Viele Geschäftsführer, Manager oder Führungskräfte fragen sich häufig: Wieso schaffen wir es nicht uns nachhaltig zu verbessern? Wir machen schöne Fortschritte, nur um ein paar Wochen oder Monate später wieder die gleichen Probleme und gleiche „schlechten“ Kennzahlen wie zuvor zu haben.
Die Frage dahinter, welcher diesem weitverbreiteten Phänomen auf den Grund geht, ist hierbei folgende: Nutzen Sie noch Tools oder arbeiten Sie schon an der nachhaltigen Verhaltensänderung ihrer Führungskräfte und Mitarbeitenden?
Um Prozesse nachhaltig zu verbessern Bedarf es zuerst einer Veränderung der Denkweise. Nur wer anders denkt, wird in einem zweiten Schritt sein Verhalten ändern. Und wer sein Verhalten ändert und damit eine Vorbildfunktion einnimmt, wird auch andere dazu bringen/motivieren/überzeugen, seine Denkweise und anschliessend sein Verhalten zu ändern.
Was ist Verhalten?
Verhalten bezieht sich auf die beobachtbaren Aktivitäten eines Individuums, also alles, was eine Person tut oder sagt. Es umfasst motorische Handlungen, sprachliche Äußerungen, aber auch körperliche Reaktionen wie Mimik und Gestik. Verhalten ist objektiv messbar und bildet die Grundlage für viele diagnostische und therapeutische Ansätze in der Psychologie.
Handeln vs. Verhalten
Handeln hingegen geht über Verhalten hinaus und umfasst die bewussten und zielgerichteten Aktivitäten eines Individuums. Während Verhalten auch reflexiv und automatisiert sein kann, ist Handeln immer mit einer Absicht verbunden. Es umfasst die inneren Prozesse des Entscheidens, Planens und bewussten Ausführens von Tätigkeiten, die auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet sind. Handeln setzt also Motivation und Selbstkontrolle voraus.
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In der psychologischen Diagnostik gibt die Verhaltensbeobachtung Hinweise auf psychische Zustände, insbesondere auf Stimmungen und Emotionen. Die Analyse von Handlungen lässt Rückschlüsse auf Absichten und Ziele zu. Beides ermöglicht ein besseres Verständnis psychischer Prozesse, nicht nur, aber auch bei psychischen Störungen.
Verhaltenstherapeutische Methoden zielen darauf ab, das Verhalten zu verändern, um positive Veränderungen im Handeln zu erreichen. Zum Beispiel wird eine Person mit einer Angststörung durch die Expositionstherapie dazu angeleitet, sich nach und nach angstauslösenden Situationen zu stellen, wodurch ihr Verhalten beeinflusst wird.
Psychologische Mechanismen der Verhaltensänderung
Zu Beginn des Jahres machen sich viele Menschen über ihr Verhalten und ihre Gewohnheiten Gedanken. Einige nehmen sich gute Vorsätze zu Herzen, andere möchten sich ihre von sich aus wahrgenommenen negativen Eigenschaften abtrainieren. Doch guter Willen hin oder her - nicht immer reicht es aus, sich etwas fest vorzunehmen.
Verhaltensänderung besteht aus diversen psychologischen Mechanismen wie Gewohnheiten, soziale Normen oder Wertvorstellungen und lässt sich zudem auch als Prozess verstehen. Zum einen spielt die Rolle der Risikowahrnehmung und das Bewusstsein für ein Problem eine grosse Rolle. Meist wird dieses Bewusstsein ausgelöst durch eine Diskrepanz zwischen den angestrebten Zielen und dem tatsächlichen Verhalten.
Die Wahrnehmung von Risiken hängt aber auch stark davon ab, wie gefährlich etwas wahrgenommen werden. Beispielsweise kann es eine Rolle spielen, wie stark präsent und häufig vorkommend ein Risiko aufgenommen wird. Die Wahrscheinlichkeit eines Autounfalls wird als höher wahrgenommen, wenn jemand immer wieder mit dem Thema konfrontiert wird, unabhängig davon, wie hoch die tatsächliche Wahrscheinlichkeit dafür ist (Böhm & Tanner, 2019).
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Wenn beispielsweise in der Medienberichterstattung oft über die Gefahren eines Flugzeugabsturzes und weniger über die Gefahren einer Herz-Kreislauf-Erkrankung berichtet wird, wird ersteres als wahrscheinlicher wahrgenommen und es werden eher Massnahmen getroffen, sich dagegen zu schützen. Ebenso tendieren Menschen dazu, unrealistisch optimistisch zu sein, wenn es darum geht, Risiken für eigenes Verhalten wahrzunehmen (insbesondere, wenn sie weit in der Zukunft liegen).
Nebst dem Bewusstsein für ein Problem braucht es allerdings auch den Glauben daran, dieses Problem auch lösen zu können. Die wahrgenommene Selbstwirksamkeit ist der Glaube einer Person an ihre eigenen Fähigkeiten, eine Handlung auszuüben und ihr Verhalten zu steuern (Warner & French, 2020). Um sich ein gewünschtes Verhalten anzueignen oder ein ungewolltes Laster loszuwerden, ist diese Fähigkeit von grosser Bedeutung und trägt massgeblich zum Erfolg einer Verhaltensänderung und -aufrechterhaltung bei.
Dabei gibt es verschiedene Strategien, um diese Fähigkeit zu entwickeln. Eine davon ist es, den Personen direkt die Möglichkeit zu geben, das Verhalten selbst ausüben oder bei anderen Menschen, die ähnlich sind, zu beobachten.
Zuletzt spielen Gewohnheiten eine wichtige Rolle bei unserem täglichen Verhalten. Gewohnheiten haben einiges gemeinsam mit automatischen Verhalten. Entwickelt werden sie basierend auf sich immer wiederholenden Verhaltensabläufen zu spezifischen Situationen. Aus diesem Grund finden Gewohnheiten auch unabhängig von den eigentlichen Zielen einer Person statt.
Wir möchten uns eigentlich gesünder ernähren, greifen aber dennoch immer wieder automatisch zum Schokoladenriegel. Gewohnheiten haben den Vorteil, dass sie effizient sind, wenig kognitive Ressourcen benötigen und schnell angewandt werden können. Der Nachteil ist aber, dass sie nicht flexibel sind und nicht leicht zu kontrollieren sind (Orbell & Verplanken, 2020).
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Es gibt allerdings auch Strategien, wie das eigene Verhalten mithilfe von Gewohnheiten verändert werden kann. Beispielsweise ist es wichtig, die Aktivierung des Verhaltens zu vermeiden, damit die ungewünschte Gewohnheit gar nicht erst auftritt. Das kann passieren, in dem die Umgebung so verändert wird, dass sie nicht mehr mit der antrainierten Gewohnheit zusammenpasst und diese somit nicht mehr automatisch aktiviert wird. Falls eine neue Gewohnheit antrainiert werden soll, macht es Sinn, diese in einen bereits routinierten Ablauf zu integrieren.
Viele Aspekte können menschliches Verhalten beeinflussen. Die Änderung von schlechten Gewohnheiten ist aber leider nicht immer so leicht, wie wir es gerne hätten.
Soziales Handeln und Verhalten
Soziales Handeln als zentraler Gegenstand der Soziologie bezeichnet den unmittelbaren Austausch mit andern Personen, aber auch die Regelhaftigkeit des Handelns über die von Gruppen, Organisationen und der Gesellschaft vorstrukturierten Beziehungsmuster (Schäfers, 2010). Die Besonderheiten des menschlichen Handelns sind bedingt durch die dem Menschen eigenen reflexiven Möglichkeiten (Selbstreflexion).
Handeln ist immer eine Mischung aus konkreter Situationsbewältigung im Umgang mit den Bedingungen von aussen und aus den Überzeugungen, dem Willen und den Motiven einer Person (als Bedingungen von innen). Der Mensch ist also gezwungen, im Handeln zu strukturieren; er muss im Handeln eine bewusste Auswahl aus den Handlungsmöglichkeiten treffen, eine Selektion vornehmen (Schäfers, 2010).
Soziale Normen begrenzen die Willkür in den Beziehungen der Menschen untereinander. Sie können definiert werden als explizit gemachte und institutionalisierte Verhaltensregeln, die die Handlungsmöglichkeiten bestimmen und Handlungswiederholungen und Handlungserwartungen als Standardannahmen ermöglichen. Es gibt Normen mit ganz unterschiedlichen Verbindlichkeiten und Bewusstheiten.
Da Normen auch übertreten oder ignoriert werden können, gibt es Sanktionen. Sanktionen sind Reaktionen auf Verhalten mit dem Ziel, Konformität zu erreichen und die Normen zu verstärken. In der Regel meint man negative Sanktionen, die von Missbilligung bis zu Gefängnisstrafe reichen. Positive Sanktionen dagegen loben ein positives Verhalten.
Kombinationen von Normen, so genannte Normbündel, verfestigen sich zu sozialen Rollen. Der Begriff der sozialen Rolle hat zwei Bedeutungen. Soziale Rollen bestimmen zwei grundlegende soziale Phänomene: nämlich die soziale Differenzierung (wie unterscheide ich mich von den andern) und die soziale Normierung (was habe ich mit den andern gemeinsam).
Dabei zeigt sich ein Dilemma des Rollenkonzepts: die personale (persönliche) Identität verlangt, dass ich so bin wie kein anderer. Die soziale Identität hingegen verlangt, dass ich möglichst so bin wie alle andern.
Von der sozialen Rolle zu unterscheiden ist die soziale Position: Es handelt sich dabei um ein komplementäres Verhältnis. Die Wertbezogenheit ist wichtig für die Erklärung des sozialen Handelns. Werte sind die Grundprinzipien der Handlungsorientierung des Menschen. Sie beinhalten Vorstellungen vom Wünschenswerten und kulturelle, ethische, religiöse Leitbilder, die die Handlungssituationen steuern.
Wertorientierungen bilden das Grundgerüst der Kultur. Ausserdem übernehmen Werte als Orientierungsstandards eine Entlastungsfunktion für das Individuum, das nicht in jeder Situation selber entscheiden muss. Der Wertewandel ist ein kontinuerlich stattfindender Prozess und führt zu Normkonflikten. Die geltenden Normen werden plötzlich in Frage gestellt.
Handeln läuft -im Unterschied zum Verhalten - an Motiven und Zwecken reflektiert und zielorientiert ab (Schäfers, 2010). Der Sinnbegriff ist für die Erklärung des sozialen Handelns unverzichtbar.
Der Einfluss von Tools und Methoden auf das Verhalten
Und hier kommen die Tools und Methoden ins Spiel: Sie helfen uns (man kann auch sagen „zwingen“ uns), unsere Denkweise zu ändern.
Schauen wir dies einmal an einem konkreten Beispiel an: Die Methode Kanban.
Die Ziele von (Verbrauchs)Kanban sind vielschichtig, unter anderem möchte man:
- Nur gerade so viel Bestand haben, wie nötig ist, um den Prozess gemäss Standard ohne Unterbrüche betreiben zu können
 - Nur das in der vorgelagerten Stelle zu produzieren/herzustellen/vorzubereiten, was durch die nachfolgende Stelle benötigt wird
 - Transparenz zu schaffen, um Probleme (= Prozess läuft nicht so wie im Standard definiert) schnell zu erkennen. Und zwar durch die Mitarbeitenden und Führungskräfte vor Ort
 - Die Basis zu schaffen, damit das Team vor Ort den Prozess weiter selbstständig optimieren kann.
 
Diese Ziele werden nur erreicht, wenn sich die Denkweise ändert:
- Ich möchte keine Sicherheitspuffer haben, ich möchte möglichst wenig Bestand. Bestände sind Verschwendung.
 - Ich produziere nur das, was mein (interner) Kunde bei mir bestellt. Kein Vorproduzieren.
 - Ich möchte auf einen Blick sehen, ob ich Probleme habe mit meinen Beständen. Für beide Situationen: zu viel und zu wenig Material.
 - Ich möchte, dass sich das Team vor Ort selbstständig überlegt, wie es zu weniger Beständen und damit kürzeren Durchlaufzeiten beitragen kann.
 
Die Änderung der Denkweise wird nur erreicht durch Training und Coaching während der Einführung der Methode (hier: Kanban). Es ist also elementar die Führungskräfte zu trainieren und zu coachen. Wenn sich deren Denkweise ändert, werden sie über kurz oder lang auch ihr Verhalten ändern.
Stellen wir uns vor, an einer Stelle fehlt Material. Dies wird im täglichen Shopfloor Management von den Mitarbeitenden an die Führungskraft gemeldet.
Wenn die Führungskraft ihre Denkweise nicht geändert hat, wird sie beispielsweise wie folgt reagieren:
„Das ist nicht gut, da haben wir zu wenig Bestand im System. Ergänzt den Kanban-Kreislauf bitte um zwei weitere Kanbans. Dann haben wir mehr Sicherheit im System und das nächste Mal geht uns das Material nicht aus.“
In diesem Fall wäre die Einführung von Kanban sinnlos. Viel Ressourcen wurden eingesetzt und nichts (siehe Ziele von Kanban) wurde erreicht.
Wenn die Führungskraft allerdings ihre Denkweise verändert hat, wird sie beispielsweise folgendermassen reagieren:
„Danke für die Meldung. Habt ihr schone eine Idee, an was es liegt, dass das Material ausging? Haben wir mehr davon verbraucht als sonst üblich? Hat unser interner Lieferant ein Problem? Was ist anders als sonst? Lasst uns das bitte verstehen, um dann das Problem zu lösen.“
Und noch wichtiger: Durch das Verhalten der Führungskraft wird sich mittel- bis langfristig auch die Denkweise und das Verhalten der Mitarbeitenden ändern („Wir haben zu wenig Material, lasst uns rausfinden was passiert ist und dann das Problem lösen.“). Und somit entsteht eine Kultur der Problemlösung und dem nachhaltigen Streben nach Exzellenz.
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