Wenn man etwas äußerst Schmerzhaftes erlebt, das die Psyche stark belastet und überfordert, bezeichnen wir das als traumatisch. Dabei können die auslösenden Erlebnisse völlig unterschiedlich sein und von inneren, persönlichen Konflikten bis zu lebensbedrohlichen Ereignissen reichen. Je nach persönlicher, sensorischer Sensibilität und Kommunikation können dabei Ereignisse auch völlig unterschiedliche Reaktionen auslösen.
Es ist wichtig, anzumerken, dass traumatische Erlebnisse recht häufig vorkommen, aber nicht alle zu einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) führen. PTBS ist eine besondere, psychiatrische Erkrankung, die durch länger anhaltende Symptome wie zwanghafte Erinnerungen an das Trauma (z. B. in der Form von Albträumen), aktive Vermeidung von Triggern, die mit dem Trauma in Verbindung gebracht werden, starke Stimmungsschwankungen und dauerhaft hohe Alarmbereitschaft gekennzeichnet ist. Die Wahrscheinlichkeit, eine PTBS zu entwickeln, steigt mit jeder weiteren Exposition in Bezug auf das traumatische Erleben an.
Wenn man PTBS verstehen möchte, sollte man sich damit beschäftigen, wie das Gehirn traumatische Erinnerungen verarbeitet. Das Dual-Prozess-Modell von Brewin et al. (1996) geht davon aus, dass traumatische Erinnerungen verschlüsselt und in zwei verschiedenen Systemen gespeichert werden: im verbal zugänglichen System (verbally accessible memory, VAM) und im situativ zugänglichen System (situationally accessible memory, SAM).
Das VAM integriert traumatische Erinnerungen in die laufende persönliche Geschichte einer Person und erleichtert so eine kohärente Erzählung des Ereignisses, was die Erholung vom Trauma ohne Entwicklung einer PTBS begünstigt. Bei autistischen Menschen kann die sensorische Hypersensibilität dazu führen, dass die sensorische und emotionale Verarbeitung der Erinnerungen zu noch heftigeren und länger anhaltenden Flashbacks führt.
Darüber hinaus können Probleme mit dem Arbeitsgedächtnis und der sozialen Verarbeitung die Integration von traumatischen Erinnerungen in einen zusammenhängenden Ablauf erschweren. Und das wiederum beeinträchtigt das Verarbeiten und Speichern dieser Erinnerung so, dass Erholung nur schwer möglich ist. Wenn wir diese neurokognitiven Unterschiede verstehen, verstehen wir auch die Erkrankung Trauma in Verbindung mit sensorischen und sozialen Erfahrungen besser.
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Die Schwierigkeiten, die autistische Menschen bei der zwischenmenschlichen Kommunikation und der sensorischen Verarbeitung erleben, können das Risiko auch für atypische traumatische Erlebnisse erhöhen. Beispielsweise können Probleme beim Interpretieren von zwischenmenschlichen Signalen und im Umgang mit sozialen Interaktionen häufig zu Missverständnissen, Mobbing und sozialer Ausgrenzung führen - alles potenziell traumatische Erlebnisse, die autistische Menschen viel häufiger erleiden als gleichaltrige, nicht-autistische Menschen (Haruvi-Lamdan et al., 2018; Hoover, 2015; Kerns et al., 2015).
Autistische Menschen berichten häufig von Problemen mit dem Arbeitsgedächtnis und dem Alltagsgedächtnis, was für die Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen und für die Ausprägung von PTBS-Symptomen von entscheidender Bedeutung ist. Diese Schwierigkeiten beeinflussen nämlich die Art und Weise, wie traumatische Erinnerungen verarbeitet und abgerufen werden, und dies wiederum erschwert die Entschlüsselung von zusammenhängenden, verbal zugänglichen Erinnerungen an das Trauma.
Viele autistische Menschen konzentrieren sich auf Details, wobei die Verarbeitung von Ereignissen sensorisch stark geprägt wird. Dadurch werden emotionale und sensorische Komponenten bei traumatischen Erinnerungen noch verstärkt. Autistische Menschen empfinden viel mehr Erlebnisse als traumatisch.
Es muss sich nicht zwangsläufig um typische, wie in der DSM-5 - Kriterium A für eine PTBS - als traumatisierend kategorisierte Ereignisse handeln. Diese größere Menge an potenziell traumatischen Erlebnissen, die über die in der DSM definierten, traumatischen Ereignisse hinausgehen, können bei autistischen Menschen durchaus PTBS-Symptome auslösen (Rumball et al., 2021). Die Neigung, verschiedene negative Erfahrungen als traumatisch wahrzunehmen, erfordert spezielle Diagnose- und Behandlungsstrategien, die auf die autistische Bevölkerung zugeschnitten sind.
Die Wechselwirkung zwischen PTBS und Autismus verdeutlicht neurobiologische und kognitive Überschneidungen, die sich darauf auswirken, wie autistische Menschen Symptome erleben und ausdrücken. Die Andersartigkeit der neuronalen Schaltkreise, insbesondere in der Amygdala und im präfrontalen Kortex, sind entscheidend für die Regulierung von Emotionen und den Umgang mit Angst und Bedrohungen.
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Die Amygdala, die eine wichtige Rolle bei emotionalen Reaktionen spielt, ist bei autistischen Menschen häufig hyperreaktiv, was zu verstärkten Reaktionen auf Stress und potenziell traumatische Ereignisse führt. Sowohl bei PTBS als auch Autismus funktioniert die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) anders. Sie ist für die Stressreaktion des Körpers von entscheidender Bedeutung.
Bei autistischen Menschen wird diese Achse chronisch oder übermäßig aktiviert, was zu einer untypischen Ausschüttung von Cortisol führt. Der Körper kann diesen Stress nicht mehr effektiv abbauen (Taylor & Corbett, 2014). Die neurobiologische Ausprägung von Autismus, die sich in verstärkter sensorischer Hypersensibilität und Unterschieden bei der Verarbeitung von zwischenmenschlichen Signalen manifestiert, erschwert wichtige Interaktionen.
Autistische Menschen erleben häufig eine Welt, in der sensorische Reize verstärkt und Kommunikationssignale anderer Menschen schwer zu interpretieren sind, was ihre Anfälligkeit für traumatische Erfahrungen erhöht (Haruvi-Lamdan et al., 2018; Hoover, 2015). Wenn die Integration persönlicher Erfahrungen in eine kohärente Erzählung erschwert ist, werden Verarbeitung und Erinnerungen an traumatische Erlebnisse beeinflusst.
Mobbing als traumatisches Erlebnis
Eines der häufigsten traumatischen Erlebnisse für autistische Menschen ist Mobbing. Da viele autistische Menschen sich isoliert fühlen, besteht für sie ein größeres Risiko, gemobbt zu werden. Und das kann zu schwerwiegendem traumatischem Stress führen, denn sozialer Rückhalt als integraler Aspekt zur Erholung von psychischen Traumata wäre enorm wichtig (Ozbay et al., 2007). Heute erkennen wir, dass autistische Menschen von anderen häufiger als nicht-autistische Menschen als „Zielscheibe“ für Mobbing gewählt werden. Leider werden diese Erlebnisse in der Definition von Trauma kaum berücksichtigt. Besonders relevant ist dies aber für komplexe posttraumatische Belastungsstörungen, die ja durch wiederholte traumatische Erlebnisse ausgelöst werden.
Bei einer Studie von Law et al. (2013) fanden die Forschenden heraus, dass in einer Zeitspanne von einem Monat 66 % der autistischen Kinder gemobbt wurden und dieses Mobbing häufig zu emotionalem Trauma und sogar körperlichen Verletzungen geführt hat. Autistische Menschen erleben viele Arten von Mobbing täglich.
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- Verbales Mobbing mit Beleidigungen, sarkastischen Bemerkungen, Abwertungen, Nachäffen und Bloßstellen.
 - Körperliche Angriffe, die physische Schmerzen verursachen.
 - Emotionales und psychisches Mobbing mit dem Verbreiten von Gerüchten und „Pranks“ (Streichen).
 - Mobbing im Internetdurch den Ausschluss aus Online-Gruppen, sich online für die Person ausgeben, Verleumdungen, Beleidigungen und Bloßstellen mit Fotos und Videos.
 - Ablehnungmit Ausgrenzung.
 
Personen, die sich als Außenseiter fühlen und von Gleichaltrigen in sozialen Gruppen nicht beschützt werden, sind besonders verletzlich. Und genau so ergeht es autistischen Kindern in Bezug auf Mobbing durch Gleichaltrige. Die neuesten Studien beschäftigen sich nun auch mit Mobbing von autistischen Kindern im Internet (Wright et al., 2018). Leider erleben die Kinder heute viel häufiger auch online Mobbing. Schulen und Eltern können den Konsequenzen nur sehr eingeschränkt vorbeugen.
Autistische Menschen zögern häufig, diese Mobbingvorfälle zu melden, da dies ja bedeutet, dass sie das traumatische Erlebnis noch einmal gedanklich durchleben müssen. Lieber verleugnen sie es. Viele autistische Menschen leiden außerdem an Alexithymie. Das bedeutet, dass es für sie schwierig ist, Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen.
Autistische Kinder fragen sich häufig, warum sie als Ziel ausgewählt werden und nicht andere Kinder, warum jemand gerade ihnen so etwas absichtlich antut und wie sie mit dem ständigen Mobbing umgehen können. Wir wissen heute, dass Mobbing für autistische Kinder äußerst dramatisch ist. Es führt außerdem aber auch dazu, dass verstärkt maskiert wird. Die Kinder unterdrücken also ihre autistischen Wesenszüge in der Schule und unter Gleichaltrigen. Viele Kinder maskieren, um Freunde zu finden und dazuzugehören.
Die Auswirkungen von Mobbing werden häufig erst sichtbar, wenn es zu psychischen Problemen wie Depression, Suizidgedanken, Selbstverletzung, Angststörungen und Essstörungen kommt. Der Autismusforscher Gordon Gates (2019) beschreibt, wie es dadurch, dass die Wahrnehmung von autistischen Menschen immer wieder nicht geglaubt oder berücksichtigt wird und innerhalb der Gesellschaft eine Stigmatisierung von Autismus herrscht, zu Traumata kommt.
Gates erläutert, dass dieses ständige Absprechen von Gefühlen und Wahrnehmung genauso traumatisch sein kann wie andere traumatische Erlebnisse. Häufig wird Trauma als Erleben einer Katastrophe definiert. Das Gefühl, verurteilt, negativ bewertet und von anderen abgelehnt zu werden, mit der klaren Botschaft „Du gehörst nicht dazu“, sowie der Zwang, sich anzupassen zu müssen (Ableismus), verstärken die Schwierigkeiten beim Regulieren von Emotionen nur noch weiter.
Es entsteht ein Stigma, die Betroffenen erleben sich selbst als anders, falsch und nicht akzeptiert. Noch komplexer und anhaltender wird ein Trauma, wenn die Betroffenen schließlich sich selbst die Schuld geben und die Vorfälle immer wieder passieren. Es kann sich eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit Dissoziation entwickeln. Die Betroffenen fliehen aus der Realität.
Behandlungsansätze für autistische Menschen mit Trauma
Es gibt hauptsächlich zwei Behandlungsansätze für autistische Menschen, die ein Trauma erlebt haben:
- Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie CBT): Bei dieser Therapie geht es um das Regulieren von Emotionen, sanfte, schrittweise Expositionstherapie, kognitive Verarbeitung, die Erstellung eines Sicherheitsplans sowie die Generalisierung und Beibehaltung dieser Strategie (Andrzejewskil et al., 2024; Stack & Lucyshyn, 2019).
 
Belastende Lebensereignisse können in ihrer Häufigkeit, Dauer und Intensität variieren. Gleichzeitig nimmt die Reaktion eines Menschen unterschiedliche Formen an. Emotionale Reaktionen umfassen Angst, Traurigkeit, Verzweiflung, Anspannung oder Hilflosigkeit. Auf körperlicher Ebene können Schlafstörungen, Zittern oder muskuläre Anspannung auftreten. Weiter können ein Rückzug oder erhöhte Aktivität die Folge sein.
Ausschlusskriterien sind akute Suizidalität ohne Absprachefähigkeit, Fremdgefährdung, stark eingeschränkte körperliche Mobilität oder vordergründige Suchterkrankungen. Psychotherapie im Einzel- und Gruppensetting, u.a. Die Anmeldung zur Aufnahme erfolgt über die vorbehandelnden Ärztinnen und Ärzte oder andere Fachpersonen.
Weitere Aspekte von Autismus
Jeder Mensch hat Schwächen. Einige Dinge kann man besser, andere Dinge dafür weniger gut. Je nach Talent, Ausbildung oder einfach auch aufgrund genetischer Eigenheiten. Das ist normal. Autisten allerdings haben noch etwas ausgeprägtere Schwächen. Diese Schwächen lassen sich auch sehr gut beschreiben und sind auch entsprechend etabliert, da sie teilweise dafür verantwortlich sind, dass jemand eine entsprechende Diagnose in Autismus erhalten hat oder erhalten wird/würde.
Allerdings muss gesagt werden, dass nicht alle Autisten die selben Schwächen haben. Zudem sind die Schwächen (oder Symptome) auch unterschiedlich stark ausgeprägt. Autistische Menschen haben häufig einen etwas flachen, einsilbigen Gesichtsausdruck. Sie können Emotionen viel schlechter zeigen. Dadurch fallen auch sehr viele Kommunikationsoptionen weg. Autistische Personen können dadurch schlecht «gelesen» und verstanden werden. Das führt bei Neurotypen dazu, dass diese sich in Gegenwart von Autisten teils unwohl fühlen, weil sie die autistische Person nicht gut einschätzen können.
Wenn Menschen Angst haben, setzen sie chemische Ausdünstungen/Botenstoffe frei, welche auf andere Menschen ansteckend wirken. Das führt dazu, dass bei Gefahr alle Anwesenden reagieren und versuchen, der Gefahr zu entkommen. Oftmals ensteht daraus Panik. Jeder schaut dann nur noch für sich. Man sieht so etwas am besten dann, wenn es zu Massenpaniken kommt. Da werden Menschen ohne Rücksicht über den Haufen getrampelt, damit man sich selber in Sicherheit bringen kann. Autistische Menschen haben jedoch eine Tendenz, dass sie beim «Geruch» von Angst eher ruhig werden.
Theory of Mind (ToM) ist die Fähigkeit, anderen Wünsche, Absichten, Ideen usw. zuzuschreiben, die sich von den eigenen unterscheiden. Diese Fähigkeit ist bei Autisten nicht- oder nur eingeschränkt vorhanden, was zu Schwierigkeiten bei der Zuordnung von mentalen Zuständen führt. 40-65% der autistischen Menschen haben Alexithymie - eine Unfähigkeit, Emotionen zu identifizieren oder zu beschreiben.
Einige kognitiven Probleme, die normalerweise auf Autismus zurückgeführt werden (z. B. Aufgrund eines starken Bedürfnisses nach Gleichförmigkeit («Veränderungsängste») sind autistische Menschen oftmals nicht in der Lage, mit einem Leben mit hoher Varianz oder ständigen Veränderung umgehen zu können. Autisten sind anfälliger auf posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), weil das Risiko für die Exposition gegenüber traumatischen Ereignissen erhöht ist.
Untersuchungen haben ergeben, dass autistische Menschen eine bemerkenswert glatte Grosshirnwindung zu haben scheinen welche hilft, Gesichter zu erkenne. Untersuchungen ergaben, dass autistische Männer eine reduzierte, adaptive Kodierung der Gesichtsidentität, in Korrelation mit dem Grad der autistischen Merkmale, zeigen.
Autistische Menschen sind sensibel und anfällig für Traumata, was vermehrt auch zu Tagträumen führen kann. Mit diesen Tagträumen werden Stress und emotionale Schmerzen gelindert. Menschen ohne Autismus können ihr Netzwerk (ihre Gedanken) abschalten und ruhen lassen. Autisten können dies nicht. Ihre Gedanken fliessen ständig. Es kann neurologisch nachgewiesen werden, dass es wenigstens bei Ruhephasen zu einer Entspannung mit etwas geringerer Aktivität kommen kann.
Autistische Menschen können externe, sensorische Informationen weniger gut herausfiltern. Das führt dazu, dass sie mehr Reize verarbeiten müssen. Dies macht Autisten anfällig für eine sensorische Überlastung, was zu einem Zusammenbruch führen kann. Das Herunterfahren ist eine Reaktion auf sozialen Stress oder sensorische Überlastung, wonach die Person apathisch wirkt, nicht mehr reagiert oder sogar teilweise bis zur Unbeweglichkeit verkrampft.
Einige autistische Menschen leiden an Hyperakusis, einer Überempfindlichkeit gegenüber Schall. Die Mehrheit der autistischen Menschen mit geistiger Behinderung haben in der Regel kein Suchtproblem. Autistische Menschen ohne geistige Behinderung jedoch haben höhere Rate an Drogenmissbrauch.
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