Botox gegen Depressionen: Studien und Erkenntnisse

Ein bisschen Botulinum-Neurotoxin zwischen die Augenbrauen spritzen und schon steigt die Stimmung? Klingt nach Werbung aus der Kosmetikindustrie, hat aber wissenschaftliche Evidenz.

Die BOTOX® Behandlung bei Depressionen ist eine innovative Therapie, die in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit erlangt hat. Ursprünglich für ästhetische Anwendungen wie die Faltenbehandlung entwickelt, zeigt BOTOX® (Botulinumtoxin) auch vielversprechende Ergebnisse bei der Behandlung von Depressionen.

Die Facial-Feedback-Hypothese

Die Idee hinter der BOTOX® Behandlung gegen Depressionen basiert auf der sogenannten Facial Feedback Hypothese. Diese besagt, dass unsere Gesichtsausdrücke unser emotionales Erleben beeinflussen.

«Durch Mimik lassen sich Emotionen nicht nur ausdrücken, sondern auch aufrechterhalten und verstärken - so lautet die Facial-Feedback-Hypothese, die von einer propriorezeptiven Rückkopplung ausgeht. Durch Experimente konnte man sie mittlerweile gut belegen», berichtet PD Dr. Marc Wollmer von der Klinik für Gerontopsychiatrie an der Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll in Hamburg.

Forschende nehmen an, dass die Mimik einen direkten Einfluss auf unsere Stimmungslage hat. Sie stellten fest, dass sich Emotionen abschwächen, wenn wir sie nicht sichtbar ausdrücken.

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Versuchen Sie es selbst. Dazu muss man nur ein Klebeband oder Kinesiotape im Bereich der Zornesfalte befestigen. So bekommt man immer beim Stirnrunzeln eine Rückmeldung, sozusagen ein Biofeedback.

Wie wirkt Botox bei Depressionen?

Durch das Injizieren von BOTOX® in die Glabellaregion (Bereich zwischen den Augenbrauen), wo oft Zornesfalten entstehen, wird die Muskelaktivität in diesem Bereich reduziert.

Ein Schlüsselmuskel für negative Gefühle ist der M. corrugator supercilii, bei Depressiven weist dieser «Zornesfaltenmuskel» eine gewisse Überaktivität auf.

Häufig hatten depressive gestimmte Menschen z.B. ein negatives Bild von sich. Verringert sich die Bewegung der Muskeln, welche Zorn, Ärger, Stress oder Traurigkeit vermitteln, dann steigert sich das Wohlgefühl.

Eine dezente Entspannung ohne «Frozen Face» sieht frisch, freundlich und nicht zu müde und abgeschlafft aus. Dieser Effekt gibt ein positives «Facial-Feedback». Dieses Feedback beschreibt, wie die Bewegung der Muskeln des Gesichts unser Gefühlsleben beeinflussen. Z.B. durch dauerhafte Stirnmuskelbewegung entstehen Zornes- und Stirnfalten und verursachen ein negatives «Facial-Feedback».

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Studienergebnisse und wissenschaftliche Erkenntnisse

In verschiedenen klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass BTA Injektionen in die Glabella-Muskeln der Stirn positive Effekte auf die Stimmung bewirken. Dieser Effekt ist stärker und anhaltender als die blosse Begeisterung über ein verbessertes Erscheinungsbild.

Eine kürzlich veröffentlichte Analyse klinischer Studien welche BTA gegen Depression verwendeten bestätigte die Wirksamkeit der Behandlungsmethode.

Injektion von BTA in die Glabella-Muskeln der Stirn bei Patienten die an Depressionen leiden zeigen sich als eine vielversprechende Behandlungsmethode mit einer relativ hohen Wirksamkeit. Diese Eigenschaft ist bislang einzigartig für eine einzelne antidepressive pharmakologische Intervention.

Und eine 2021 durchgeführte Metastudie fand heraus, dass Botox sehr wohl einen Einfluss auf ein Gehirn hat - allerdings wurde in diesem Fall die Wirkung von Botulinumtoxin bei der Behandlung von Depressionen untersucht. Das Ergebnis? Patienten, die mit Botox behandelt wurden, zeigten eine stärkere Verbesserung depressiver Symptome als Personen, die ein Placebo erhielten. Untersuchungen mittels MRT zeigten, dass Botox die sogenannte Amygdala beeinflusst. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine Gehirnregion, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist.

An der Studie nahmen 30 Patientinnen und Patienten teil, die zum Teil schon seit langer Zeit depressiv waren, wie die Universität Basel am Montag mitteilte. Schon nach zwei Wochen zeigten sich Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen: Die Botox-Gruppe war weniger depressiv. In der Placebo-Gruppe dagegen besserten sich die Symptome nur geringfügig.

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Anwendung und Zulassung

Die BOTOX® Behandlung bei Depressionen ist besonders interessant für Menschen, die auf herkömmliche Behandlungen wie Antidepressiva oder Psychotherapie nicht ausreichend ansprechen. Die Behandlung erfolgt ambulant und dauert nur wenige Minuten. Es wird gezielt BOTOX® im Stirnbereich, insbesondere in die Muskeln, die für die Bildung von Zornesfalten verantwortlich.

BTA ist zugelassen für verschiedene neurologische Behandlungen, unter anderem zu der Behandlung von Spannungskopfschmerzen und Migräne.

Was passiert bei einer Behandlung? Die Haut um die Zornesfalte herum wird desinfiziert. Anschliessend werden fünf Behandlungspunkte mit einem Kajalstift im Gebiet der Zornesfalte eingezeichnet.

* Botox®/Vistabel®/Azzalure® ist von Swissmedic zur Behandlung von mittelschweren bis schweren Glabella-, Stirn- und Augenfalten bei Erwachsenen zugelassen.

Botox als zusätzliche Therapie

Nein. Es ersetzt keine Basistherapie, das wäre zu viel verlangt. Vor allem bei mittelschweren und schweren Depressionen handelt es sich um eine add-on-Behandlung, ist also ein zusätzliches Mittel zu bestehenden Therapien.

Die Behandlung ist sehr nebenwirkungsarm und es gibt seit über 30 Jahren Langzeiterfahrungen mit diesem Medikament in anderen Fachbereichen, zum Beispiel in der Neurologie.

Ketamin als Alternative

Zufällig merkten Forscher bei einer Studie zu einem anderen Thema, dass Ketamin stimmungsaufhellend wirkt: «Die Probanden waren euphorisch, gut gelaunt, und das über mehrere Tage», erzählt Psychiater Gregor Hasler von den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD). Unterdessen ist die Wirkung von Ketamin als Antidepressivum gut erforscht. An der UPD in Bern wird es seit knapp zwei Jahren angewendet.

Verbreitung und Verfügbarkeit

In den USA wird Botox schon länger gegen Depressionen gespritzt. Wie sieht es in der Schweiz aus? Nach meiner Beobachtung ist das eher selten der Fall. Mir liegen aber keine verlässlichen Zahlen vor.

Die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) bieten Botox gegen Depressionen seit etwa einem halben Jahr an, auch ambulant. Der Bedarf an neuen Therapien sei gross, sagt Hasler. Es gebe Menschen mit Depressionen, die auf keine der heutigen Mittel reagierten.

Es ist jedoch nur ein vergleichbar kleines Angebot. Weil die Studienlage überzeugend und die Methode so einfach und ungefährlich waren.

Kritische Betrachtung

Wer mit Botox seine Gesichtsmuskeln lahm legt, soll laut Dr. Rimka das Empathiezentrum im Gehirn zerstören. Wissenschaftliche Beweise dafür gibt es nicht.

Für Dr. Rimkas ursprüngliche Aussage - die Behauptung, dass Botox das Zentrum für Empathie im Gehirn zerstört - gibt es aktuell keine wissenschaftlichen Beweise oder Untersuchungen.

Ein Gesicht mit zu viel Botox kann emotionslos wirken, weil der Ausdruck fehlt.

Wollmer hofft, dass Botox zu einer neuen Waffe im Kampf gegen Depressionen wird. Allerdings müssten die Resultate der vorliegenden Pilotstudie zuerst noch in grösseren Untersuchungen bestätigt werden. Die Wirkungsweise ist ebenfalls noch unklar. Die Forscher vermuten, dass sich die Mimik und die Stimmung eines Menschen gegenseitig beeinflussen. Emotionen wie Ärger, Angst oder Traurigkeit, die bei depressiven Menschen häufig sind, führen zur Aktivierung von Muskeln in der unteren mittleren Stirn.

Botox bei Depressionen ist eine vielversprechende, neue Therapieform, die vielen Menschen helfen kann, ihre Symptome zu lindern.

Prof. Dr. med. Cattapan, stv.

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