Manche Menschen brauchen Ordnung, um sich wohl zu fühlen. Doch was, wenn das Ganze über einen normalen Putzfimmel hinausgeht? Zwanghaftes Putzen und Aufräumen sind ernstzunehmende Probleme.
Das Wichtigste in Kürze
- Beim Aufräumzwang handelt es sich um eine Zwangsstörung.
 - Betroffene brauchen professionelle Hilfe.
 - Häufig verspricht eine Therapie Linderung.
 
Gemütlichkeit hängt bei vielen mit einem gewissen Mass an Ordnung zusammen. Ganz nach dem Motto: Erst, wenn die Wäsche zusammengelegt, das Geschirr weggeräumt ist, kommt die Schönheit in den eigenen vier Wänden richtig zur Geltung.
Es gibt allerdings Menschen, die kommen aus dem Putzen und Aufräumen gar nicht mehr heraus. Das Badezimmer wurde zwar erst am Morgen geschrubbt, und trotzdem: Abends wird der Boden schon wieder mit der Bürste bearbeitet.
Symptome für Aufräumzwang
Doch wann wird das Ordnunghalten tatsächlich zwanghaft?
Personen, die unter einem Aufräumzwang leiden, machen sich ständig Sorgen über Unordnung, Schmutz oder mögliche Keime. Ist der Tisch wirklich richtig abgewischt? Wie sauber ist das Glas in meinen Händen? Wiederholtes Putzen von Gegenständen und Räumen ist ein häufiges Symptom bei zwanghafter Sauberkeit oder zwanghaftem Aufräumen.
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Oftmals ist es so, dass Betroffene absolut unfähig sind sich zu entspannen, wenn auch nur die kleinste Unordnung herrscht. Immer wieder kreisen die Gedanken ums Aufräumen oder Saubermachen. Das führt dazu, dass sie zwanghaft Ordnung machen oder putzen, um diese Ängste zu lindern.
Sie können nicht (mehr) anders. Der Zwang kann dabei so stark werden, dass er den Alltag sowie zwischenmenschliche Beziehungen enorm beeinträchtigt. Mitunter kommt es dazu, dass soziale Aktivitäten oder Verpflichtungen vernachlässigt werden.
Tatsächlich handelt es sich bei einem Aufräumzwang um ein ernstzunehmendes psychisches Problem. Den übertriebenen Sauberkeitswahn zu belächeln, ist nicht angebracht. Gleiches gilt für gut gemeinte Ratschläge, die ewige Putzerei doch einfach mal sein zu lassen und die Füsse hochzulegen.
Wir haben es hier mit einer Zwangsstörung zu tun, die behandelt werden muss. Das Problem ist, dass solche Krankheiten oft sehr schambelastet sind. Betroffene brauchen Mut, um sich professionelle Hilfe zu holen. Ist dieser Schritt geschafft, ist das der erste Weg zur Besserung.
Ein guter Arzt wird nun gewisse Massnahmen ergreifen. Gut möglich, dass er dem Patienten eine Therapie verschreibt.
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Die kognitive Verhaltenstherapie gilt als eine der effektivsten Behandlungen bei Zwangsstörungen. Sie hilft häufig, die Symptome zu lindern. Eine komplette Heilung ist allerdings selten, wenngleich die Lebensqualität eine enorme Verbesserung erfährt.
Denkbar ist auch, dass der Arzt die Verschreibung von gewissen Medikamenten zur Symptommilderung für notwendig hält.
Unterstützung können Betroffene ausserdem im Austausch mit Selbsthilfegruppen erfahren. In den ähnlichen Erfahrungen finden die Teilnehmer häufig Trost.
Was ist ein Waschzwang?
Der Waschzwang ist eine sehr verbreitete Form der Zwangsstörung. Die Betroffenen leiden unter der Angst, dass sie sich durch die Berührung mit Objekten mit einer Krankheit anstecken oder sich schmutzig machen. Die Angst vor Bakterien sowie Ekelgefühle sind gross.
Die Betroffenen vermeiden es zum Beispiel, Türklinken mit der blossen Hand anzufassen oder anderen die Hand zu geben. Kommen sie dennoch in Kontakt mit einem gefürchteten Objekt, waschen sie wiederholt und gründlich ihre Hände, ihren ganzen Körper und manchmal sogar ihre Kleidung.
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Dabei folgen sie stets einem ganz bestimmten Ritual, das sie penibel einhalten. Ein einziger Fehlgriff reicht aus, um die unangenehmen Gedanken erneut auszulösen - die Zwangshandlung wird dann von Neuem in Gang gesetzt.
Menschen mit Waschzwang ist bewusst, dass ihre Ängste übertrieben sind, und sie schämen sich daher für ihre Zwänge. Etliche ziehen sich von Freunden und Familie zurück.
Zwangsstörungen wie der Waschzwang beginnen oftmals bereits in der Kindheit oder im Teenageralter. Unbehandelt nehmen sie meist schleichend in ihrer Schwere zu. Studien geben Hinweise darauf, dass eine Zwangserkrankung häufig im Alter von zwölf bis 14 Jahren und im Alter von 20 bis 22 Jahren beginnt.
Die Angst vor Bakterien ist weit verbreitet. Auch viele Menschen ohne Waschzwang empfinden den Gedanken an Bakterien unangenehm und putzen und waschen sich teilweise übertrieben oft. Sauberkeit wird oft intuitiv mit Gesundheit verbunden.
Bis zu einem gewissen Mass stimmt das auch. Unser Immunsystem ist aber darauf ausgerichtet, mit gängigen Krankheitserregern fertig zu werden. Tatsächlich schadet übertriebene Hygiene möglicherweise sogar. Durch das ständige Waschen und oft zusätzlich Desinfizieren wird die Haut stark beansprucht - sie trocknet aus und wird rissig.
Über diese kleinen Wunden dringen Krankheitserreger, die immer und überall vorhanden sind, leicht in den Körper ein, wo sie mitunter Entzündungen (Hautekzeme) mit Juckreiz und Schmerzen auslösen.
Wie wird ein Waschzwang therapiert?
Es ist wichtig, dass sich Personen mit einem Waschzwang professionelle Hilfe suchen. Denn aus eigener Kraft lassen sich die Zwänge nur selten besiegen.
Wie bei allen Zwangsstörungen empfehlen Experten die kognitive Verhaltenstherapie mit Konfrontationsübungen, bei denen der Patient mit seinen Ängsten konfrontiert wird. Er bekommt beispielsweise die Aufgabe, möglichst viele Gegenstände zu berühren, ohne sich anschliessend die Hände zu waschen. Diese Übungen sind für Betroffenen zunächst eine äusserst grosse Herausforderung.
Mit der Zeit lernen die Patienten allerdings, dass ihnen trotz dieses Kontakts mit Bakterien nichts Schlimmes passiert. Die Angst wird dadurch langsam abgebaut.
Der Therapeut begleitet die Patienten bei ihrer Konfrontation, bis die Betroffenen in der Lage sind, die Übungen allein durchzuführen. Zusätzlich werden in der Therapie von Zwangsstörungen Medikamente, etwa selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), eingesetzt.
Was sind die Ursachen?
Ein Waschzwang entwickelt sich in der Regel schleichend. Experten vermuten als Ursache eine Kombination aus genetischen Faktoren, einer ängstlichen Persönlichkeit und einem traumatischen Erlebnis oder ungünstigen Erziehungsmethoden.
Bei Kindern tritt oft ein Waschzwang nach einem Todesfall in der Familie, nach Krankheit oder nach der Scheidung der Eltern auf. Dann wird der Waschzwang zur Möglichkeit, das verlorene Gefühl der Sicherheit zurückzugewinnen.
Zwangsstörungen machen das Leben zur Hölle. Den Teufelskreis zu durchbrechen, ist schwierig, aber möglich. Zwei von drei Betroffenen hilft eine kognitive Therapie.
Zu den häufigsten gehören der Wasch- und Putzzwang aus Angst vor Verschmutzung oder Ansteckung. Bei den Kontrollzwängen geht es darum, ein vermeintliches Unglück zu verhindern oder etwas ganz perfekt zu machen. Weitere Zwänge sind Zählzwänge sowie der Drang nach Ordnung und Symmetrie.
Eine Zwangserkrankung liegt vor, wenn wiederkehrende Gedanken und Rituale aufgrund ihrer Ausprägung zu Einschränkungen im alltäglichen, beruflichen und sozialen Leben führen und der Betroffene darunter leidet. Ein weiteres Kriterium ist der Verlust der Flexibilität, auch anders handeln zu können. Die offiziellen diagnostischen Kriterien fordern, dass die Zwangssymptome schon mindestens zwei Wochen lang jeweils mehr als eine Stunde pro Tag vorkommen.
Zwangsstörungen fussen darauf, dass die Betroffenen gewisse automatisch auftretende Gedanken als katastrophal einstufen. So kann zum Beispiel der Gedanke, sich beim Berühren einer Türklinke verschmutzt zu haben, zum Zwangsgedanken werden. Um das Unbehagen, das durch die Zwangsgedanken entsteht, wiederholen Betroffene häufig bestimmte Verhaltensweisen oder Rituale wie übermässiges Händewaschen. Dies führt zu einer kurzfristigen Erleichterung, verstärkt jedoch langfristig den Zwang.
Seit Joël sich einer kognitiven Verhaltenstherapie unterzieht, haben sich seine Zwänge abgeschwächt. Bei dieser Therapieform muss er sich seinen Ängsten stellen, sich also Situationen aussetzen, die er ansonsten vermeidet, weil sie bei ihm Angst auslösen. So muss er unter Anleitung seiner Therapeutin einen Apfelkuchen zubereiten, ohne dass er immer wieder seine Hände und die Küchenutensilien wäscht. Dies ist für Joël eine grosse Herausforderung, denn er verspürt ständig den Drang seine Hände waschen zu müssen.
Er befürchtet, dass er sonst die Äpfel beschmutzt, wenn er sie anfasst: «Dieses Unbehagen spüre ich auch körperlich, mein Magen zieht sich zusammen, das Herz schlägt schneller und ich beginne dann häufig zu schwitzen», erklärt er.
In der Therapie lernt er nun, dass er diesen Zwangsgedanken nicht Folge leisten muss, dass er die Ängste aushalten und die Risiken wieder realistischer einschätzen kann. Studien zeigen, dass sich durch eine kognitive Verhaltenstherapie die Zwänge bei bis zu 70 Prozent der Patienten abschwächen.
Auch andere psychotherapeutische Massnahmen können helfen. Unterstützende Medikamente sind nur sinnvoll, wenn gleichzeitig eine Depression vorliegt oder zur Überbrückung der Wartezeit, bis ein Therapieplatz verfügbar ist.
Dass wie bei Léonie trotz der klassischen Therapien keine ausreichende Besserung erzielt werden kann, kommt bei rund jeder fünften betroffenen Person vor.
Bei Sandra hat sich die Krankheit über viele Jahre hinweg entwickelt. Den Beginn dieses schleichenden Prozesses vermutet Sandra im Jahr 2009, als Medienberichte über die Schweinegrippe Angst schürten.
Aus Angst um das Leben ihres ungeborenen Kindes blieb die junge Mutter darum wochenlang zu Hause und beugte Viren und Keimen mit Putz- und Desinfektionsmitteln vor. Auch Besuch, der nicht gegen das Grippevirus geimpft war, empfing sie nicht. Ausflüge auf den Kinderspielplatz waren undenkbar.
Die lange aufgestauten Ängste und die dramatische Zeit im Spital belasten die junge Mutter emotional sehr und die Sauberkeit wird für Sandra zur regelrechten Sucht. Um ihre Wohnung möglichst keimfrei zu halten, sucht sie im Internet nach Lösungen. In einem Online-Shop bestellt sie Flächendesinfektionsmittel, das normalerweise für medizinische Einrichtungen verwendet wird.
Auch die Beziehung zu ihrem Mann wird durch die Zwänge auf eine harte Probe gestellt. Schon ein kleiner Fehler in Sandras Vorstellung eines idealen Reinigungsablaufs genügt und alles muss noch einmal geputzt werden.
Lange will Sandra nicht wahrhaben, dass sie ein Problem hat und hält ihre Krankheit bewusst geheim. Erst als die Zwänge sie auch in ihren Träumen verfolgen, entscheidet sie sich für eine Therapie.
Wöchentlich trifft sich die junge Mutter mit ihrer Therapeutin, deren Ziel die Konfrontation mit Sandras Ängsten vor Schmutz und Keimen ist. Ein erfolgversprechendes Verfahren, das Expositionstherapie genannt wird. Doch Sandra braucht Zeit und viele Gespräche, in denen sie die traumatischen Erlebnisse der letzten Monate aufarbeitet. Erst dann stimmt sie der konfrontierenden Therapieform zu.
Sandra stellt eine Liste mit Situationen zusammen, die besonders schlimm für sie sind. Zusammen mit der Therapeutin beginnt sie die Liste abzuarbeiten. Sie kriecht auf dem Flurteppich des Praxisgebäudes herum, berührt Türklinken und fasst sich danach ins Gesicht. Auch ihre Furcht vor dem Sitzen auf öffentlichen Toiletten muss Sandra in der Therapie überwinden.
Bei Sandra zeigen die Therapiesitzungen Wirkung. Sie bringt ihre Zwänge immer besser unter Kontrolle und verwendet Desinfektionsmittel nur noch selten. Alle ihre Ziele erreicht hat sie aber noch nicht. Zwar besucht sie mit ihren Kindern wieder den Spielplatz und geht wieder unter Leute. Doch einen letzten Wunsch hat sie noch, um wieder ein normales Familienleben führen zu können.
Denkt Sandra heute an die schlimmste Zeit ihrer Krankheit zurück, schüttelt sie den Kopf und sagt: «Hätte ich mich damals als Aussenstehende beobachtet, ich hätte mein Verhalten nicht verstehen können.»
Die Persönlichkeit kann eine Rolle spielen, die Risikobereitschaft, die Neigung, jede Gefahr zu meiden, die Erziehung und nach heutigem Stand der Wissenschaft auch die genetische Prägung. Zudem könne ein schweres Trauma in der Kindheit eine Zwangsstörung auslösen.
Gar nicht erfreut über den Erfolg dieser Produkte ist Fritz Titgemeyer. Der Mikrobiologe der Uni Münster suchte den öffentlichen Raum nach Krankheitserregern ab: Handgriffe, Einkaufswagen, Touchscreens, Haltestangen. Sein Fazit: «Die Gefahr, sich an einer Haltestange oder an einem Bancomaten mit einer schweren Krankheit anzustecken, ist äusserst gering.» Natürlich fand der Wissenschaftler vielerorts Schmutz. «Das mag eklig sein, aber gefährlich ist es nicht», sagt er.
Bei solch klar begrenzten Ängsten rät Psychiater Michael Rufer zur Selbsthilfe. In erster Linie gehe es darum, sich mit der Angst zu konfrontieren. Will heissen: die Haltestange im Bus zu benutzen, ohne sich danach gleich die Hände zu waschen oder zu desinfizieren.
Ist die Zwangsstörung ausgeprägt, sollte man zum Therapeuten gehen. Aber auch dort gehe es letzten Endes darum, sich der Angst zu stellen. Real. «Besprechen reicht nicht», sagt Rufer. Seine Patienten tun genau das, wovor ihnen graust: das öffentliche WC benutzen oder den Bancomaten.
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