Grundlagen der Systemtheorie in der Psychologie nach Watzlawick

Die systemische Betrachtungsweise konzentriert sich vor allem auf die Ebene der Kommunikation und achtet dabei besonders auf die «gestörte» Kommunikation. In der systemischen Therapie geht es nicht nur um die Veränderung von sozialen Strukturen und Interaktionen, sondern es geht auch um die Veränderung der kommunikativen Beziehungen zur Welt, zu Partnern und zu sich selbst (Kriz, 2014).

Als Kommunikation gilt in diesem Zusammenhang nicht nur sprachliches Verhalten, sondern jedes Verhalten in einer zwischenmenschlichen Situation. Jedes Verhalten in einer zwischenmenschlichen Situation ist Kommunikation. Verhalten hat kein Gegenteil, d.h. man kann sich dem sozialen Kontext nicht entziehen.

Die fünf Axiome der Kommunikation

Die Autoren haben fünf Axiome der Kommunikation formuliert, die deutlich machen, dass Äusserungen von Menschen nicht nur auf etwas «in der Welt» verweisen (Semantik) und dabei eine bestimmte Struktur aufweisen (Syntaktik), sondern vor allem in beziehungsrelevanter Weise verwendet werden (Pragmatik).

Es geht es um den Verwendungszweck und die Wirkung von Zeichen (wie Sprache) im Hinblick auf die Kommunikation. Die menschliche Kommunikation lässt sich in drei Teilgebiete gliedern: Syntaktik, Semantik und Pragmatik. Die Syntaktik stellt die formale Verknüpfung sprachlicher Zeichen dar, die Semantik hat es mit dem Sinn bzw. der Bedeutung dieser Zeichen zu tun, während die Pragmatik eine Interpretation der Zeichen und ihrer Wirkungen auf das Verhalten von Menschen ist.

Die fünf Axiome sind:

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  1. Man kann nicht nicht kommunizieren.
  2. Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.
  3. Kommunikation besitzt ein Muster, das Interpunktion genannt wird.
  4. Kommunikation läuft analog und digital ab.
  5. Kommunikation läuft symmetrisch oder komplementär ab.

1. Axiom: Man kann nicht nicht kommunizieren

Das Verhalten von Individuen zueinander stellt in jedem Fall eine Kommunikation dar. Dabei ist es nicht relevant, ob die Individuen miteinander sprechen. Das bedeutet, dass eine Nicht-Kommunikation nicht möglich ist, genauso wie Nicht-Verhalten nicht möglich ist. Selbst ein Individuum, das schweigt und zu Boden blickt, kommuniziert über dieses Verhalten mit seiner Umwelt. Es signalisiert: Ich will nicht sprechen und deshalb sprecht mich auch nicht an.

„Man kann nicht nicht kommunizieren.“ (S. 60)

2. Axiom: Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt

Eine Frage wie „Sind die Perlen echt?“ an eine Frau, die ebensolche um den Hals trägt, ist formal gesehen eine Bitte um Informationen zur Beschaffenheit der Perlen. Dies ist der Inhaltsaspekt der Frage. Je nachdem, wie der Fragende diese Frage stellt, kann es sich um Neugierde, Bewunderung oder auch Skepsis handeln - indem er z. B. an der Echtheit der Perlen zweifelt. Er definiert über die Art, wie er fragt (z. B. durch ein Heben der Augenbraue, durch den Tonfall, durch Gesten) die Beziehung zu seiner Kommunikationspartnerin. Entsprechend können Fehler in der Kommunikation nicht nur auf der Inhaltsebene, sondern sehr häufig auch auf der Beziehungsebene entstehen.

Die Sprache übermittelt nicht nur Sachverhalte, sondern stellt vor allem eine Beziehung her. Der Inhaltsaspekt sagt etwas über das WAS einer Mitteilung aus, der Beziehungsaspekt sagt etwas darüber, WIE der Sender die Mitteilung verstanden haben möchte.

„Wir finden somit in jeder Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.“ (S. 61)

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3. Axiom: Kommunikation besitzt ein Muster, das Interpunktion genannt wird

Zu jedem kommunikativen Verhalten der Person A kann ein kommunikatives Verhalten der Person B gefunden werden, das diesem vorausgeht (oder folgt). Diese Abfolge kann aber von beiden Beteiligten unterschiedlich gegliedert und interpretiert werden; das eigene Verhalten kann sowohl Reaktion auf das Verhalten des andern sein als auch Reiz und Verstärkung für das Verhalten des andern; dies wird Interpunktion genannt.

Beispielsweise können sich notorische Streithähne immer wieder auf die gleiche Art und Weise „angiften“. Dabei halten sie sich - meist ohne es zu wissen - an eine bestimmte Folge von Ursache und Wirkung, Rede und Gegenrede.

„Diskrepanzen auf dem Gebiet der Interpunktion sind die Wurzel vieler Beziehungskonflikte.“ (S. 67)

4. Axiom: Kommunikation läuft analog und digital ab

Zeichnet jemand das Bild eines Hauses, so stellt er eine Analogie zur Wirklichkeit her. Man nennt dies analoge Kommunikation. Sie drückt sich z. B. auch in der Wortmelodie und der Art zu sprechen aus und kann dann sogar zur Kommunikation mit ganz kleinen Kindern oder gar Tieren taugen. Benutzt man jedoch das Wort für Haus, bestehend aus den Buchstaben H-A-U-S, so spricht man von digitaler Kommunikation. Diese setzt voraus, dass das Wissen über die Bedeutung der Buchstabenkombination bzw. ihre Lautfolge allen beteiligten Kommunikationspartnern bekannt ist. Digitale Kommunikation ist daher mit ganz kleinen Kindern nicht möglich, analoge jedoch durchaus.

(Digitale Kommunikationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax, aber eine auf dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses semantische Potenzial, ermangeln aber der für eindeutige Kommunikationen erforderlichen logischen Syntax).

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Digitale Kommunikation bezieht sich auf abstrakte Sprache, auf die Zuordnung von Zeichen zu Inhalten (Wörter sind Zeichenfolgen zur Bezeichnung von Inhalten: K-a-t-z-e bezeichnet das Tier Katze). Analog ist eine Zuordnung, wenn eine Ähnlichkeit zwischen Inhalt und Zeichen besteht (Bild einer Katze zum Tier Katze). Inhaltsaspekte der Kommunikation werden eher digital übermittelt, Beziehungsaspekte eher analog (Mimik, Gestik, Tonfall).

„Analoge Kommunikation (...) besitzt daher eine weitaus allgemeinere Gültigkeit als die viel jüngere und abstraktere digitale Kommunikationsweise.“ (S. 72)

5. Axiom: Kommunikation läuft symmetrisch oder komplementär ab

Wenn Menschen miteinander kommunizieren, gibt es entweder symmetrische Rollen, d. h. die Partner sind gleichgestellt, oder sie verhalten sich zueinander komplementär. Letzteres deutet auf eine Ungleichheit hin, wie sie z. B. bei Gesprächen zwischen Eltern und Kind oder Lehrer und Schüler vorkommt.

Bei der symmetrischen Interaktionsform werden Unterschiede vermindert, beide Partner streben nach Gleichheit, bei der komplementären Interaktionsform versuchen sich die Partner möglichst gut zu ergänzen. Erfolgreiche Kommunikation entsteht, wenn beide Interaktionsformen in einem ausgeglichenen Verhältnis vorkommen.

Störungen menschlicher Kommunikation

Die fünf Axiome helfen dabei, typische Störungen in der Kommunikation zu erkennen und zu erklären. Es kann beispielsweise in einer Paarbeziehung vorkommen, dass eine Kommunikationsstörung auftritt, obwohl sich beide Partner inhaltlich völlig einig sind. Man möchte z. B. einen Freund einladen, streitet sich aber, weil der eine Partner die Einladung bereits ausgesprochen hat, ohne den anderen über seine Absicht zu informieren. Das Problem liegt dann nicht auf der inhaltlichen, sondern auf der Beziehungsebene.

Besonders aus der Vermengung von Inhalts- und Beziehungsaspekten sowie aus unterschiedlichen Kausalzuschreibungen (Interpunktionen) einer Wechselwirkung ergeben sich viele Kommunikationsstörungen.

„Wir sind wie eingesponnen in Kommunikation und sind doch - oder gerade deshalb - fast unfähig, über Kommunikation zu kommunizieren.“ (S. 42)

Störungen in der menschlichen Kommunikation entstehen auch durch Übersetzungsschwierigkeiten von analoger in digitale Kommunikation. Ein unerwartetes Geschenk an den Partner kann vom Beschenkten als Geste der Zuneigung, als Wiedergutmachung, aber auch als Bestechung verstanden werden. Der Ehemann, der seiner Frau unerwartet Blumen mitbringt, erzeugt bei seiner Partnerin vielleicht Misstrauen, da sie vermutet, er hätte etwas getan, für das er sich entschuldigen möchte.

Bei der ausschließlichen Nutzung analoger Kommunikation ist es schwierig, Negation auszudrücken. Nimmt man zur Klärung nicht die digitale Kommunikation zur Hilfe, kann sie schlimmstenfalls auch zu Gewalttätigkeiten führen. Das veranschaulichen Beispiele aus der Tierwelt: Rivalen gehen so lange aufeinander los, bis einer der Kontrahenten im Kampf unterliegt. Tieren fehlt die digitale Kommunikation und die Fähigkeit zum Kompromiss.

Pragmatische Paradoxien

Als pragmatische Paradoxien bezeichnet man unauflösbare Widersprüche in der Kommunikation und in der Deutung von Kommunikation und Handlungen.

Pragmatische Paradoxien entstehen in der Kommunikation deshalb, weil die Elemente der digitalen Kommunikation, also Wörter, Bestandteile der eigenen Klasse sind. Das Wort „Begriff“ etwa ist Bestandteil der Klasse der Wörter, aber gleichzeitig ist die Klasse selbst ein Begriff und somit Bestandteil von sich selbst - ein logischer Widerspruch, wenn man voraussetzt, dass eine Sache nur Bestandteil einer Gruppe oder nicht Bestandteil einer Gruppe sein kann. Der Begriff „Klasse“ führt uns diese pragmatische Paradoxie in der menschlichen Kommunikation vor Augen. Ein Mensch, der äußert: „Ich lüge!“, liefert ein Beispiel für eine paradoxe Aussage. Sein Hinweis ist nur dann wahr, wenn er nicht lügt. Spricht er aber die Wahrheit, so ist seine Aussage inhaltlich nicht korrekt.

Pragmatische Paradoxien findet man auch in der Unterscheidung von Objektsprache und Metasprache. Der Satz „Paris ist eine Großstadt“ enthält eine Information, die wahr und korrekt ist. Paris wird hier als Objekt verstanden. Der Satz „Paris ist zweisilbig“ ergibt keinen Sinn, sofern man ihn als Verweis auf ein Objekt (die Stadt Paris) versteht. In Wahrheit handelt es sich um eine metasprachliche Aussage, weil in diesem Fall nicht die Stadt, sondern das zweisilbige Wort „Paris“ gemeint ist. Nur auf der metasprachlichen Ebene ergibt der Satz „Paris ist zweisilbig“ Sinn, obwohl der Inhalt der Aussage unwahr ist.

Bei sprachlichen Paradoxien besteht die Möglichkeit, nichts zu sagen, obwohl man etwas sagt. Man muss sich nur selbst widersprechen. Dies wird an folgendem Beispiel eines Ehepaars deutlich: Der Mann, ein Antialkoholiker, will seiner Frau abendliche Cocktails untersagen. Seine Frau geht auf diese Forderung nicht ein. Daraufhin droht der Mann, sich selbst ein Laster zuzulegen, und deutet Untreue an. Doch er macht seine Drohung nicht wahr und kündigt dann sogar an, den abendlichen Cocktail zu „legalisieren“. Das bringt die Ehefrau in Aufruhr, da sie dem Mann jetzt Untreue vorwirft. Das Beispiel zeigt: Menschliche Kommunikation beruht immer auf Vertrauen oder Misstrauen. Eine Aussage kann man als wahr akzeptieren oder als unwahr ablehnen. In der Regel fehlt jedoch das Wissen über die Intention des Individuums, das die Aussage trifft.

Die Paradoxien der Doppelbindungstheorie

Häufig treten in engen zwischenmenschlichen Beziehungen, etwa zwischen Eltern und Kind oder auch in Freundschaften, so genannte Doppelbindungen auf, auch bekannt als Beziehungsfallen oder Zwickmühlen. Ihre Struktur: Eine digitale Mitteilung wird durch analoge Kommunikation negiert. Ein Beispiel für eine solche unentscheidbare Mitteilung wäre die Aussage eines Menschen, der mit zittriger Stimme und in schlechter körperlicher Verfassung sagt: „Mir geht es ausgezeichnet. Ich fühle mich pudelwohl!“ Für den Empfänger der Mitteilung ist es nicht möglich, zu deuten, wie er die Aussage verstehen soll. Geht es dem Sender der Nachricht wirklich gut oder muss man seinem äußeren Erscheinungsbild und der zittrigen Stimme nach vermuten, dass es der Person miserabel geht?

Schwierig wird es, wenn Handlungsanweisungen gegeben werden, die in sich paradox sind, wenn also ein Befolgen zum Missachten führt und ein Missachten eigentlich Befolgen bedeutet. Das Auftreten der Doppelbindung in zwischenmenschlichen Beziehungen führt zu Ratlosigkeit und Missverständnissen und kann zu krankhaftem Verhalten führen. Widersprüche in der Kommunikation können eine Person vor unentrinnbare Rätsel stellen, bei dem jede ihrer Alternativen zur Katastrophe führt.

Die Paradoxie ist ein Widerspruch, «der sich durch folgerichtige Deduktion aus widerspruchsfreien Prämissen ergibt» (Watzlawick et al., 1969/2000). Man bezeichnet dies auch als Double-Bind-Konstellation (siehe auch Kapitel Systemtheorie und -therapie > Frühe systemtherapeutische Konzepte), die in den 1950er und 1960er Jahren zur Erklärung der Schizophrenie diente. Die Schizophrenie wird in diesem Kontext als adäquate Reaktion auf eine unhaltbare Situation bezeichnet, z. B. auf eine Mitteilung, die etwas aussagt, die aber zusätzlich etwas über die eigene Aussage aussagt.

Metakommunikation und das Spiel ohne Ende

In der menschlichen Kommunikation werden mitunter Alternativen angeboten, die nur auf den ersten Blick eine echte Lösung darstellen. Mit der Frage des Staatsanwalts an den Angeklagten: „Haben Sie aufgehört, Ihre Frau zu misshandeln?“, schafft er die Alternativen Ja und Nein als Antwort. Das Dilemma besteht darin, dass der Angeklagte in beiden Fällen zugeben würde, seine Frau misshandelt zu haben.

Es gibt viele Beispiele für Kommunikation, die in ausweglose Situationen hineinführt. Beispielsweise werden zwei Menschen, die verabreden, dass sie fortan immer dann, wenn sie „Nein“ meinen, „Ja“ sagen und umgekehrt, aus diesem Spiel ohne Ende nicht mehr herauskommen. Das gelänge ihnen nur, wenn sie sich zuvor darüber verständigten, wie sie über ihr Spiel sprechen, also wie sie Metakommunikation ermöglichen. Können sie diese Metaebene kennzeichnen, z. B. indem sie eine dritte Person bitten, das Spiel ohne Ende durch ein Gespräch über das Spiel zu beenden, gelänge ihnen auch der Ausstieg aus der ausweglosen Situation. Diese Rolle kann bei Kommunikationsstörungen in Familien oder Paarbeziehungen der Therapeut übernehmen, indem er z. B.

Das Konzept der Kollusion

Als Kollusion wird ein oft unbewusstes Zusammenspiel zweier oder mehrerer Personen bezeichnet; der Begriff ist vor allem durch das Kollusionskonzept in der Zweierbeziehung bekannt geworden, wie es Jürg Willi beschrieben hat (Willi, 2010).

Das Konzept der Kollusion stammt von Jürg Willi (1975, 2010) und bezeichnet ein unbewusstes malignes Zusammenspiel zwischen zwei Partnern. Kriz bezeichnet das Konzept der Kollusion als «eine gelungene Verbindung psychodynamischer und systemischer Grundkonzepte».

Gemäss Willi sind die Grenzen eines Systems wichtig; dies betrifft sowohl die Abgrenzung innerhalb der Paarbeziehung als auch die Abgrenzung des Paares gegenüber andern Personen. In einer funktionierenden Partnerschaft werden diese Grenzen als «klar und durchlässig» charakterisiert (Kriz, 2014). Im «gestörten Fall» sind diese Grenzen entweder zu starr oder zu diffus. Die Partnerbeziehung muss gegen aussen abgegrenzt und klar unterschieden sein von jeder andern Beziehung.

Idealerweise kommen im Verhaltensrepertoire einer Partnerschaft regressive (kindliche) und progressive (erwachsene) Verhaltenstendenzen vor und können von beiden Partnern flexibel gehandhabt und gewechselt werden.

Der gemeinsame unbewältigte Grundkonflikt wird in verschiedenen Rollen ausgetragen, was den Eindruck entstehen lässt, der eine Partner sei geradezu das Gegenteil des anderen. Dieses progressive und regressive Abwehrverhalten bewirkt zu einem wesentlichen Teil die Anziehung und dyadische Verklammerung der Partner. Jeder hofft, von seinem Grundkonflikt durch den Partner erlöst zu werden. Im längeren Zusammenleben scheitert dieser kollusive Selbstheilungsversuch wegen der Wiederkehr des Verdrängten bei beiden Partnern.

Das Konzept der Kollusion ist nicht nur auf die Familien- und Paarsituation beschränkt.

Systemische Therapie

In der systemischen Therapie wird die Person stets als Teil eines sozialen Bezugsystems gesehen. Psychische Störungen und persistierende Konflikte werden als Hinweise auf notwendige Veränderungen von Bewertungs- und Interaktionsmustern verstanden.

Der systemische Therapieansatz des Instituts für Ökologisch-systemische Therapie legt den Schwerpunkt auf das Wirken der Person und dessen Beantwortung. Gemäss ökologisch-systemischem Verständnis treten psychische Probleme und ernsthafte Beziehungsstörungen dann auf, wenn es der Person nicht mehr ausreichend gelingt, mit ihrem Wirken die erhoffte Beantwortung durch die Umwelt zu erzielen. Die Therapie soll persönliche Entwicklungen anregen und unterstützen, welche die Wahrscheinlichkeit der angestrebten Beantwortung erhöhen.

Als systemische Therapie wird eine psychotherapeutische Fachrichtung beschrieben, die die oben beschriebenen systemischen Zusammenhänge und die Interaktion und Kommunikation der Individuen in ihrem sozialen Kontext als Grundlage für die Diagnose und Therapie von psychischen Beschwerden und interpersonellen Konflikten betrachtet.

In den 1970er und 1980er Jahren wurde als wesentliches Kennzeichen des systemischen Ansatzes in der Psychotherapie oft die Verschiebung des Fokus vom Individuum weg auf die Familie verstanden (Kriz, 2014). Statt «innere Konflikte» dem Individuum zuzuschreiben, wurden sie nun als Funktionsträger in sozialen Interaktionsprozessen gesehen. Zur Zeit der Anfänge der systemischen Therapie wurden die (familiären)Interaktionsstrukturen als so wichtig angesehen, dass die inneren Strukturen und Prozesse des einzelnen Menschen vernachlässigt und teilweise sogar als irrelevant bezeichnet wurden. Kriz (2014) bezeichnet dieses Phänomen als sozialsystemischen Reduktionismus.

Die Familie ist in diesem Sinne nur eines der möglichen Systeme. Ebenso wird das System Familie in der systemischen Auffassung nicht durch die in der Therapiesituation faktisch anwesenden Familienmitglieder bestimmt, sondern durch Interaktionsdynamiken und Erwartungs-Erwartungen, die auch abwesende oder verstorbene Familien- oder Gruppenmitglieder betreffen können. Kriz spricht von der «Familie im Kopf» (2014, S. 257).

Joining bezeichnet das therapeutische Arbeitsbündnis. Indem der Therapeut mit der Familie zu arbeiten beginnt, entsteht ein neues System. Es ist deshalb wichtig, von Anfang an die Beziehung so zu gestalten, dass ein vertrauensvoller und stabiler Kontakt entsteht. Durch systemisches Fragen soll die festgefahrene Gruppen- oder Familendynamik durchbrochen werden. Die rigiden Konstruktionen und einengenden Narrationen sollen in der Therapie verflüssigt werden, um für die Beteiligten den Verständnis- und Handlungsraum zu erweitern. Damit soll die Kompetenz zur Erhöhung der positiven und zur Reduzierung der unerwünschten Handlungen gesteigert werden.

Reframing bedeutet Umdeutung von festgefahrenen Familienstrukturen: Probleme und Erwartungen werden in einen veränderten Verstehens- und Interpretationsrahmen gestellt. Die Sichtweise der Probleme und damit die Bedeutung der Symptome wird neu definiert; das pathogene Familienspiel soll durchbrochen werden. Mit der Familienanamnese kann man gut mit allen Familienmitgliedern auf neutrale Weise in Kontakt kommen.

Familienspiel: Das Objekt der Interventionen ist weder das Individuum noch die Familie, sondern das Familienspiel. Symptomverschreibungen: diese beruhen auf dem Konzept des «Gegenparadoxons»: die Logik des paradoxen Spiels soll ausser Kraft gesetzt werden, indem das symptomatische Verhalten der Familienmitglieder als positiv für die dynamische Stabilität des Familiensystems definiert und empfohlen wird.

Der Radikale Konstruktivismus

Paul Watzlawick zählt zu den Vertretern des radikalen Konstruktivismus, einer einflussreichen und umstrittenen Strömung der Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert. Die Grundthese des radikalen Konstruktivismus lautet: Der Mensch hat keinen unmittelbaren Zugriff auf die objektive Realität. Entsprechend kann die Wissenschaft auch nicht erklären, was die Wirklichkeit ist. Das Radikale an dieser Form des Konstruktivismus ist die komplette Leugnung einer Realität, die unabhängig von verschiedenen Subjekten erfahren werden kann. Jeder Mensch baue sich seine eigene Form der Wirklichkeit auf, er konstruiere sie. Daraus folgt beispielsweise für die Kommunikationstheorie, dass auch das Sprechen über die Wirklichkeit immer das Sprechen über Konstruktionen ist. Die Sprache selbst stellt lediglich Zuweisungen einer Bedeutung dar. Die Farbe „Grün“ erhält ihre Bedeutung erst, indem ihr eine Bedeutung zugewiesen wird (z. B. das Signal zum Losfahren im Straßenverkehr), das gilt fundamental sogar für die Laut- bzw. Zeichenfolge „Grün“ selbst.

Die Wirklichkeit anderer Menschen zu erkennen oder zu verstehen ist gemäß dem radikalen Konstruktivismus nicht möglich. Ernst von Glasersfeld, der wichtigste Vertreter dieser Philosophie, bezeichnete diesen Umstand als epistemischen Solipsismus: Im subjektiven Erkennen existiert je nur eine spezifische Realität des Subjekts.

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