ADHS: Mehr als nur eine Scheinkrankheit?

ADHS - wie auch Autismus - steht in der Kritik, weil es gemäss der öffentlichen Wahrnehmung eine Explosion neuer Fälle gibt. Tatsächlich ist die Gesamtzahl der Fälle proportional zur Bevölkerung aber relativ stabil zwischen dreieinhalb und fünf Prozent - vorausgesetzt, die diagnostischen Kriterien werden eingehalten.

Die Diagnose ADHS

Die Diagnose «ADHS» existiert in dieser Form erst seit den 1980er-Jahren. Die Kernsymptome sind Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität, wobei es auch eine «verträumte» Variante ohne äusserliche Hyperaktivität gibt.

ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung.

Bei den drei Kernsymptomen handelt es sich um extreme Ausprägungen von Verhaltensmerkmalen, die jede Person zeigen kann.

Heute weiss man, dass ADHS gehäuft in Familien auftritt.

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Ist bereits ein Elternteil, Geschwister oder Kind einer Person an ADHS erkrankt, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Person selbst auch an ADHS erkrankt 2-8 Mal so hoch.

Es hat sich gezeigt, dass diese Erblichkeit vor allem auf genetischen Faktoren basiert. Es wird vermutet, dass nicht nur ein Gen dafür verantwortlich ist, sondern dass es sich um ein Zusammenspiel mehrerer Gene handelt.

Umweltrisiken und ADHS

Umweltrisiken können nicht eindeutig ausgemacht werden, da so viele Faktoren an der Entstehung beteiligt sind.

Möglicherweise könnte das Rauchverhalten in der Schwangerschaft einen Einfluss auf die Entstehung von ADHS des Kindes haben.

Dabei ist aber nicht klar, ob die Schadstoffe dem Fötus direkt schaden, oder der Fötus indirekt, zum Beispiel durch Fehl- oder Mangelversorgung, geschädigt wird.

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Nach der Geburt spielen vor allem die Deprivation und Vernachlässigung eines Kindes eine Rolle zur Entstehung von ADHS. Dieser Zusammenhang lässt sich bis ins Erwachsenenalter nachweisen.

Dabei ist der unaufmerksame Subtyp besonders vertreten. Je länger eine Deprivation dauert, desto stärker wird der Zusammenhang zu ADHS.

Dennoch hat sich gezeigt, dass positives Erziehungsverhalten einen Schutz vor der Entstehung von ADHS darstellt.

Tatsächlich hängt ein geringes Familieneinkommen in der frühen Kindheit mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, ADHS zu entwickeln, zusammen.

Insgesamt sind kausale Einflüsse von Umweltrisiken auf ADHS vorsichtig zu betrachten und schwierig zu bestätigen.

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Besonderheiten des Gehirns bei ADHS

Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Kindern, die an ADHS erkrankt sind, bestimmte Gehirnareale ein kleineres Volumen haben und in vorderen Abschnitten die Hirnrinde schmaler als bei gleichaltrigen gesunden Kindern ist.

Der Hirnreifungsverlauf scheint verändert zu sein.

Ausserdem wurde entdeckt, dass gewisse Hirnregionen übermässig aktiv sind und veränderte Aktivierungsmuster zeigen.

Die Ursächlichkeit dieser Befunde ist jedoch nicht geklärt. Nur aufgrund von diesen Untersuchungen würde sich noch keine ADHS feststellen lassen.

Weiter ist auch hier unklar, ob es sich dabei um eine Ursache oder Folge einer ADHS handelt.

Es hat sich gezeigt, dass betroffene Personen über weniger gute Kontrollmechanismen verfügen und die sogenannte Inhibitionskontrolle beeinträchtigt ist.

Darunter ist zu verstehen, dass jemand über die Fähigkeit verfügt, impulsive Handlungen zu kontrollieren.

Einige Phasen der Informationsverarbeitung zeigen Störungen auf, wie auch Lernprozesse.

Auch hier sind die Befunde nicht eindeutig mit ADHS in Verbindung zu bringen. Dieselben Beeinträchtigungen können sich teilweise auch bei anderen Störungen finden.

ADHS im Erwachsenenalter

Lange galt ADHS als Störung, die vor allem Kinder betrifft. Heute weiss man: Auch rund drei Prozent der Erwachsenen leiden daran. Kaum erforscht ist hingegen ADHS bei Seniorinnen und Senioren.

Viele dieser Kompensationsmechanismen kommen im Alter aber ins Wanken.

Die Tagesstruktur fällt mit der Pensionierung weg. Der Körper macht die viele Bewegung nicht mehr mit. Es fehlt die Energie, um all die Aufgaben zu erledigen, die sich ansammeln, weil man sie aufgeschoben hat.

«Für ADHS Betroffene kann der Wegfall von Strukturen im Alter dramatisch sein», erklärt Ana Buadze, leitende Ärztin an der Psychiatrischen Uniklinik Zürich, spezialisiert auf ADHS bei Erwachsenen.

Eine mögliche Folge: Die Betroffenen verzweifeln an sich selbst und fallen in eine Depression. Die dann als Depression behandelt wird und nicht als Folgeerkrankung des ADHS.

Das heisst, die Ursache der Depression bleibt ungelöst - was eine nachhaltige Behandlung erschwert.

Gerade bei älteren Patienten besteht zudem die Gefahr, dass ADHS fälschlicherweise als Demenz interpretiert wird. Und ebenfalls falsch behandelt.

Deshalb plädiert Psychiaterin Ana Buadze für Aufklärung - in der Bevölkerung ebenso wie in Fachkreisen.

Denn gerade bei der älteren Generation ist das Stigma der psychischen Erkrankung noch immer weit verbreitet.

Behandlung von ADHS

Behandelt wird ADHS mit Medikamenten, Psychotherapie und Verhaltenstraining für den Alltag.

Das ist jedoch nicht unproblematisch. Denn ADHS-Medikamente, die für über 65-Jährige zugelassen sind, gibt es nicht - weil die Medikamente an 18- bis 65-Jährigen getestet wurden.

Es kann deshalb sein, dass die Krankenkasse die Kosten nicht übernimmt.

Methylphenidat ist ein Arzneistoff und birgt bei unsachgemässer Anwendung hohe Risiken. Lassen Sie sich unbedingt von Fachärzten beraten und begleiten.

Falls Sie mit der Wirkung nicht zufrieden sind wenden Sie sich an eine Fachperson - es gibt auch noch andere Therapiemöglichkeiten.

Bei einer ADHS-Diagnose ist das Medikament Ritalin häufig die Therapie der Wahl.

Dessen Wirkungsweise ist allerdings paradox: Der Wirkstoff Methylphenidat gehört zu den Psychostimulanzien, die normalerweise anregend wirken.

Man würde erwarten, dass behandelte Patient:innen damit aktiver sind.

«Bei ADHS passiert aber genau das Gegenteil: Betroffene werden ruhiger, sind fokussierter», betont Grünblatt.

Methylphenidat erhöht die Aktivität der Nervenzellen in den Basalganglien in etwa auf das Niveau von Personen ohne ADHS.

Ein anderes Bild zeigt sich, wenn Menschen ohne ADHS Ritalin einnehmen. Bei ihnen hören die Nervenzellen in den Basalganglien auf, aktiv zu sein, vergleichbar wie bei unbehandelten ADHS-Patient:innen.

In diesen Fällen stimuliert das Medikament die Neuronen im Gehirn, die Personen werden unruhiger, hyperaktiver.

Bei ADHS wirkt Methylphenidat somit anders.

Früher vermuteten die Forschenden, dass Methylphenidat die Dopamintransporter blockiert. Dadurch gibt es mehr Dopamin in den Synapsen, den Kontaktstellen der Nervenzellen.

Die Substanz muss also anders wirken - und genau hier setzt Edna Grünblatts Forschung an.

Grünblatt und ihr Team konnten zeigen, dass Methylphenidat tatsächlich den Wnt-Signalweg aktiviert.

Tatsächlich wachsen Nervenzellen bei ADHS in den iPSC-Modellen langsamer. Wird Methylphenidat verabreicht, beschleunigt bzw. normalisiert sich ihre Teilung - offenbar, weil der Wnt-Signalweg aktiviert wird.

Untersucht wurde auch die Wirkung von Omega-3-Fettsäuren, da diese in einigen klinischen Studien ebenfalls positive Effekte zeigten.

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