ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurologische Störung, die nicht nur Kinder betrifft. Sie kann auch bei Erwachsenen, insbesondere bei Männern, auftreten und sich auf verschiedene Lebensbereiche auswirken.
Was ist ADHS bei Erwachsenen?
Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine psychische Veranlagung, welche sich im Kindesalter bemerkbar macht und über das Adoleszentenalter hinaus bei vielen Betroffenen auch im Erwachsenenleben bestehen bleibt. Es wird davon ausgegangen, dass im Kindes- und Jugendalter vorhandene ADHS-Symptome in 50 - 80 % der Fälle auch im Erwachsenenalter fortdauern. Daraus ergeben sich Prävalenzraten bei Erwachsenen zwischen 2.5 und 5 %. Weltweit sind rund 3.4 % der Bevölkerung an ADHS erkrankt.
Hauptsymptome von ADHS bei Erwachsenen
Die Symptome von ADHS unterliegen einer Entwicklung parallel zum Alter der Betroffenen. So sind Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität auch bei Erwachsenen mit ADHS die Hauptsymptome, jedoch kommt es zu gewissen Änderungen ihrer Ausprägung. Die motorische Unruhe der Kinder und Jugendlichen wird in den meisten Fällen ersetzt durch eine «innere Unruhe» bei der erwachsenen Person. Ebenfalls hat die Impulsivität eine eigene Ausdrucksform, die sich von derjenigen im Kinder- und Jugendalter unterscheidet. Hier stehen Ungeduld und das Vermeiden von langen Veranstaltungen im Vordergrund.
Folgende Symptome sind typisch für ADHS bei Erwachsenen. Sie müssen jedoch nicht bei allen Betroffenen in gleicher Ausprägung und Stärke vorkommen.
- Aufmerksamkeitsstörung: Das Unvermögen, sich längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren, hat zur Folge, dass die Betroffenen Aufgaben mitunter vergessen oder nur teilweise erledigen. Das passiert vor allem dann, wenn das Interesse für die Aufgabe nicht gross ist. Wenn sie sich aber für ein Thema begeistern, können sie sich mit grosser Ausdauer darauf fokussieren.
 - Impulsivität: Erwachsene mit ADHS handeln oft impulsiv. Sie treffen Entscheidungen spontan aus dem Bauch heraus. Auch ihre Stimmung kann schnell umschlagen. Sie reagieren auf Kritik äusserst sensibel und sind schnell verletzt. Gleichzeitig sind sie nicht zurückhaltend, wenn sie anderen unverblümt ihre Meinung sagen. Für ihre Mitmenschen kann dieses Verhalten sehr anstrengend sein. Es hilft dann, sich klarzumachen, dass Menschen mit ADHS oft Probleme haben, ihre Gefühle und ihr Verhalten zu regulieren. Meistens wird Betroffenen erst im Nachhinein bewusst, dass sie sich unangemessen verhalten haben.
 - Überaktivität: Die typische motorische Hyperaktivität des Kindesalters findet man bei ADHS-Erwachsenen eher in abgeschwächter Form. Viele Betroffene haben aber Schwierigkeiten, längere Zeit still zu sitzen. Sie trommeln mit den Fingern und wippen mit den Füssen, um ihre innere Unruhe zu reduzieren. Ein Symptom, das auch im Erwachsenenalter noch oft auftritt, ist ein starker Rededrang und das Dazwischenreden (Ins-Wort-Fallen).
 - Geringe Stress- und Frustrationstoleranz: Die verminderte Fähigkeit, Impulse zu steuern, wirkt sich vor allem in Kombination mit Stress negativ aus. Neue Situationen und Aufgaben sind daher eine grosse Herausforderung für Erwachsene mit ADHS. Sie erzeugen Stress, den die Betroffenen aufgrund ihrer mangelnden Organisationsfähigkeit nur schlecht bewältigen können. Laufen dann die Dinge nicht wie erhofft, sind sie oft stark frustriert. Das äussert sich in Gereiztheit und Jähzorn. Die geringe Stress- und Frustrationstoleranz erschweren sowohl das berufliche als auch das soziale Leben. Mitunter nehmen Betroffene auch eine Lüge in Kauf, um der unangenehmen Situation zu entfliehen.
 - Organisationsschwierigkeiten: Schwierigkeiten mit Planung und Organisation sind typische ADS-Symptome. Erwachsene erreichen daher im Berufs- und im Privatleben oft nicht die Ziele, die sie sich ursprünglich gesteckt haben. ADHS im Erwachsenenalter ist damit vielfach mit schlechteren Karrierechancen verbunden.
 
Positive Aspekte von ADHS
Insgesamt reagieren Erwachsene mit ADHS viel emotionaler als andere Menschen und empfinden Gefühle intensiver - sowohl negative als auch positive. Ausserdem gehen sie offener und spielerischer an die Dinge heran und entwickeln oft besonders originelle Ideen. Gelingt es ihnen, ihren Ideenreichtum zu kanalisieren und zu nutzen, können Erwachsene mit ADHS im Beruf sogar ausgesprochen erfolgreich sein.
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Entscheidend ist, dass sich die Betroffenen für ihre Tätigkeit interessieren. Finden sie an der Arbeit Freude, bringen sie vollen Einsatz und hohe Motivation mit sich. Ihre Leistung kann dann sogar überdurchschnittlich gut sein.
Begleiterkrankungen von ADHS bei Erwachsenen
Das Auftreten psychischer Störungen steht oft im Zusammenhang mit ADHS bei Erwachsenen. Symptome wie zum Beispiel starke Ängstlichkeit oder Niedergeschlagenheit können ein Hinweis auf eine Angststörung oder Depression sein. Ein erhöhtes Risiko für Depressionen und Ängste besteht insbesondere bei der verträumten Form von ADHS, die vor allem bei Frauen auftritt. Erwachsene mit ADHS leiden auch häufiger unter Persönlichkeitsstörungen.
Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen mit ADHS, die nicht behandelt werden, häufig zu Suchtmitteln greifen. Mit dem Konsum von Cannabis, Alkohol oder Nikotin versuchen sie, ruhiger zu werden oder ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Sie nutzen die Drogen gewissermassen zur Selbstmedikation. Hat sich eine Drogenabhängigkeit entwickelt, muss diese vor Beginn der eigentlichen ADHS-Therapie behandelt werden.
ADHS in einer Partnerschaft
Die ADHS-Erkrankung kann auch für eine Partnerschaft belastend sein. Der Betroffene wird im Alltag oft nicht verstanden beziehungsweise sein Verhalten missinterpretiert. Das führt zu Selbstzweifeln, die in einer Beziehung Probleme bedingen können. Ausserdem kommt es so häufig dazu, dass sich Betroffene wegen ihrer erfahrenen Ausgrenzung in ein Abhängigkeitsverhältnis mit ihrem Partner begeben.
Auch die Sexualität von ADHS-Erwachsenen ist manchmal durch die Krankheit beeinträchtigt: So kann es für Betroffene schwierig sein, sich beim Geschlechtsverkehr nicht von anderen Dingen ablenken zu lassen. Zudem verhalten sich Erwachsene mit ADHS sexuell öfter riskant. Daher kommt es statistisch betrachtet häufiger zu ungewollten Schwangerschaften und der Ansteckung mit sexuell übertragbaren Erkrankungen.
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Diagnose von ADHS bei Erwachsenen
Die Diagnose der ADHS im Erwachsenenalter beruht auf einer klinischen Untersuchung. Zentral hierfür ist nach DSM-5 (die fünfte Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), dem amerikanischen Diagnoseinstrument, der Nachweis von 18 diagnostischen Kriterien. Zusätzlich muss nachgewiesen werden, dass einzelne Symptome von ADHS bereits vor dem 12. Lebensjahr bei der betreffenden Person vorhanden waren. Weiter sollen in mehr als einem Lebensbereich die mit ADHS verbundene Auffälligkeiten erkennbar sein. Neuropsychologische Testverfahren sind bei speziellen Fragestellungen hilfreich.
Damit die Diagnose ADS oder ADHS gestellt werden kann, muss eine bestimmte Anzahl von Kriterien der Unaufmerksamkeit und der Hyperaktivität/Impulsivität erfüllt sein. In unserer Spezialsprechstunde klären wir die Persistenz der Störung im Erwachsenenalter ab. Damit wird deutlich, dass für eine solche Diagnose eine bestimmte Zahl von Symptomen bereits im Kindes- und Jugendalter vorliegen muss. In mindestens zwei Lebensbereichen (z.B. Arbeit, soziale Beziehungen) müssen Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt werden können.
Es ist wichtig festzuhalten, dass aus der Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter sich nicht zwangsläufig eine Behandlungsnotwendigkeit ableitet. So wird in diesem Zusammenhang nochmals genau erörtert, ob die funktionellen Einschränkungen im Leben der Betroffenen und die damit verbundenen Problematiken im sozialen Leben eindeutig durch ADHS verursacht sind.
Behandlung von ADHS bei Erwachsenen
Primäres Ziel der Behandlung von ADHS ist die Verminderung des subjektiven Leidensdrucks sowie die Erhöhung der Lebensqualität. Hierzu gibt es diverse Therapiemöglichkeiten, welche einzeln oder auch kombiniert angewandt werden können. Die Psychoedukation teilt sich auf in Aufklärung, Beratung und Führung. Dabei werden die Patienten und gegebenenfalls ihr unmittelbares Umfeld über das Störungsbild informiert.
Zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen sind in der Schweiz Medikamente mit den Wirkstoffen Methylphenidat, Dexmethylphenidat, Lisdexamfetamin und Atomoxetin zugelassen. Es werden verschiedene Konzepte mit unterschiedlichen Schwerpunkten angeboten. Inhaltlich sind aber einige Gemeinsamkeiten wie der Umgang mit Desorganisiertheit, Verbesserung der Aufmerksamkeit oder auch Impulskontrolle vorhanden. Es geht in erster Linie darum, den Umgang mit der Symptomatik zu erlernen und zu festigen.
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Bei einer medikamentösen Therapie ist Methylphenidat 1. Wahl.
Nicht jede AD(H)S ist behandlungsbedürftig. Wenn Leidensdruck, Beeinträchtigungen sowie Begleiterkrankungen bestehen, ist eine Behandlung jedoch indiziert. In der Therapie von AD(H)S geht es vor allem um das Erlernen von Strategien und Hilfen für die Alltagsbewältigung. AD(H)S kann in dem Sinne nicht «geheilt» werden, aber es kann ein Umgang mit den Kernsymptomen wie Unaufmerksamkeit, motorische Hyperaktivität und Impulsivität sowie mit den Nebensymptomen wie Affektlabilität, Reizbarkeit/Explosivität, Stressempfindlichkeit und Desorganisation erlernt werden.