Autismus-Spektrum-Störungen (ASS): Symptome, Unterschiede und Diagnose

Autismus ist ein Sammelbegriff für verschiedene tiefgreifende Entwicklungsstörungen - die genaue Bezeichnung lautet Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). Alle netDoktor.ch-Inhalte werden von medizinischen Fachjournalisten überprüft.

Was ist Autismus?

Autismus ist ein Sammelbegriff für verschiedene tiefgreifende Entwicklungsstörungen (Autismus-Spektrum-Störungen, ASS). Die meisten Betroffenen haben Probleme mit sozialen Kontakten sowie mit der Kommunikation und Sprache. Viele zeigen wiederholte, stereotype Verhaltensweisen und Interessen. Lesen Sie hier ausserdem, wie Autismus verläuft!

Darunter fallen drei verschiedene Hauptformen von Autismus:

  • Frühkindlicher Autismus
  • Asperger-Syndrom
  • Atypischer Autismus

Die Einteilung in diese Unterformen von Autismus wird es künftig nicht mehr geben: Die neue (11.) Version der Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme (ICD) sieht nur noch den Oberbegriff "Autismus-Spektrum-Störungen" vor. Wann die ICD-11 die derzeitige Version ICD-10 (mit den Unterformen Frühkindlicher Autismus etc.) endgültig ablösen wird, steht noch nicht fest.

Das Erscheinungsbild bei Autismus ist je nach Form und Schweregrad der Störung individuell sehr unterschiedlich. Manche Betroffene entwickeln nur einen leichten Autismus, der ihr Alltagsleben nur wenig beeinflusst. Andere sind schwer behindert.

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Unter anderem sind Intelligenz und Sprachfähigkeiten sehr unterschiedlich ausgeprägt: Der grössere Teil der Autisten ist geistig eingeschränkt. Es gibt aber auch normal und sogar hochbegabte Betroffene. Teilweise gehen die verschiedenen Autismusformen auch fliessend ineinander über.

Laut offiziellen Leitlinien wird, unter Berücksichtigung des Grossteils aller weltweiten Studien seit dem Jahr 2000, insgesamt von einer Häufigkeit der ASS von etwa einem Prozent in der Bevölkerung ausgegangen.

Symptome von Autismus

Menschen mit Autismus nehmen die Welt in allen Bereichen der Wahrnehmung anders wahr als ihre Mitmenschen. Zudem können sie die Stimmung ihres Gegenübers aus dessen Gesicht schlecht erkennen und vermeiden deshalb oft Kontakte zu ihren Mitmenschen. Gerne befassen sie sich mit einem Spezialgebiet. Es ist für sie eine Herausforderung, sich auf Neues einzustellen und oftmals besteht der Wunsch, Alltagsabläufe immer gleich zu gestalten (Rituale). Sie tendieren dazu, sich an Details zu orientieren und haben Mühe, eine Situation ganzheitlich zu erfassen. Über- oder Unterempfindlichkeiten auf Licht, Gerüche, Geräusche oder Berührungen sind häufig.

Die Symptome schränken insgesamt das alltägliche Funktionieren ein.

Typische Symptome einer ASS sind:

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  • Defizite in der sozial-emotionalen Gegenseitigkeit, etwa bei der Kontaktaufnahme, Kommunikation und Reaktion auf soziale Interaktionen
  • Schizoide Persönlichkeitszüge: ASS-Betroffene meiden soziale Kontakte, der Umgang fällt ihnen schwer
  • Bei sozialen Interaktionen Defizite im nonverbalen Kommunikationsverhalten, wie z.B. reduzierter Einsatz von Gestik und Mimik
  • Defizite in der Aufnahme, Aufrechterhaltung und dem Verständnis von Beziehungen
  • Stereotype oder motorische Bewegungsabläufe, stereotyper Gebrauch von Objekten oder von Sprache
  • Starres Festhalten an Gleichbleibendem und an ritualisierten Mustern
  • Hochgradig begrenzte, fixierte Interessen von einem abnormen Mass
  • Hyper- oder Hyporeaktivität auf sensorische Reize oder ungewöhnliches Interesse an Umweltreizen

Autismus bei Mädchen und Frauen

Bei Jungen und Männern wird häufiger Autismus diagnostiziert als bei Mädchen und Frauen. Dies liegt auch daran, dass sich viele Diagnosekriterien auf die männliche Ausprägung des Autismus beziehen. Bei Mädchen und Frauen zeigt sich Autismus etwas anders, nämlich versteckter. Bei Mädchen, bei denen sich die Diagnosekriterien nicht so auffällig zeigen, werden deshalb weniger häufig mit Autismus diagnostiziert.

Typische Unterschiede:

  • Die autistischen Symptome sind bei weiblichen Betroffenen häufig weniger stark ausgeprägt als bei männlichen.
  • Mädchen mit Autismus sind oft ruhiger und können ihr Verhalten besser kontrollieren.
  • Betroffenen Mädchen gelingt es besser, ihre Schwierigkeiten zu verstecken.
  • Spezialinteressen sind häufig alterstypisch.

Diagnose von Autismus-Spektrum-Störungen

Um bei Erwachsenen abzuklären, ob eine ASS vorliegt, erfolgt idealerweise eine breite Anamnese, Fremdanamnese sowie eine ausführliche Psychodiagnostik, damit Fehldiagnosen vermieden werden. Für die Diagnosestellung müssen bei Betroffenen bereits frühkindlich abweichende oder besondere Entwicklungen aufgetreten sein, wie etwa ein mangelnder Wunsch, mit Gleichaltrigen zu interagieren, verzögerte Sprachentwicklung, seltsame Satzmelodie, repetitive Verhaltensmuster, Bevorzugung von Routineabläufen, begrenzter Blickkontakt, motorische Unbeholfenheit.

Idealerweise gibt es eine Bezugsperson, die über die Entwicklung der ersten drei bis vier Lebensjahre der zu beurteilenden Person berichten kann. Dies können sowohl Eltern, Grosseltern als auch zum Beispiel Lehrpersonen, Nachbarn sowie um mehrere Jahre ältere Geschwister sein. Oft benötigt die abzuklärende Person etwas Zeit für die Zustimmung zum Beizug einer Drittperson.

Bei gegebenem Verdacht findet eine ausführliche Abklärung durch ein multidisziplinäres Diagnostikteam einer ASS-Spezialstelle für Erwachsene statt. Das Abklärungsteam besteht aus Fachpersonen aus Psychologie und Medizin (Facharzt bzw. Fachärztin Psychiatrie oder Neurologie).

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Die Abklärung erfolgt aufgrund des beträchtlichen Umfangs der Untersuchungen in mehreren Sitzungen und umfasst Explorationsgespräche, Testdiagnostik (u. a. soziale Kognitionstests), Psychometrie und gegebenenfalls bei Bedarf medizinische Zusatzuntersuchungen (EEG, MRI, Seh-, Hör-, Labortests).

Es stehen verschiedene Testverfahren zur Verfügung, die in Kombination unterstützend zur klinisch ausgerichteten Diagnostik angewendet werden können.

Autismus oder ADHS?

ADHS gehört genauso wie Autismus zu den Neurodivergenzen. In beiden Fällen funktioniert das Gehirn anders als bei neurotypischen Menschen. Doch worin unterscheiden sich Autismus und ADHS?

Autismus und ADHS ähneln sich in vielen Dingen, unterscheiden sich aber auch in mindestens genauso vielen voneinander.

Gemeinsamkeiten:

  • Soziale Schwierigkeiten: Sowohl ADHSler:innen als auch Autist:innen können Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen haben, jedoch aus unterschiedlichen Gründen.
  • ADHS und Autismus sind beides Entwicklungsstörungen, die seit der Kindheit bestehen.
  • Wiederholte, stereotype Verhaltensweisen: Auch bekannt als «Stimming» (Self-stimulating behavior), also das Bedürfnis, sich zum Beispiel durch Händeflattern, Wippen oder Zählen selbst zu beruhigen.

Unterschiede:

  • Unstrukturiertheit: Menschen mit der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung können Probleme damit haben, Routinen zu folgen.
  • Stimmungsschwankungen: Menschen mit ADHS wechseln manchmal aufgrund ihrer Impulsivität schnell die Stimmung, was bei Menschen im Autismus-Spektrum eher selten der Fall ist.

Überschneidungen, Kombinationen und Mischformen von ADHS und einer Autismus-Spektrum- Störung sind sehr häufig, werden aber nicht immer erkannt, weil sich die Symptome teilweise ausgleichen.

Behandlung von Autismus-Spektrum-Störungen

Alle psychotherapeutischen Verfahren sind zur Behandlung von Personen mit ASS geeignet, mit der Einschränkung, dass man störungsangepasst vorgehen sollte.

Mit einer Psychotherapie bei ASS-Betroffenen kann erreicht werden:

  • die Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion reduzieren
  • die Kommunikationsfertigkeiten steigern
  • Verhaltensweisen positiv verändern
  • psychische Begleiterkrankungen (komorbide psychische Störungen) wie etwa affektive Störungen, Angst- und Zwangsstörungen, ADHS, Suchterkrankungen psychotherapeutisch sowie medikamentös erfassen und behandeln

Wie können Angehörige unterstützen?

Angehörige können dadurch unterstützen, wenn sie sich respektvoll, wertfrei den Erlebenswelten des Betroffenen nähern. Es empfiehlt sich strukturiert zu kommunizieren und eher geschlossene Fragen zu stellen. Zudem sollte auf Metaphern oder Sprichwörter verzichtet werden, da Personen mit ASS diese meist wortwörtlich nehmen. Mehrere unterschiedliche Informationen sollten nicht gleichzeitig vermittelt werden, weil Konzentration und Aufmerksamkeit möglicherweise dadurch überflutet werden.

Wie sollte die Arbeitsumgebung für einen ASS-Betroffenen sein?

  • Der Arbeitsplatz sollte möglichst reizarm gestaltet sein
  • Vorgaben und Verläufe bei Tätigkeiten sollten möglichst klar definiert sein
  • Routinen und Rituale sollten eingebaut werden. Sie vermitteln Sicherheit und führen zu subjektivem Wohlbefinden.
  • Idealerweise gibt es für die betroffene Person einen Rückzugsraum und damit verbunden die klare Abmachung, dass sie sich Zeit für Entspannung, etwa nach einem anstrengenden Tag, gönnen darf.

Tabelle: Screening- und Diagnoseinstrumente für ASS bei Erwachsenen

Instrument Beschreibung
AQ (Autism-Spectrum Quotient) Fragebogen zur Erfassung von autistischen Zügen
EQ (Empathy Quotient) Fragebogen zur Erfassung von Empathiefähigkeit
RAADS-R (Ritvo Autism Asperger Diagnostic Scale-Revised) Skala zur Unterstützung der Diagnose von ASS bei Erwachsenen
MBAS (Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom) Screening-Verfahren für autistische Störungen auf hohem Funktionsniveau
ASAS (Australian Scale of Asperger’s Syndrome) Skala zur Erfassung des Asperger-Syndroms
SRS (Skala zur Erfassung sozialer Reaktivität) Dimensionale Autismus-Diagnostik
MASC (Movie for the Assessment of Social Cognition) Film zur Beurteilung der sozialen Kognition
RMET (Reading the Mind in the Eyes Test) Test zur Einschätzung der sozialen Kognition mittels Deutung von Augenausschnitten
TAS-26 (Toronto-Alexithymie-Skala-26) Fragebogen zur Erfassung von Alexithymie
MWT-B (Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest) Kurztest zwecks Intelligenz-Screening
ADI-R (Diagnostisches Interview für Autismus - revidiert) Diagnostisches Interview für Autismus

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