Soziale Angststörung bei Kindern: Ursachen, Symptome und Behandlung

Übermässige, starke und unkontrollierbare Angstgefühle bei Kindern und Jugendlichen können zu einer psychischen Erkrankung werden. Diese Entwicklung beginnt schleichend. Die Ängste können verschiedene Formen annehmen, wie beispielsweise Trennungsangst, generalisierte Ängste oder soziale Phobie.

Ursachen

Die Ursachen können multifaktoriell sein: genetische Veranlagung, neurobiologische Faktoren, traumatische Erfahrungen, familiäre Belastungen, Umweltfaktoren und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale. Eine Kombination dieser Faktoren kann das Risiko für die Entwicklung von Angststörungen erhöhen.

Genetische Veranlagung und biologische Faktoren

Unterschiedliche Familien-, Zwillings- und molekulargenetische Studien fanden eine familiäre Häufung der sozialen Phobie. Das unterstützt die Annahme, dass zumindest ein Teil der Ursache einer sozialen Phobie auf die genetische Vererbung zurückzuführen ist. Wie gross dieser Anteil jedoch ist, lässt sich nicht eindeutig beziffern.

Neurobiologische Veränderungen, welche im Zusammenhang mit einer sozialen Phobie stehen, werden vor allem von Störungen des Serotonin- und Dopaminsystems verursacht.

Negative Erfahrungen in der Kindheit

Betroffene einer sozialen Phobie haben in ihrer Kindheit häufig ungünstige (Lern-)Erfahrungen gemacht. Ein wichtiger Faktor hierbei ist ein dysfunktionales Erziehungsverhalten der Eltern. Bei einem überbehütenden Erziehungsstil werden Kinder stark kontrolliert und eingeschränkt. Folglich lernen betroffene Kinder nicht in ausreichendem Masse ein selbstständiges und autonomes Handeln.

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Gegenteilig ist auch ein wenig emotionaler und instabiler Erziehungsstil besonders ungünstig. Kinder können so die Überzeugung ausbilden, dass soziale Kontakte unvorhersehbar oder sogar gefährlich sein können. Ein dysfunktionaler Erziehungsstil führt bei Kindern zu einem geringen Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeitserwartung.

Betroffene einer sozialen Phobie berichten auch häufiger von traumatischen Erfahrungen in der Kindheit wie zum Beispiel Gewalt in der Familie, körperlicher / sexueller Missbrauch oder längere Trennung von den Eltern.

Psychologische Risikofaktoren

Schüchternheit, Zurückgezogenheit und Angst in Bezug auf neue Situationen sind Merkmale, die bereits früh auftreten und über verschiedene Situationen hinweg stabil sind. Diese Merkmale werden als Behavioral Inhibition (Verhaltenshemmung) bezeichnet und können einen Risikofaktor für Angststörungen (nicht nur soziale Phobien) darstellen.

Wie bereits beschrieben, steht im Zentrum der sozialen Phobie die Angst vor der (negativen) Beurteilung anderer Menschen. Um jegliche Situationen zu vermeiden, in denen eine Peinlichkeit befürchtet wird, weisen Betroffene einer sozialen Phobie ein starkes Sicherheitsverhalten auf. Sicherheitsverhalten kann sich äussern in einer übertriebenen Vorbereitung, übertriebenes Überprüfen der äusseren Erscheinung oder in einer geringen Gesprächsbeteiligung. Folglich fokussieren soziale PhobikerInnen ihre Aufmerksamkeit auf sich selbst und weniger auf die soziale Interaktion.

Häufigkeit

Angststörungen sind bei Kindern und Jugendlichen häufig. Laut einer Unicef-Studie aus dem Jahr 2021 leiden etwa 37 % der Jugendlichen in der Schweiz an Symptomen einer Angststörung oder Depression.

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Symptome

Angstgefühle und körperliche Beschwerden wie Bauchschmerzen, Herzklopfen, Kopfschmerzen oder Übelkeit sind mögliche Symptome. Darüber hinaus können folgende Begleiterscheinungen auftreten: anhaltende Sorgen, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Rückzug von sozialen Aktivitäten und Vermeidungsverhalten. Ängstliche Reaktionen können auch zu Panikattacken führen.

Folgende körperliche Symptome können auf eine Angststörung hindeuten:

  • ständige, anhaltende Sorgen
  • Nervosität, innere Unruhe
  • Schlafprobleme
  • Zittern
  • Herzrasen
  • Atemnot
  • erhöhte Muskelspannung
  • Schwitzen
  • Schwindel, Kreislaufprobleme
  • Harndrang
  • Benommenheit
  • Beschwerden im Magenbereich
  • Übelkeit

Was sind die Symptome einer sozialen Phobie?

Folgende Symptome liegen nach der ICD-10 Klassifikation psychischer Störungen bei einer sozialen Phobie vor:

  • Die Betroffenen haben starke Furcht, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich zu blamieren. Daher vermeiden sie Situationen, in denen sich die Befürchtungen möglicherweise verwirklichen.
  • Die Ängste beziehen sich auf soziale Situationen, wie zum Beispiel Essengehen oder Sprechen in der Öffentlichkeit. Sie fürchten sich davor, sich kleinen Gruppen anzuschliessen, zum Beispiel auf Partys oder in Klassenräumen, aber auch Bekannten in der Öffentlichkeit zu begegnen.
  • Körperliche Symptome bei einer sozialen Angst sind: Erröten oder Zittern, die Angst zu erbrechen sowie starker Harn- oder Stuhl-Drang. Menschen mit sozialer Phobie haben grosse Sorge, dass andere diese Anzeichen bemerken. Da sie sich stark auf die körperlichen Symptome konzentrieren, verstärken sich diese.
  • Die Betroffenen leiden sehr unter den Angst-Symptomen und den Folgen des Vermeidungsverhaltens. Obwohl sie wissen, dass die Angst übertrieben ist, sind sie nicht in der Lage, ihr Verhalten alleine zu ändern.

Symptome einer Panikattacke

Charakteristisch für eine Panikattacke ist, dass die intensive und plötzliche Panik sich körperlich auswirkt. Typische Symptome sind Herzrasen, Schweissausbruch, Zittern und Mundtrockenheit. Die Symptome einer Panikattacke sind jedoch von aussen nicht immer sichtbar. Oftmals versuchen die betroffenen Teenager ihre Ängste zu verbergen. Deshalb kann es für Eltern schwierig sein, eine Panikstörung zu erkennen. Allenfalls zeigen sich Anzeichen im Verhalten: Die Jugendlichen ziehen sich noch stärker zurück, versuchen bestimmte Situationen zu vermeiden, möchten nicht mehr in die Schule gehen oder reagieren vermehrt aggressiv.

Diagnose

Eine Diagnose ist wichtig, um die zugrundeliegende Ursache zu identifizieren und eine geeignete Behandlung einzuleiten. Eine frühzeitige Behandlung ist wichtig, um langfristige Auswirkungen zu minimieren.

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Wie läuft eine Abklärung ab?

  • Kennenlernen von Kind und Familie im Erstgespräch.
  • Erfassen der Fragen, Schwierigkeiten, Symptome und Anamnese.
  • Je nach Fragestellungen werden weitere Termine angesetzt, an denen wir mit dem Kind arbeiten, Tests durchführen - das Kind sich spielerisch betätigen lassen oder eine körperliche Untersuchung durchführen (z.B. betreffend Motorik oder neurologischer Auffälligkeiten).
  • Beurteilung von Testergebnissen, Verhaltensmerkmalen und Entwicklungsmustern auf der Basis von Anamnese, Beobachtungen, Schulberichten usw. durch die Fachpersonen.
  • Besprechung der Ergebnisse und Befunde mit den Eltern, wenn immer möglich auch mit dem Kind und dem/der Jugendlichen.

Behandlung

Die Behandlung einer Angststörung beinhaltet in der Regel eine Kombination aus verschiedenen Ansätzen, um die Symptome zu lindern und das Leben besser bewältigen zu können.

Ambulante Behandlung

In der Kinder-/Jugendpsychiatrie und Psychosomatik überlegen wir gemeinsam mit den Eltern und dem Kind, welche Hilfe und Massnahmen unterstützen können. Bei Bedarf ziehen wir in Absprache mit der Familie auch die Schule resp. Lehrpersonen und ein weiteres Helfernetz zur Besprechung der Förderung bei. Zusätzlich sind wir, soweit angezeigt, bei der Suche nach Therapieplätzen behilflich. Aus Kapazitätsgründen bieten wir derzeit keine ambulanten Therapien an.

Stationäre Behandlung

In der Therapiestation für Kinder und Jugendliche erhalten Kinder und Jugendliche mit anhaltenden Ängsten eine bedarfsorientierte stationäre Behandlung. Insbesondere, wenn die Ängste sich bereits stark auf den Alltag (Familie, Freunde, Schule, Lehre) auswirken oder wenn die zurückliegende ambulante Therapie nicht funktioniert hat.

Psychotherapie

Die Psychotherapie ist eine Form der Gesprächstherapie, bei der die Betroffenen mit einer Fachperson über ihre Ängste und Belastungen sprechen können. Ziel der Psychotherapie ist es, die zugrundeliegenden Ursachen der Angst zu verstehen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Erlernen von Entspannungstechniken und das Überwinden von Vermeidungsverhalten können Teil davon sein.

Kognitive Verhaltenstherapie

Zu Beginn der Therapie informiert der Therapeut den Patienten ausführlich über die soziale Phobie (Psycho-Edukation). Der Therapeut erklärt dem Betroffenen, welche Faktoren zur Entstehung und zur Aufrechterhaltung der Störung beitragen und welche Rolle unrealistische Ansprüche und Gedanken, sowie das Vermeidungsverhalten spielen.

Der nächste Schritt der Therapie einer sozialen Phobie besteht aus der Überprüfung und Veränderung von ungünstigen Gedanken (kognitive Umstrukturierung). Der Therapeut hinterfragt zum Beispiel die Gedanken des Patienten, die sich auf die Bewertung durch andere beziehen. Weiss der Betroffenen wirklich, wie andere Menschen über ihn denken? Weshalb ist er sich sicher, dass andere sein Verhalten als peinlich empfinden?

Im weiteren Therapieverlauf liegt der Fokus auf Rollenspielen, die der Konfrontation mit Ängsten dienen. Viele Betroffene haben den Umgang mit anderen mit der Zeit verlernt, weil sie soziale Situationen vermieden haben.

Die nächste Stufe der Konfrontation mit den Ängsten des Patienten findet ausserhalb einer Klink oder Praxis statt (Expositionstherapie). In der Öffentlichkeit begeben sich die Betroffenen in für sie unangenehme und peinliche Situationen. Die Herausforderungen steigert man dabei langsam.

Psychodynamische Psychotherapie

Die Psychodynamische Psychotherapie konzentriert sich auf ungelöste Konflikte, die die soziale Phobie mitverursachen. Vor allem Beziehungskonflikte sind mögliche Auslöser.

Im Rahmen einer psychodynamischen Psychotherapie erforschen Therapeut und Patient, wie dieses ungünstige Beziehungsmuster entstanden ist und welchen Zweck es erfüllt hat. Bei manchen Patienten zeigt sich beispielsweise, dass der Ursprung in überhöhten Ansprüchen der eigenen Familie liegt. Diesen Ansprüchen nicht zu genügen, wird unter Umständen zu einer lebenslangen Bürde und überträgt sich auf andere Menschen und Situationen.

Medikamente

In einigen Fällen können Medikamente verschrieben werden, um die Symptome der Angststörung zu lindern.

Eine soziale Phobie behandeln Ärzte in der Regel mit selektiven Serotonin- oder Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRIs/SNRIs), wie zum Beispiel Paroxetin oder Venlafaxin. Sie verhindern, dass die Botenstoffe Serotonin oder Noradrenalin schnell wieder von ihrem Wirkungsort abgezogen werden.

Es dauert jedoch etwa zwei bis vier Wochen bis sich ein Effekt zeigt. Nach einer Verbesserung der Symptome einer sozialen Angststörung verschreibt der Arzt die Medikamente noch einige weitere Wochen, um einen Rückfall zu verhindern. Zu den unerwünschten Nebenwirkungen gehören Unruhe, Übelkeit und sexuelle Funktionsstörungen.

Änderung des Lebensstils

Gesunde Gewohnheiten wie regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf und eine ausgewogene Ernährung können die Behandlung unterstützen.

Selbsthilfegruppen

Hier können Betroffene sich mit anderen Betroffenen austauschen und von deren Erfahrungen profitieren.

Wie kann ich meinem Kind helfen, mit seinen Ängsten umzugehen?

Wichtig ist es, offen und unterstützend mit dem Kind über seine Ängste zu sprechen. Ermutigen Sie Ihr Kind, über seine Gefühle zu sprechen, und zeigen Sie Verständnis. Vermitteln Sie Sicherheit und helfen Sie, Bewältigungsstrategien zu entwickeln, z.B. durch Entspannungsübungen oder das Aufbauen von Selbstvertrauen durch kleine, bewältigbare Herausforderungen.

Wann sollte professionelle Hilfe für ein ängstliches Kind in Betracht gezogen werden?

Wenn die Angst eines Kindes sein tägliches Leben stark beeinträchtigt, es regelmässig Schul- oder soziale Aktivitäten vermeidet oder wenn sich körperliche Symptome wie anhaltende Schlafstörungen oder Essprobleme zeigen, sollte professionelle Hilfe in Betracht gezogen werden.

Was können Eltern bei einer Panikattacke tun?

  • Hören Sie zu, nehmen Sie die Panik ernst.
  • Lenken Sie von der Panikattacke ab. Sprechen Sie gemeinsam über ein schönes Erlebnis oder einen speziellen Wunsch.
  • Leiten Sie Ihr Kind zu Atemübungen an. Denn wer Angst hat, atmet flacher.
  • Animieren Sie zu Bewegung, zum Beispiel zur Lieblingsmusik zu tanzen.
  • Stärken Sie das Selbstvertrauen, indem Sie daran erinnern, was der oder die Jugendliche bereits erfolgreich gemeistert hat.
  • Helfen Sie den Heranwachsenden, frühe Signale richtig einzuschätzen. Manchmal kündigt sich eine Panikattacke an, beispielsweise mit einem trockenen Mund oder Herzrasen. Überlegen Sie gemeinsam Strategien, um die Panik zu bewältigen.

Angebote

  • Ambulante Kinder- /Jugendpsychiatrie, Psychosomatik: Ambulante Abklärungen und Behandlungen für Kinder und Jugendliche mit psychosomatischen und psychischen Krankheitsbildern.
  • Therapiestation für Kinder und Jugendliche: Wir bieten stationäre Behandlungsplätze für Kinder und Jugendliche mit psychosomatischen und psychiatrischen Krankheitsbildern
  • Sozialpädiatrisches Zentrum SPZ: Wir stehen Eltern und ihren Kindern mit einem Angebot an multiprofessionellen Abklärungen, Beratungen und Therapien zur Seite.

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