Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist eine psychische Erkrankung, die durch instabile zwischenmenschliche Beziehungen, starke Stimmungsschwankungen, ein verzerrtes Selbstbild und impulsives Verhalten gekennzeichnet ist.
Merkmale der Borderline-Persönlichkeitsstörung
- Instabile zwischenmenschliche Beziehungen: Personen mit BPS haben oft sehr intensive, aber wechselhafte Beziehungen. In engen Beziehungen bestehen ausgeprägte Ängste vor Zurückweisung und Verlassenwerden.
 - Verzerrtes Selbstbild: Menschen mit BPS haben oft Schwierigkeiten, ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln. Ebenso unbeständig ist die Selbstwahrnehmung, wobei kein dauerhaftes Gefühl für die eigene Identität entwickelt werden kann.
 - Impulsives Verhalten: Es kann zu impulsiven Handlungen kommen, wie etwa riskantem Verhalten, unkontrollierten Ausbrüchen oder selbstschädigendem Verhalten. Die Impulsivität kann sich in unterschiedlichen Bereichen zeigen, beispielsweise in Essanfällen, Selbstverletzungen, Substanzmissbrauch, Promiskuität und erhöhter Risikobereitschaft.
 
Die genaue Ursache der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist nicht vollständig verstanden, aber es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen, biologischen und psychosozialen Faktoren eine Rolle spielt.
Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist behandelbar, wobei psychotherapeutische Ansätze wie die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) und die Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) besonders wirksam sein können. Diese Therapien zielen darauf ab, den Umgang mit Emotionen zu verbessern, zwischenmenschliche Fähigkeiten zu stärken und impulsives Verhalten zu kontrollieren.
Borderline und Kinderwunsch
Borderline-Persönlichkeitsstörungen sind schwerwiegende Störungen im Selbsterleben und in interpersonellen Beziehungen. Die typischen Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen führen im Übergang zur Mutterschaft zu besonderen Problemen und können sich auf die Entwicklung des Kindes schädlich auswirken.
BPS gehören zu den häufigsten Persönlichkeitsstörungen und haben eine Prävalenz von 2,7% in der Allgemeinbevölkerung. In klinischen Settings betreffen etwa zwei Drittel aller Diagnosen Frauen, während sich in der Allgemeinbevölkerung keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Häufigkeit von BPS zwischen Männern und Frauen feststellen lassen.
Lesen Sie auch: "Borderline": Drehorte und ihre Bedeutung
Das Krankheitsbild ist durch Störungen in den Bereichen der Affektivität, Steuerungsfähigkeit, Kognition und zwischenmenschlichen Beziehungen gekennzeichnet. Typische Symptome sind intensive, überflutende Affekte, insbesondere von Ärger und Wut, sowie starke und schnelle Stimmungsschwankungen. Heftige, schwer regulierbare Emotionen wechseln mit anhaltenden Gefühlen innerer Leere.
Diese ermöglicht eine dimensionale Einschätzung der Persönlichkeit anhand des Funktionsniveaus in den Bereichen der Identität, Selbststeuerung, Nähe, Empathie, Wechselseitigkeit. Ein Vorteil dieser Klassifikation im Gegensatz zur bisherigen kategorialen Diagnostik ist die Möglichkeit, Persönlichkeitsstörungen in einem Kontinuum zwischen Normalität über leichte bis zu schwerer Pathologie einteilen zu können.
Die für das Störungsbild typische Instabilität lässt sich durch den übermässigen Gebrauch von unreifen Abwehrmechanismen erklären. Insbesondere Spaltung, Verleugnung, Projektion, projektive Identifizierung sowie Idealisierung und Entwertung spielen dabei eine wichtige Rolle. Spaltungsmechanismen zeigen sich beispielsweise in Schwarz-Weiss-Denken, bei dem positive von negativen Selbst- und Objektrepräsentanzen getrennt gehalten werden.
Die Patienten schwanken zwischen idealisierenden Bildern von anderen hin zu Entwertungen, die besonders dann entstehen, wenn ihre Wünsche nach möglichst grenzenloser Anerkennung und Liebe enttäuscht werden. Zusammen mit der Impulsivität der Patienten bergen diese Faktoren ein hohes Risiko für vorzeitige Therapieabbrüche. Aber auch in anderen interpersonellen Beziehungen der Patienten werden solche Probleme offenbar, beispielsweise am Arbeitsplatz, in Partnerschaften sowie in den Beziehungen zu den eigenen Kindern.
Es gibt jedoch Hinweise, dass akzentuierte Persönlichkeitszüge und Persönlichkeitsstörungen bei Müttern in der Perinatalzeit das Risiko für die Entwicklung einer postpartalen Depression verdoppeln. Insgesamt ist die Peripartalzeit, definiert als die Zeit während der Schwangerschaft bis zu einem Jahr post partum, eine besonders vulnerable Zeit für die psychische Gesundheit von Frauen, mit verstärktem Auftreten von depressiven und ängstlichen Symptomen.
Lesen Sie auch: Ursachen und Symptome der BPS
Mütter mit BPS erleben in ihrer frühen Mutterschaft mehr Stress und fühlen sich in ihrer Elternrolle inkompetenter als Mütter ohne BPS. Sie haben verstärkt Schwierigkeiten in der Emotionsregulation und zeigen gegenüber ihren Kindern mehr feindseliges und überbehütendes Verhalten. Im Kontakt mit ihren Kindern erleben sie mehr negative Affekte als gesunde Mütter, vor allem Angst und Frustration.
Frauen mit BPS haben mit grösserer Wahrscheinlichkeit ungeplante Schwangerschaften und Teenagerschwangerschaften und verfügen über geringere Unterstützung durch das nähere Umfeld und die Familie. Sie erleben häufiger partnerschaftliche Konflikte und beklagen öfter als gesunde Frauen die fehlende Unterstützung durch ihre Partner.
Frauen mit BPS haben häufig in ihrer Entwicklung multiple, bindungsbezogene Traumata erlebt, wie emotionalen, physischen und sexuellen Missbrauch sowie Vernachlässigung in der Beziehung zu ihren engen Bezugspersonen. Entsprechend gross kann das Bedürfnis sein, mit dem eigenen Kind eine bessere Erfahrung zu machen. Die Fantasien, das Baby als ideale Mutter vollkommen zu versorgen, sollen für die eigenen Erfahrungen von Mangel entschädigen oder diese gleichsam ungeschehen machen.
Mütter mit BPS können ihre Schwangerschaften zunächst als stabilisierend erleben: Ängste vor Trennung und Verlassenheit werden durch die Symbiose mit dem Baby abgemildert. Die Mutterrolle gibt vor dem Hintergrund des unsicheren Gefühls für das eigene Selbst Halt und Orientierung. Zusammen mit dem Wunsch, es als Mutter besser zu machen als die eigene Mutter früher, kann zu einer vordergründigen Stabilisierung und einem Rückgang von Impulsivität und selbstverletzendem Verhalten führen.
Neben äusseren Gründen - zum Beispiel, dass die Schwangerschaft ungewollt oder innerhalb einer instabilen, vielleicht missbräuchlichen Partnerschaft entstanden ist - werden frühe Erfahrungen wieder wach und können heftige negative, vor allem aggressive Affekte gegen das Kind auslösen. Ängste, das Kind durch die eigene Aggression zu beschädigen, können überwältigend werden und sich manchmal in einer langwierigen Verleugnung der Schwangerschaft äussern.
Lesen Sie auch: Einblicke in Borderline - Grenzenlose Verbrechen
In manchen Fällen werden solche Schwierigkeiten konkret sichtbar, zum Beispiel, wenn das Kind ein anderes Geschlecht hat, als von den Eltern erwartet und gewünscht wurde.
Während der Schwangerschaft übt die Mutter diese Funktion auf der körperlichen Ebene aus, wenn sie über die Plazenta die vom Fötus ausgeschiedenen, giftigen Substanzen in ihren eigenen Blutkreislauf aufnimmt und über ihre Organe, vor allem Leber und Nieren, verstoffwechselt und ausscheidet. Postnatal laufen ähnliche Prozesse auf der emotionalen Ebene ab: Die Mutter muss die unverdauten Affekte des Babys in sich aufnehmen, in ihrer Psyche verarbeiten und dem Säugling in einer veränderten, bekömmlichen Form wieder zuführen.
Gerade Mütter mit schwerwiegenden strukturellen Störungen (BPS) haben kaum die Erfahrung gemacht, dass solche überwältigenden Emotionen in der frühen Kindheit mithilfe einer Bezugsperson verarbeitet werden konnten. Sie sehen sich jetzt nicht nur den eigenen, wieder wachgerufenen Emotionen ausgesetzt, sondern haben ausserdem die Aufgabe, den vollständig auf sie angewiesenen Säugling zu beruhigen.
Kann diese Erfahrung vom kleinen Kind immer wieder gemacht werden, entwickelt es selbst die Fähigkeit, seine rohen Affekte zu verändern und zu denken. Da Patientinnen mit schweren strukturellen Störungen diese Erfahrungen mit ihren primären Bezugspersonen nur unzureichend machen konnten, konnten sie diese wenig entwickeln und auch für ihre eigenen Kinder schwer ausüben.
Während Mütterlichkeit im Allgemeinen mit warmen, fürsorglichen Gefühlen assoziiert ist, wecken die beschriebenen Anforderungen an die Mutter und die Konfrontation mit ihren ungelösten Konflikten und unerfüllten Bedürfnissen jedoch auch starke negative Affekte wie Wut, Hass, Ängste und Trauer. Frauen, die wenig Ambivalenz tolerieren können, werden von diesen Affekten schnell überflutet. Potenziert wird die Affektflut durch nachfolgende Gefühle von Scham und Schuld, als Mutter nicht gut genug zu sein.
Schwierigkeiten in den Aufgaben der Differenzierung und Trennung werden mit zunehmendem Alter der Kinder offenbar. Mütter mit BPS erleben die sich entwickelnde Eigenständigkeit ihrer Kinder schnell als Zurückweisung. Notwendige Ablösungsprozesse, die natürlicherweise mit mehr oder weniger starker Aggression verbunden sind, sind beängstigend und bestätigen die Patientinnen, nicht liebenswert zu sein und als Mütter versagt zu haben.
Nach der Geburt sind Frauen besonders anfällig für depressive Verstimmungen. Besonders häufig ist die Wochenbettdepression - auch postnatale oder postpartale Depression genannt. Sie kommt bei 10 bis 15 Prozent aller Mütter vor - etwas häufiger als Depressionen in anderen Lebensumständen. Bei Frauen, die schon früher Erfahrungen mit Depressionen gemacht haben, ist das Risiko grösser. Das Stimmungstief macht sich im Zeitraum von zwei Wochen bis etwa sechs Monaten nach der Geburt bemerkbar. Betroffene Frauen leiden unter verschiedenen Beschwerden, unter anderen etwa Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Leeregefühl, der Unfähigkeit, sich zu freuen, Schlafstörungen und Ängsten.
Nicht zu verwechseln ist eine postpartale Depression mit dem Babyblues, der aufgrund der hormonellen Umstellung bei rund drei Vierteln aller Frauen einige Tage nach der Geburt auftritt. Er äussert sich typischerweise durch unvermittelte Tränenausbrüche. In der Regel legt sich der Zustand innert weniger Tage von alleine wieder.
Wie alle anderen Menschen können auch Frauen in der Schwangerschaft und nach der Geburt von diversen weiteren psychischen Erkrankungen betroffen sein: Schizophrenien, Angststörungen, Manien oder Borderline-Syndrom. Wenn Frauen die Schwangerschaft als Belastung empfinden, kann das jegliche Art psychischer Erkrankungen verstärken.
Denn für das ungeborene oder neugeborene Kind können die Auswirkungen weitreichend sein: In wissenschaftlichen Studien findet man Hinweise darauf, dass gesundheitliche Komplikationen während der Schwangerschaft und bei Neugeborenen im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen der Mutter gehäuft auftreten. Zudem sind Kinder von nach der Geburt depressiven Müttern stärker gefährdet, später ein hyperaktives oder aggressives Verhalten zu entwickeln oder selber an Depressionen zu erkranken. Und sie weisen tendenziell einen tieferen Intelligenzquotienten auf.
Umso wichtiger ist es, dass Hebammen und andere Fachpersonen gut auf entsprechende Probleme vorbereitet sind. Studentinnen des Bachelorstudiengangs Hebamme am Departement Gesundheit befassen sich deshalb bereits in den ersten beiden Semestern mit psychologischen Grundlagen, später mit Psychopathologie und Behandlungsmöglichkeiten. Sie lernen Instrumente kennen wie etwa einen Fragebogen mit Kriterien, die auf eine Depression hinweisen und den Schweregrad ermitteln. Wenn eine Wöchnerin etwa Tränen in den Augen hat, viele Fragen stellt, unsicher und bedrückt wirkt und unter Schlafstörungen leidet, obwohl das Baby mehrere Stunden am Stück schläft, sollten die Hebammen hellhörig werden.
Zum Beispiel, indem sie einfühlsam auf die Frau eingeht, sie dabei unterstützt, andere Personen um Entlastung zu bitten, und die Beziehung zum Kind fördert. Einfache Verhaltensweisen, die psychisch stabile Mütter meist intuitiv entwickeln, müssen bei depressiven Müttern manchmal angeleitet werden: etwa beim Wickeln mit dem Kind Blickkontakt zu halten und mit ihm zu sprechen. Hebammen können zudem anbieten, ihre Betreuungszeit zu verlängern.
Sie sollten die Frauen motivieren und unterstützen, einen Arzt oder Psychologen aufzusuchen oder wenn nötig sogar in eine Klinik einzutreten. Wichtig sei zudem, stets die Suizidgefahr im Auge zu behalten und die Frauen direkt nach Suizidgedanken zu fragen. Ein absolutes Alarmzeichen ist, wenn die Frau eine Wochenbettpsychose mit verzerrter Wahrnehmung der Realität entwickelt. Das kann für das Kind gefährlich sein.
Da ihr Partner selbstständig erwerbend ist, konnte er länger zu Hause bleiben als die meisten Väter. Am meisten hat es mir geholfen, wenn jemand mir sagte: Du kannst nichts dafür. Der Arzt schrieb sie nach dem Mutterschaftsurlaub noch für zwei Monate krank. Es dauerte etwa ein Jahr, bis ich wieder mich selber war, blickt die junge Mutter zurück.
Beispiele aus dem Leben
Mia war ein Wunschkind. Die Schwangerschaft war problemlos verlaufen. «Ich freute mich auf das Baby», erzählt Barbara Müller, die wie ihr Kind eigentlich anders heisst. Doch etwa zwei Wochen nach der Geburt habe sie sich zunehmend überfordert gefühlt. «Ich weinte viel und hatte Angst, mit meiner Tochter alleine zu sein. Die Verantwortung hat mich fast erdrückt.» Dazu kam der Schlafmangel. Obwohl Mia verglichen mit anderen Babys eher wenig aufwachte in der Nacht, fühlte sich die Mutter häufig müde. Nach dem Stillen konnte sie oft nicht wieder einschlafen. «Ich hatte massive Schuldgefühle, weil ich befürchtete, das Kind leide unter meinen psychischen Problemen», blickt die 38-Jährige zurück.
Es war schliesslich die Mütterberaterin, die erkannte, dass Barbara Müller Hilfe brauchte. Sie ermutigte sie, sich Entlastung zu organisieren. Fortan kam ihre Mutter regelmässig vorbei und nahm ihr das Baby ab. Zudem arbeitete sie mit ihrem Partner eine Art Dienstplan aus. Sie hielten genau fest, wer wann für Mia zuständig ist. So kam die junge Mutter regelmässig zu Pausen, in denen sie spazieren gehen oder ungestört Zeitung lesen konnte.
Salome Balasso kommt eines Abends frustriert nach Hause, sie hat das Gefühl, von den Leuten im Zug ausgelacht worden zu sein. Sie werde sich umbringen, droht sie ihrem Partner Christian Heiniger. Er sitzt im Schneidersitz auf dem Boden, lächelt. Er lächelt weiter. «Ist die Tasche leer?», fragt er. Sie droht nochmals, sich umzubringen. «Wenn du das unbedingt willst, dann mach das», sagt er. Aus Trotz bleibt sie am Leben.
Salome lebt ein Leben in Extremen: Sie denkt in Schwarz und Weiss, in Gut und Böse. Ein falsches Wort, und sie explodiert. Ohne Vorwarnung kippt ihre Stimmung, sie schwankt zwischen Liebe und Hass, unbegrenzter Energie und endloser Leere. Um die Zustände intensiver Anspannung auszuhalten, greift sie zum Messer, verletzt sich, um sich selbst wieder zu spüren. Aus Verzweiflung droht sie mit dem Tod.
Die offizielle Diagnose lautet: Borderline. Borderline gilt als besonders rätselhafte psychische Störung. Kaum eine Krankheit ist denn auch mit so vielen Stigmata behaftet. Das schlimmste Vorurteil: Borderline sei unheilbar.
Für Salome ist die Beziehung mit Christian ihre erste feste. Alles vor ihm seien Jugendschwärmereien gewesen, sagt die 31-Jährige, als wir sie in Zürich zum Gespräch treffen. Die beiden widerlegen das Klischee, dass Borderliner keine stabilen Beziehungen führen können. Seit zwölf Jahren sind sie zusammen.
Zu ihren Eltern hatte sie damals eine schwierige Beziehung. Salome wuchs in einer kleinen Wohnung auf. Der Vater war depressiv, die Mutter litt an Zwangsstörungen und Angstzuständen. Sie war ständig besorgt um ihr kleines Mädchen, liess ihr wenig Freiheiten, bemutterte sie. Der grosse Bruder dagegen durfte alles.
Im Gegensatz zu ihren Eltern wollte Christian sie nicht behüten. Wenn sie überreagierte oder eine Situation falsch einschätzte, wies er sie darauf hin. Verstand sie seinen Standpunkt nicht, nahm er sich Zeit, mit ihr zu diskutieren. «Er hat mich als starke Frau gesehen, nicht als Opfer», sagt sie. Dadurch begann Salome, ihm zu vertrauen, sich zu öffnen.
Weil er ihr nicht länger alles abnehmen konnte, musste sie Verantwortung übernehmen. Sie besuchte ihn jeden zweiten Tag im Spital. Ein Anker wird die Selbsthilfegruppe, die jeden Montag zusammenkommt. Acht Jahre lang verpasste sie keine Sitzung. Heute leitet sie selbst eine Gruppe und hat eine Weiterbildung für Fachpersonen ins Leben gerufen. Indem sie ihre Geschichte erzählt, will sie Betroffenen helfen - und zur Entstigmatisierung der Krankheit und von Patienten beitragen.
Christian gab ihr die nötige Sicherheit und Ruhe, Salome erfüllte ihn mit Energie und Lebensfreude.
Der 37-jährige Christian Heiniger hat keine therapeutische Ausbildung absolviert. Weshalb ist es ihm trotzdem gelungen, seiner Partnerin Sicherheit zu geben? Er habe sich intensiv mit Borderline auseinandergesetzt und Studien gelesen, um eine geeignete Therapiemöglichkeit zu finden, sagt er. Die «stoische Haltung» lernte er in Asien. Dort beschäftigte er sich intensiv mit der buddhistischen Theorie der Achtsamkeit, die auch die heutigen Borderline-Therapieformen inspiriert hat.
Zu Beginn der Beziehung trafen die beiden eine Abmachung: Christian werde Salome nicht in die Therapie einweisen lassen, wenn sie einen schlechten Tag habe. Er werde nicht die Ambulanz rufen, wenn sie sich selbst verletze - ausser sie schwebe in Lebensgefahr. Er hielt sein Wort. Wenn Salome sich schnitt, blieb er ruhig, holte das Verbandzeug und verarztete sie.
Salomes grösste Angst war, verlassen zu werden. Sie testete, wie weit sie gehen konnte, bis er sie im Stich liess. Doch Christian tat immer das Gegenteil von dem, was sie von ihm erwartete. Wies sie ihn zurück, umarmte er sie. War sie böse zu ihm, lächelte er. Drohte sie damit, sich das Leben zu nehmen, reagierte er mit gespielter Gleichgültigkeit. «So zu tun, als sei es mir egal, hat mich manchmal fast zerrissen», sagt er.
Krisen gibt es weiterhin, besonders wenn beide einen miesen Tag haben. Kleinigkeiten werden über Tage ausdiskutiert, jedes Gefühl im Detail analysiert. «Ich bin manchmal sehr direkt mit ihr.» Sie streiten sich, diskutieren, reiben sich aneinander. Doch diese Reibereien erzeugen auch Wärme. Christian sagt: «Wir verlieben uns ständig neu, weil es Momente gibt, in denen wir uns nicht ausstehen können.»
Ungefähr zwei Prozent der Bevölkerung leben mit dem Borderline-Syndrom, das zu den emotional-instabilen Persönlichkeitsstörungen zählt. Ohne ersichtlichen Grund befällt die Patienten oft eine unerträgliche innere Spannung. Viele verletzen sich selbst, um dem quälenden Zustand zu entfliehen. Zwei Drittel der Betroffenen begehen immer wieder Suizidversuche.
Sebastian Euler ist Borderline-Experte. Der Psychiater am Universitätsspital Zürich war federführend bei den Behandlungsempfehlungen der Schweizer Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie. Er sagt: «Häufig waren wichtige Bezugspersonen der Betroffenen in der Kindheit nicht verlässlich, vernachlässigend oder sogar missbräuchlich. Aus Furcht, erneut solche Erfahrungen zu machen, klammern sich die Patienten an ihr Umfeld und suchen intensive Nähe. Zugleich wirkt diese Nähe aber bedrohlich, sie misstrauen dem Partner, suchen Streit, trennen sich schon wegen Kleinigkeiten.»
Angehörigen rät Euler, klare Grenzen zu setzen. Solche machten eine Beziehung berechenbarer, sicherer. Wohlwollen und Beständigkeit seien ebenso wichtig. «Man sollte eine gewisse Coolness behalten», sagt der Psychiater. Die Bedürfnisse von Borderlinern wechselten sehr schnell und hätten auch eine gewisse Unlogik. «Man muss akzeptieren, dass man den Bedürfnissen nicht immer gerecht werden kann, und darf sich dadurch nicht andauernd schlecht oder angegriffen fühlen.»
Viele Ärzte diagnostizieren ungern eine Borderline-Störung: Für sie ist es eine Diagnose auf Lebenszeit, weil sie glauben, die Krankheit sei unheilbar. Euler sagt: «Das ist Unsinn. Studien zeigen, dass die Symptome mit der Zeit abnehmen können und die Störung teilweise gänzlich verschwindet.»
Melanie Klee glaubte lange nicht an ihre Genesung. Geht sie wegen eines Zeckenbisses zum Arzt, muss sie ihre Diagnose offenlegen und sieht das Erschrecken des Gegenübers: Menschen mit Borderline-Störungen gelten gemeinhin als unheilbar. Sie aber sagt: «Ich falle nicht mehr zurück.»
Benjamin Dubno, Chefarzt für Erwachsene an der Integrierten Psychiatrie Winterthur - Zürcher Unterland, spricht von «Aktionismus aus Ohnmacht». «Manchmal ist es besser, nichts zu machen und stattdessen da zu sein und zu versuchen, die Ohnmacht auszuhalten», sagt er.
Er habe ihr «bedingungslose Konstanz» angeboten, sagt Klees Therapeut. «Sie konnte in die Sprechstunde kommen, wenn sie wollte. Ich sagte ihr aber auch, dass ich ihr nicht nachrennen würde, wenn sie nicht käme oder sie mich zum Beispiel anrufen und fragen würde, ob sie nun von der Brücke springen solle, auf der sie grade stehe.»
Für Melanie Klee war ihr Hund Aki die Belohnung nach sechs Monaten Stabilität. Sie habe sich sofort in Aki verliebt. Seit sieben Jahren gehen Melanie und der Golden Retriever gemeinsam durchs Leben.
tags: #Borderline #und #Kinderwunsch #Erfahrungen