dem Missbrauch von Alkohol oder anderen Substanzen.

Überdurchschnittlich häufig sind auch schwierige Persönlichkeitszüge, die das persönliche Wohlergehen und den sozialen Umgang mit anderen beeinträchtigen.

Körperliche Folgen

Das Erbrechen und der Gebrauch von Abführmitteln und/oder entwässernde Medikamente können zu einem Flüssigkeits- und Elektrolytungleichgewicht führen (zu wenig Kalium oder Natrium, metabolische Alkalose oder Azidose usw.). Dieses Ungleichgewicht kann zu Kreislaufbeschwerden oder in schweren Fällen zu lebensgefährlichen Herzrhythmusstörungen führen.

Selten, aber auch sehr gefährlich, sind Risse der Speiseröhre oder des Magen-Darm-Traktes. Weiter können wiederkehrende Verdauungsprobleme auftreten, der Flüssigkeits- und Salzverlust, der unter anderem Wassereinlagerungen im Gewebe (sogenannte Ödeme) verursachen kann, Blähungen. Bulimie ist oft von Schwächeanfällen und von Magendarmbeschwerden begleitet. Die Speicheldrüsen können vergrössert sein.

Wenn der Würgereflex mit Finger/Hand ausgelöst wird, kann es zu Verletzungen an der Hand durch die Zähne kommen. Gelegentlich kommt es zu Störungen im Menstruationszyklus. Mögliche Ursachen hierzu sind Gewichtsschwankungen, Mangelernährung oder emotionaler Stress. Bei häufigem Erbrechen werden die psychische und körperliche Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Personen leiden dann unter Konzentrationsstörungen und chronischer Müdigkeit.

Zahnschäden

Die körperlichen Begleiterscheinungen der Bulimie verschwinden in der Regel, wenn sich das Essverhalten normalisiert. Eine Ausnahme sind die Zähne: Häufiges Erbrechen führt zu stetigem Kontakt mit der aggressiven Magensäure. Dies kann zu einem erheblichen und dauerhaften Abbau des Zahnschmelzes und zu Zahnfleischentzündungen führen. Ebenfalls steigt die Kariesanfälligkeit.

Soziale Folgen

Durch die häufigen Essattacken können Betroffene in eine finanzielle Notlage geraten, weil sie ihr gesamtes Geld für Essen ausgeben.

Behandlung von Bulimie

Daher ist professionelle Hilfe bei Bulimie unverzichtbar.

Ziele bei der Behandlung von Bulimie sind vor allem:

  • Kurzfristig eine rasche Veränderung des Essverhaltens zu erreichen, um die körperliche Gesundheit wiederherzustellen oder zu erhalten.
  • Langfristig den Betroffenen zu helfen, die Ursachen für das gestörte Essverhalten zu erkennen und diese zu beseitigen oder andere Wege zu finden, damit umzugehen.

In leichteren Fällen ist eine Bulimie auch ambulant behandelbar. In schweren Fällen muss jedoch die Ernährung kontrolliert werden, damit die Patienten zu einem gesunden Essverhalten zurückfinden können. Das ist in der Regel nur in einem stationären Rahmen möglich.

Zu Beginn der Behandlung gilt es vor allem, ein Vertrauensverhältnis zwischen Therapeuten oder Therapeutin und der essgestörten Person aufzubauen. Sie ist die Basis für alle nachfolgenden Schritte.

Gemeinsam mit den Betroffenen erstellt man einen ausgewogenen Essensplan. Ziel ist es, regelmässig Mahlzeiten zu sich zu nehmen - mindestens drei am Tag. Es geht darum zu essen, ohne in eine Essattacke zu verfallen oder das Essen zu erbrechen.

Die Patientinnen und Patienten lernen auch kalorienreichere Lebensmittel, die sie ausserhalb der Ess-Brech-Attacken vermieden haben, ohne Angst zu sich zu nehmen. Sie werden auch bei der Zubereitung des Essens eingebunden. Der Umgang mit Lebensmitteln soll für sie zu einer positiven, entspannten Erfahrung werden.

Durch die regelmässige und abwechslungsreiche Ernährung wird auch der Drang geringer, sich grosse Nahrungsmengen einzuverleiben.

Psychotherapie

Häufig wird eine kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung von Bulimie eingesetzt.

  • Realistisches Körperbild: Die Patienten sollen eine realistische Einstellung zu ihrem Körper und ihrem Gewicht entwickeln. Dabei geht es auch darum, die gesellschaftlichen Idealvorstellungen von Schönheit und Schlankheit zu hinterfragen.
  • Auslöser suchen: In Zusammenarbeit mit dem Therapeuten ergründen die Bulimie-Patienten, welche Situationen einen Ess-Brech-Anfall hervorrufen. Dabei kann ein Ernährungstagebuch helfen. Daraufhin versucht der Therapeut zusammen mit dem Patienten alternative Wege und Verhaltensweisen zu finden, um mit belastenden Situationen umzugehen.
  • Konfrontationstherapie: In der Bulimie-Therapie wird häufig mit sogenannten Konfrontationen gearbeitet. Dabei setzen sich die Betroffenen in therapeutischer Begleitung angstauslösenden Situationen oder Reizen aus. Konkret werden ihnen beispielsweise Lebensmittel vorgelegt, die sonst eine Essattacke ausgelöst hätten. Sie dürfen sie anfassen und beschnuppern, aber nicht verzehren. Die therapeutisch begleitete Auseinandersetzung führt zu einem stetigen Abbau der Ängste.

Breites Therapiespektrum

Bei einem stationären Aufenthalt wird in der Regel ein breites Spektrum an Therapien zur ganzheitlichen Behandlung genutzt. Dazu gehören:

  • Einzeltherapie
  • Gruppentherapie
  • Gestalttherapie
  • Kunsttherapie
  • Bewegungstherapie
  • Musiktherapie
  • Entspannungskurse
  • Ernährungsberatung

Medikamentöse Behandlung

Zu Beginn der Bulimie-Therapie und in Krisen erhalten manche Patienten vorübergehend antidepressive Substanzen. Vor allem wird hierzu das Medikament Fluoxetin eingesetzt. Es hat nicht nur eine antidepressive Wirkung, sondern reduziert auch die Ess-Brech-Anfälle. Als alleinige Therapie bei Bulimie sind Medikamente nicht geeignet.

Krankheitsverlauf und Prognose

Die Bulimie beginnt meistens in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter. Häufig sind Diäten der Einstieg in die Ess-Brech-Sucht. Der Bulimie kann eine Phase starker Gewichtsabnahme vorausgehen, die dann in Ess-Brech-Anfälle umschlägt. Auch kann sich Bulimie aus einer Magersucht entwickeln.

Im Verlauf der Erkrankung gibt es immer wieder auch Zeiten, in denen Bulimie-Betroffene normal essen. Die Anzahl der Ess-Brech-Anfälle schwankt individuell. In belastenden Phasen, in denen die Patienten besonders gestresst sind, treten Ess-Brech-Anfälle gehäuft auf.

Oft wird die Bulimie erst nach längerer Krankheitsdauer behandelt. Immerhin wird etwa die Hälfte der Patienten, die an Bulimie litten, gesund, wenn auch meist erst nach mehrjährigem Krankheitsverlauf.

In etwa 50% der Fälle kann Bulimie durch eine Behandlung geheilt werden. Bei einigen Betroffenen kommt es jedoch zu einer chronischen Bulimie oder nur zu einer leichten Besserung des Krankheitsbildes. Grundsätzlich gilt: Je früher die Diagnose der Essstörung erfolgt, desto besser sind die Behandlungsaussichten.

Bedenken Sie, dass es im Laufe der Behandlung auch zu Rückfällen kommen kann.

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