Essstörungen sind ernst zu nehmen, und es ist wichtig, rechtzeitig Hilfe zu suchen. Insgesamt sind 3,5 Prozent der Schweizer Bevölkerung im Laufe ihres Lebens von einer Essstörung betroffen, Mädchen und Frauen etwas häufiger als Jungen und Männer. Das zeigt eine Studie des Universitätsspitals Zürich und der Universität Zürich im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) aus dem Jahr 2010.
Was sind Essstörungen?
Es gibt verschiedene Essstörungen. Zu den häufigsten zählen Magersucht, Bulimie und die Binge-Eating-Störung, wobei erstere von aussen wegen des geringen Körpergewichts am sichtbarsten ist.
- Magersucht (Anorexia nervosa): Magersüchtige Kinder und Jugendliche wiegen jedes Gramm Nahrung ab, vermeiden Lebensmittel mit vielen Kalorien und verbieten sich mit viel Disziplin jegliche Gelüste. Manche zwingen sich dazu, Sport bis zum Umfallen zu treiben. Die Betroffenen werden dünner und dünner. Sie zwingen sich, weiterzumachen und noch mehr Gewicht zu verlieren, selbst wenn das niedrige Gewicht lebensbedrohlich wird. Denn die Wahrnehmung ihres eigenen Körperbilds ist verzerrt.
 - Bulimie (Ess-Brech-Sucht): Weniger sichtbar als eine Magersucht ist die Essstörung Bulimie, auch Ess-Brech-Sucht genannt. Betroffene haben meistens ein normales Körpergewicht. Trotzdem haben sie ein gestörtes Verhältnis zu Nahrung. Sie essen nicht zu wenig, sondern im Zuge von Essanfällen zu viel.
 - Binge-Eating-Störung: Bei der Binge-Eating-Störung fehlt die kompensierende Komponente. Betroffene verlieren ebenfalls die Kontrolle über ihr Essverhalten und essen in kurzer Zeit viel zu viel.
 
Häufig sind Essstörungen ein Lösungsversuch für tiefgründige psychische Probleme. Weil sie ein grosses Risiko für die gesunde Entwicklung darstellen und schwerwiegende körperliche, psychische und soziale Folgen auftreten können, sollte frühzeitig professionelle Hilfe gesucht werden.
Wie können Eltern helfen?
Viele Eltern und Bezugspersonen sind unsicher, ob sie Kinder oder Jugendliche auf ihr gestörtes Essverhalten ansprechen sollen. Die Konfrontation kann ein entscheidender Anstoss sein, sich Hilfe zu holen. Möglicherweise fühlen sich Betroffene aber erst recht unverstanden und unter Druck gesetzt. Angehörige können stattdessen fragen, womit sie helfen können und dabei unterstützen, Hilfe zu holen. Eltern dürfen sich auch eingestehen, wenn eine Situation sie überfordert.
Was können Sie als Eltern tun?
- Hinsehen: Essstörungen sind meistens keine Phasen, die sich von selbst wieder legen. Als Eltern die Krankheit zu erkennen und zu akzeptieren, ist ein wichtiger erster Schritt. Beobachten Sie, was Ihnen auffällt und notieren Sie sich dies. So behalten Sie den Überblick. Dies kann auch eine gute Grundlage für ein erstes Gespräch sein. Oft ist man unsicher, wie man gewisse Situationen einordnen soll. Da hilft es Beobachtungen untereinander auszutauschen.
 - Informieren: Es gibt viele Informationsquellen - suchen Sie sich eine Quelle aus, die auf Essstörungen spezialisiert ist. Ist dies nicht der Fall, suchen sie sich Hilfe aus Ihrem persönlichen Umfeld oder bei einer Fachperson. Es ist schwierig, für einen Elternteil dieses Thema allein anzugehen.
 - Ansprechen: Viele Eltern fürchten sich davor, dieses Thema anzusprechen. Aber Schweigen oder Wegschauen hilft keinem aus dieser schwierigen Situation. Wenn Ihr Kind sich zurückzieht, empfindlich, wütend oder gar aggressiv reagiert, kann es schwierig sein, ein Gespräch zu führen. Versuchen Sie ruhig zu bleiben und ein Gespräch herzustellen. Geben Sie nicht auf. Sprechen Sie Ihre Beobachtungen immer wieder an. Das Ziel ist dem Kind zu signalisieren, dass es wahr- und ernstgenommen wird und man sich Sorgen macht. Achten Sie dabei auch darauf, ob Sie selbst mit den Auswirkungen der Krankheit noch leben und umgehen möchten/können oder ob es Sie selbst an Ihr Limit bringt.
 - Bleiben Sie ruhig und bereiten Sie sich vor, was Sie sagen werden (dabei kann die Beobachtungsliste helfen) - machen Sie ihrem Kind keine Vorwürfe und verurteilen sie es nicht. Konzentrieren Sie sich darauf, wie Sie sich fühlen.
 - Teilen Sie Ihrem Kind mit, wenn Sie sich Unterstützung holen, z.B. bei einer Beratungsstelle oder einer Ärzt*in. Das schafft zum einen Transparenz, zum anderen können Sie so zeigen, dass es eine Stärke ist, sich Hilfe zu holen. Viele Betroffene schämen sich und haben das Gefühl, sie müssten oder könnten es allein schaffen.
 
Essenstipps für die Familie
Mahlzeiten können besonders schwierige Situationen für die ganze Familie sein. Einige Tipps, welche Sie vielleicht unterstützen können:
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- Wenn Ihr Kind in einer Behandlung ist, fragen Sie unbedingt das Behandlungsteam, wie Sie mit den Mahlzeiten umgehen können.
 - Planen Sie Mahlzeiten weiterhin so, dass es für die ganze Familie passt. Das ist sinnvoller, als für alle separat zu kochen.
 - Portionsgrössen und Kalorien sollten kein Thema sein.
 - Vermeiden Sie selbst Light-Produkte zu essen oder sie zu kaufen.
 - Versuchen Sie, die Dinge während des Essens unbeschwert und positiv zu halten, auch wenn Sie sich vielleicht nicht so fühlen.
 
Regeln aufstellen, Grenzen setzen
Es kann wichtig oder notwendig sein, Regeln aufzustellen und umsetzen. Nehmen Sie nicht nur Rücksicht auf Ihr Kind. Sagen Sie, was Sie selbst möchten und nicht mehr möchten. Ziehen Sie Konsequenzen. Wenn Sie Ihre Grenzen aufzeigen, kann das für Ihr Kind der Punkt sein, an dem es merkt, dass es etwas ändern muss. Versuchen sie die Regeln mit dem Kind, wenn möglich zusammen auszuarbeiten. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es sich darauf einlässt und sich daranhält.
Motivation
Sie können die Betroffene* nicht zu einer Beratung zwingen. Drohungen sind fehl am Platz - auch „Überredungsversuche“ scheitern oft. Zeigen Sie die Möglichkeiten auf, vielleicht ist eine anonyme Beratung momentan leichter. Rechnen Sie damit, dass es vielleicht viel Zeit braucht, bis Ihr Kind zu einer Beratung bzw. Behandlung kommt, oder bis die passende Fachperson oder Therapie gefunden wird. Jedoch haben sie als Elternteil - je nach Alter des Kindes - die Verantwortung für Ihr Kind und dessen Gesundheit. Essstörungen können schwere Folgen nach sich ziehen. Sollte ihr Kind nicht bereit sein, sich professionell helfen zu lassen, dann holen sie sich als Eltern unbedingt Unterstützung von Fachpersonen.
Nicht vergessen zu leben
Eine Essstörung kann die gesamte Familie belasten und dominieren. Oft hilft es offen darüber zu reden. Es ist in Ordnung, wenn Gefühle und Bedürfnisse von allen geäussert und auch Grenzen gesetzt werden, z.B. indem man wütend, verärgert oder hilflos ist. Es ist wichtig, dass das Essen oder Nicht-Essen der Betroffenen* nicht immer im Mittelpunkt steht. Versuchen Sie nicht, die Krankheit des Kindes kontrollieren zu wollen oder mit speziellen Essensangeboten Einfluss zu nehmen. Beides hilft nicht. Das Leben ihres betroffenen Kindes dreht sich schon zum Grossteil um Essen - sorgen Sie dafür, dass die Essstörung nicht zusätzlich noch zu Ihrem Lebensmittelpunkt wird.
Prävention von Essstörungen
Ein gutes Selbstwertgefühl schützt nachhaltig vor Essstörungen. Sie können vermitteln, dass es ganz unterschiedliche Arten gibt, schön zu sein, und dass Ihr Kind toll aussieht, so wie es ist. Auf keinen Fall sollten Sie sein Aussehen kritisieren oder subtile Anspielungen, etwa auf Übergewicht, machen.
Ist das Selbstwertgefühl des Kindes breit in verschiedenen Bereichen verankert und bezieht sich nicht nur auf das Aussehen, beugt das Essstörungen vor. Wichtig sind Hobbys, Schule und soziale Beziehungen. Geben Sie Ihrem Kind zu verstehen, dass es unabhängig von seinen Leistungen oder seinem Aussehen toll und liebenswert ist.
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In der Familie sollen Ernährung, Aussehen oder gesundes Leben nicht ständig Thema sein. Achten Sie als Mutter oder Vater darauf, dass Ihr Kind sich vielseitig, ausgewogen und reichhaltig ernährt und dabei regelmässig und mit Genuss isst. Es soll seinen Bedürfnissen entsprechend und nach eigenem Appetit essen dürfen. Süsses, Fettiges und Salziges sollte in Massen genossen werden.
Regelmässige Mahlzeiten sind für ein gesundes Essverhalten sehr wichtig. So sorgen Sie dafür, dass sich alle satt essen können und gesunde Nahrung zu sich nehmen. Und es wird vermieden, dass Heisshunger auftritt und zwischendurch ungesunde Snacks gegessen werden. Da bei den Mahlzeiten zumeist die ganze Familie zusammenkommt, werden gleichzeitig gute Beziehungen gepflegt.
Hilfsangebote in der Schweiz
In der Schweiz gibt es verschiedene Organisationen und Beratungsstellen für Menschen mit Essstörungen, an die man sich wenden kann, wenn man für sich selbst oder für andere Hilfe sucht.
- Arbeitsgemeinschaft Ess-Störungen AES: Die Arbeitsgemeinschaft Ess-Störungen AES vereint ehemals Betroffene, Angehörige und Fachleute, die sich gemeinsam dafür einsetzen, Menschen mit Essstörungen und Essproblemen zu unterstützen.
 - Zentrum für Essstörungen (ZES) am Universitätsspital Zürich: Dank der engen Zusammenarbeit mit der Klinik für Innere Medizin (KIM) und anderen Kliniken des USZ, ist es dem ZES möglich auch schwerstkranke Patientinnen und Patienten mit einer Magersucht erfolgreich aufzunehmen und zu behandeln.
 
Jugendliche können sich an den schulpsychologischen Dienst, die Schulsozialarbeiter*innen oder eine Jugendberatungsstelle wenden. In verschiedenen Kantonen gibt es Selbsthilfegruppen, die Betroffenen eine Plattform zum Austausch bieten.
Forschungsprojekte und Studien
Aktuelle Forschungsprojekte und Studien tragen dazu bei, das Verständnis von Essstörungen zu vertiefen und neue Therapieansätze zu entwickeln:
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- Klinische Studie: Leptin zur Behandlung von Anorexia Nervosa: Die Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik des Universitätsspitals Zürich (USZ) führt aktuell eine klinische Studie durch, in der ein neuer Behandlungsansatz für Anorexia Nervosa untersucht wird.
 - Forschungsprojekt der Universität Konstanz: Prozesse der Emotionsregulation bei Ess- und Körperschemastörungen: Wir untersuchen Prozesse der Emotionsregulation bei Ess- und Körperschemastörungen in einer breit angesetzten Online Erhebung.
 - BONITO-Studie: Simone Munsch die BONITO-Studie durchgeführt. Diese Studie untersucht den Zusammenhang zwischen Emotionsregulation und Binge Eating bei Erwachsenen (18-69 Jahre), mit besonderem Fokus auf die Arbeitsgedächtniskapazität bei der Binge Eating Störung (BES).
 
Weitere Informationen und Ressourcen
Es gibt zahlreiche weitere Ressourcen, die Betroffenen, Angehörigen und Fachkräften helfen können, sich umfassend über Essstörungen zu informieren und Unterstützung zu finden:
- NEU: ‘Über den Tellerrand hinaus’ - Eine Broschüre für Angehörige: Wenn ein Mensch an einer Essstörung erkrankt, ist auch sein Umfeld betroffen. Die Broschüre „Über den Tellerrand hinaus“ bietet Eltern, Partner:innen und Freund:innen fundierte Informationen und konkrete Unterstützung - verständlich, empathisch und praxisnah.
 - Essstörungen am Arbeitsplatz: Wie spricht man eine Person an, bei der man eine Essstörung vermutet? Unsere neue Broschüre liefert Ihnen wertvolle Ratschläge und Handlungsempfehlungen, wie Sie als Arbeitgeber oder Kollege sensibel und unterstützend vorgehen können.
 - Spiegelbilder: Ein Projekt zur Stärkung junger Frauen*: Ein positives Selbstbild, eine gute Körperwahrnehmung und Selbstakzeptanz helfen, einen guten Umgang mit sich selbst und seinem Körper zu finden.
 
Podcasts zum Thema Essstörungen
- Süss & Essgestört: Es ist ein Podcast, in dem wir als Freundinnen versuchen uns und andere etwas mehr aufzuklären: wir sprechen über unsere Erfahrungen mit Essstörungen (A‑typische Anorexie und Magersucht), das bunte Chaos im Leben, die Vielfältigkeit, schöne und weniger schöne Momente auf unserer Reise, aber am Ende alles auf eine selbstironische Art und Weise, mit einer großen Portion Witz und Lebenslust.
 - Pippi & Annika: Wir möchten mit diesem Podcast Mamas ansprechen, die unter einer Essstörung leiden oder litten und sich Sorgen darüber machen, dass ihre Kinder sich eine Essstörung bekommen könnten.
 
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