Neid- und Statusgefühle sind machtvolle Emotionen. Viele Menschen sind von diesen Gefühlen manchmal ergriffen, manche Menschen sogar sehr häufig. Neid ist das Leiden am „Erfolg“ der Anderen beziehungsweise am eigenen „Misserfolg“ relativ zur „Leistung“ der Anderen.
Die Definition von „Erfolg“ bzw. „Misserfolg“ ist in diesem Zusammenhang sehr allgemein. Der „Erfolg“ des anderen, der Referenzperson mit der man sich vergleicht, kann einfach darin bestehen, ein grosses Vermögen geerbt zu haben. Der „Erfolg“ kann darauf zurückzuführen sein, dass der Andere zum richtigen Zeitpunkt zufällig am richtigen Ort war. Der relative „Erfolg“ der Vergleichsperson kann auch durch den besonderen Einsatz dieser Person oder durch eigenes Versagen im Wettbewerb verursacht sein.
Die Verbindung zwischen Neid und Status
Neid- und Statusgefühle sind eng miteinander verwandt. Wenn jemand gegenüber einer anderen Person einen niedrigeren Status besitzt und unter diesem Statusnachteil leidet, dann liegt in der Regel auch ein Neidgefühl vor. Es gibt aber auch die Kehrseite des Leidens an einem niedrigen Status - die Freude an einem überlegenen Status. Menschen, denen Status wichtig ist, zeichnen sich manchmal durch beides aus: Sie leiden an einem unterlegenen Status und geniessen das aus einem besseren Status resultierende Überlegenheitsgefühl.
Es ist interessant, dass diese Freude am überlegenen Status gerade das Gegenteil von Ungleichheitsaversion, nämlich Freude an der Ungleichheit impliziert. Der Statusvorteil einer Person kann sehr unterschiedliche Ursachen haben. Er kann, beispielsweise, auf einer besseren beruflichen Position, auf einem höheren Einkommen oder Vermögen, auf einer höheren Wertschätzung durch gemeinsame Freunde und Bekannte oder auf einem höheren „demonstrativen“ Konsum beruhen. Wer an einem Statusnachteil leidet, der neidet in der Regel der Vergleichsperson jenes Attribut, das den Statusnachteil erzeugt.
Die Eigenschaften von Neid und Statusgefühlen
Neid und Statusgefühle zeichnen sich durch zwei interessante Eigenschaften aus. Es sind sozial geächtete Gefühle und deshalb wird selten explizit zugegeben, dass man diese Gefühle hat oder dass man durch diese Gefühle zu bestimmten Handlungen motiviert ist. Ausserdem haben sie oft einen „lokalen“ Charakter. Die meisten Menschen empfinden keinen Neid gegenüber einem Spitzenpolitiker oder einem Verwaltungsratsvorsitzenden eines grossen Unternehmens, da für sie diese Positionen völlig ausserhalb ihrer Reichweite liegen. Viel mehr Personen empfinden jedoch Neidgefühle gegenüber einer erfolgreichen Person in ihrer näheren Umgebung - gegenüber einem früheren Schulkollegen, einem Nachbarn oder einer Arbeitskollegin, die befördert wurde.
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Empirische Belege für die Wichtigkeit von Neid- und Statusorientierung
Es gibt viele empirische Belege für die Wichtigkeit von Neid- und Statusorientierung. Wer hat nicht schon Kleinkinder beobachtet, die einen ausgeprägten Neid auf ein Neugeborenes Geschwister haben, da das Neugeborene zwangsläufig mehr Pflege und Aufmerksamkeit der Eltern bekommt. Wer hat nicht schon neidige Arbeitskollegen oder Nachbarn erlebt, die anderen den Erfolg missgönnen. Und haben nicht viele von uns schon Personen erlebt, denen es nicht darauf ankommt, eine Sache gut zu erledigen, sondern die Sache besser als die anderen zu erledigen. Besser sein zu wollen als die anderen ist ein Beleg für Statuskonkurrenz. Die Bedeutung von Neid und Statusorientierung ist aber nicht immer nur auf die nähere lokale Umgebung beschränkt. Sie spielt auch im politischen Leben eine wichtige Rolle - wenn es beispielsweise um die Festlegung von Steuertarifen geht.
Oder wenn es um die Zuteilung von Rechten an bestimmte Personengruppen geht. Neben Alltagserfahrungen gibt es auch überzeugende wissenschaftliche Evidenz für die Bedeutung von Neid- und Statusorientierung. Die beiden britischen Ökonomen Andrew Clark und Andrew Oswald haben gezeigt, dass die Zufriedenheit von Arbeitnehmern mit ihrem Arbeitsplatz signifikant sinkt, wenn das Einkommen von anderen Arbeitnehmern, mit denen sie sich vergleichen, steigt. Es ist also nicht nur das eigene Einkommen, das die Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz beeinflusst, sondern die Höhe des Einkommens von relevanten Vergleichspersonen beeinflusst die eigene Arbeitszufriedenheit negativ.
Die Psychologen Loewenstein, Bazerman und Thompson haben nachgewiesen, dass Menschen im allgemeinen eine stark ausgeprägte Aversion dagegen haben, weniger Einkommen als relevante Referenzpersonen zu erhalten. Diese Aversion ist besonders einfach und überzeugend in Experimenten nachzuweisen, in denen nur 2 Personen involviert sind, da die relevante Referenzperson hier immer der jeweils andere Experimentteilnehmer ist. Die Teilnehmer an den Experimenten von Loewenstein et al. mussten angeben, welche Verteilungen der Erträge aus einem gemeinsam durchgeführten Projekt sie präferieren und gegen welche Verteilungen sie eine besondere Ablehnung empfinden.
Das Ultimatumspiel
Es gibt auch direkte Evidenz, dass viele Menschen bereit sind, ungleiche Einkommensverteilungen zv verhindern, selbst wenn sie dafür eigene Ressourcen aufwenden müssen. Das in der Wissenschaft wohl bekannteste Beispiel für diese Bereitschaft ist das gut dokumentierte Verhalten von Versuchspersonen in sogenannten Ultimatumspielen. Das Ultimatumspiel wurde von Güth et al. erfunden und funktioniert nach folgenden Regeln: Zwei anonym miteinander verkehrende Personen, Person A und Person B, müssen einen fixen Geldbetrag (z.B. 100 Franken) nach folgenden Regeln untereinander aufteilen: Person A kann genau einen Vorschlag zur Aufteilung der 100 Franken machen. Person B muss dann sagen, ob die vorgeschlagene Aufteilung akzeptiert wird oder nicht.
Falls B akzeptiert wird der Vorschlag von A realisiert, falls B ablehnt, erhalten beide, A und B, nichts. Wenn Person B nur an der eigenen Geldauszahlung interessiert ist, wird sie keinen Aufteilungsvorschlag, der ihr mehr als Null Franken zugesteht, ablehnen. Wenn Person B aber eine Aversion gegen ungleiche Verteilungen hat, d.h. wenn sie ungleiche Verteilungen in dieser Situation als ungerecht empfindet, dann ist sie bereit, auf positive Geldauszahlungen zu verzichten, wenn diese nur durch das Akzeptieren von ungleichen Aufteilungen erreichbar wären. B wird dann vielleicht einen Vorschlag „80 für A und 20 für B“ ablehnen, obwohl dies den Verlust von 20 Franken mit sich bringt. Der „Ertrag“ von B besteht in diesem Falle darin, eine ungleiche Auszahlung verhindert zu haben.
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In Hunderten von derartigen Experimenten wurde tatsächlich nachgewiesen, dass Vorschläge, die den B’s weniger als 20 Prozent des Gesamtbetrages geben, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit abgelehnt werden.
Soziophysiologische Experimente
Abschliessend möchte ich hier noch einen besonders überzeugenden empirischen Beleg für die Bedeutung von Statusorientierungen vorlegen. Soziophysiologische Experimente von Long et al. zeigen, dass Interaktionen von Individuen mit Personen, die höheren Status besitzen, im autonomen Nervensystem unangenehme Erregungszustände hervorrufen. Sowohl der Blutdruck als auch die Geschwindigkeit des Herzschlags ist signifikant höher, wenn man mit Personen, die über einen Statusvorteil verfügen, verkehrt.
Neurophysiologische Experimente von McGuire et al. mit Affen und mit Menschen zeigen, dass Statusvorteile mit höheren Blutkonzentrationen des Neurotransmitters Serotonin einhergehen. Serotonin erfüllt im menschlichen und tierischen Organismus wichtige Funktionen und ein Mangel an Serotonin erzeugt bei Menschen Gefühlsstörungen, Schlafstörungen, leichte Irritierbarkeit und erhöhte Aggressivität. In den Experimenten mit Affen konnte sogar nachgewiesen werden, dass die höheren Serotoninwerte eine Folge von Statusvorteilen sind. Wenn man die Tiere mit überlegenem Status von der Gruppe entfernt, sinken ihre Serotoninwerte ab, während jene Tiere die anschliessend die dominante Position in der Gruppe einnehmen, höhere Serotoninwefte als vorher erzielen.
Evolutionäre Aspekte von Neid und Status
Es ist ein Grundprinzip evolutionärer Prozesse, Präferenzen und Verhaltensorientierungen zu selektieren, die eine hohe materielle Auszahlung zur Folge haben. Man kann davon ausgehen, dass Verhaltensorientierungen die eine hohe materielle Auszahlung erzeugen, eher imitiert werden und sich stärker vermehren. Dies wirft die Frage auf, warum neid- und statusorientiertes Verhalten im evolutionären Prozess überhaupt überlebt. Diese Verhaltensweisen zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie nicht die materielle Auszahlung des Individuums maximieren. Neidige Personen sind bereit, materielle Ressourcen aufzuwenden, um den beneideten Personen zu schaden. Statusorientierte Personen sind auch bereit materielle Ressourcen aufzuwenden, um anderen zu schaden, wenn sie dadurch einen Statusvorteil erlangen.
Sollte man daher nicht erwarten, dass Neid- und Statusorientierung langfristig aussterben, da sie Verhaltensweisen erzeugen, die individuell kostspielig sind und daher nicht die eigene materielle Auszahlung maximieren. Die Antwort auf diese Fragen ist ein ziemlich eindeutiges Nein. Es gibt nämlich viele wichtige soziale Situationen, in denen es unter Aufwendung geringer Kosten möglich ist, anderen stark zu schaden. Beispiele für solche soziale Situationen findet man in vielen ethnographischen Beschreibungen von einfachen menschlichen Gesellschaften. Personen, die es in Gesellschaften zu relativem Reichtum gebracht haben, sehen sich häufig dem - unausgesprochenen - Verdacht ausgesetzt, dass ihr Reichtum illegitim erworben wurde. Deshalb wird den Wohlhabenden oft der Vorwurf der Hexerei und Magie gemacht - mit fatalen Folgen für ihren materiellen Vorteil oder gar ihr physisches Überleben.
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In diesen Gesellschaften ist es sehr leicht und wenig kostspielig das latente Missbehagen der weniger Reichen durch Gerüchte und Klatsch zu schüren. Die Evolution begünstigt jene Verhaltensorientierungen, die - relativ zu allen vorhandenen (und potentiell durch Mutation möglichen) Verhaltensorientierungen - die grösste materielle Auszahlung erzielen. Wenn neidige und statusbewusste Personen daher Aktivitäten entfalten, deren Kosten geringer sind als der Schaden, den sie bei den anderen anrichten, können sie einen evolutionären Vorteil erzielen. Neuere spieltheoretische Forschungsergebnisse belegen, dass es eine grosse Klasse von sozialen Situationen gibt, in denen neidige und statusorientierte Individuen eine höhere materielle Auszahlung erzielen als Individuen, die nur ihre eigene materielle Auszahlung maximieren wollen.
Die Auswirkungen auf Wettbewerbsmärkte
Manche Autoren, die über Neid und Status nachgedacht haben, sind der Ansicht, dass diese Verhaltensorientierungen in einer Marktwirtschaft unschuldig sind, ja dass sie im Regelfall sogar positive Folgen zeitigen. In einer Marktwirtschaft resultierten Neid und Status lediglich in einer grösseren Anstrengung derjenigen, die durch solche Motive bewegt werden. Und das sei doch schliesslich positiv. Im folgenden werde ich jedoch zeigen, dass dieses Argument im allgemeinen falsch ist. Neid- und Statusorientierung erzeugen eine gravierende Beeinträchtigung der Effizienz von Märkten, die es nahelegt, den Marktmechanismus durch institutionelle Regelungen zu beschränken.
Genauer gesagt, lässt sich zeigen, dass in jenen Bereichen, in denen Wettbewerbsmärkte effizient funktionieren würden, wenn es keine Neid- und Statuspräferenzen gäbe, diese Präferenzen die Effizienz von Wettbewerbsmärkten beeinträchtigen. Ironischerweise lässt sich aber auch zeigen, dass in jenen Bereichen, in denen der Markt im allgemeinen nur eingeschränkt oder gar nicht funktioniert, Neid und Statuspräferenzen die Effizienz verbessern.
Ein Beispiel: Autokäufe und Prestige
Die Beeinträchtigung der Effizienz von Wettbewerbsmärkten lässt sich am besten an einem Beispiel illustrieren, bei dem zwei Nachbarn mittels ihrer Autokäufe um Prestige und Status wetteifern. Der Einfachheit wegen unterstellen wir, dass es zwei Autokategorien gibt: das Normalauto und das teurere Prestigeauto. Der Nettonutzen des Normalautos sei für beide Nachbarn 5. Das Prestigeauto sei kein reines Prestigeobjekt; es habe auch einen realen Zusatznutzen von 2 Einheiten aufgrund höheren Fahrkomforts. Allerdings ist das Prestigeauto auch teurer und kostet zusätzlich 5 Nutzeneinheiten.
Jeder Nachbar reduziert somit seinen Nettonutzen um 3 Einheiten, wenn beide das Prestigeauto kaufen. Deshalb, so würde man meinen, wird doch keiner so dumm sein, und das Prestigeauto kaufen. Dem ist jedoch nicht so, da es neben den normalen Nutzen und Kosten aus dem Kauf des Prestigeautos ja auch noch Statusnutzen und -kosten gibt. Nehmen wir also an, dass jeder einen Nutzen aus dem Statusvorteil von 5 Einheiten hat und einen Schaden aus dem Statusnachteil von 4. Das heisst, beispielsweise, dass wenn Nachbar A das Prestigeauto, Nachbar B aber nur das Normalauto hat, Nachbar A einen Statusgewinn von 5 aus dem höheren Prestige hat, während Nachbar B einen Nutzenverlust von 4 aus dem Statusnachteil hat.
Es ist nun leicht zu sehen, dass Nachbar A einen Anreiz hat, statt des Normalautos das Prestigeauto zu kaufen, denn dieses hat zwar Zusatzkosten von 5, bringt aber einen Nutzen aus dem höheren Fahrkomfort von 2 und einen Nutzen aus dem Statusgewinn von 5. Der Nettonutzen von Nachbar A steigt somit insgesamt um 2 Einheiten wenn er allein das Prestigeauto kauft. Nachbar B sieht sich jedoch genau denselben Anreizen ausgesetzt. Unabhängig davon, welches Auto A kauft, erzielt Nachbar B auch einen Nettonutzenzuwachs wenn er statt dem Normalauto das Prestigeauto kauft.
Falls A, beispielsweise, das Prestigeauto bereits gekauft hat, beträgt für B dieser Zuwachs 1 Einheit (+2 aus dem höheren Fahrkomfort, +4 weil das Prestigeauto einen Statusnachteil verhindert, und -5 wegen der höheren Kosten des Prestigeautos). Da also beide Akteure einen individuellen Anreiz haben, das Prestigeauto zu kaufen, weil sie dadurch einen Statusvorteil erzielen bzw. einen Statusnachteil abwenden können, kommt für beide ein inferiores Ergebnis zustande. Das Prestigeauto des jeweils anderen neutralisiert den Statusgewinn.
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