Warum begeisterten sich Millionen von Menschen für Adolf Hitler? Wieso konnten sie sich so verführen lassen? Alles nur Vergangenheit?
Durch Interviews mit ehemaligen HJ-Funktionären, SS-Offizieren und NSDAP-Mitgliedern - 24 Männer und 19 Frauen - zeigt Stephan Marks, dass der Nationalsozialismus seine Anhänger begeisterte, indem er ihre Gefühle ansprach, sich ihre emotionale Bedürftigkeit zunutze machte - nicht ihren Verstand.
Mit der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg und zunächst auch der Staat Deutschland, der in vier Besatzungszonen unter Leitung des Alliierten Kontrollrats und im Jahr 1949 in die beiden Teilstaaten Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik geteilt wurde.
Die DDR verstand sich als ein antifaschistischer Staat und errichtete ein volksdemokratisches Regierungssystem unter Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, die BRD wurde zu einem Bundesstaat mit förderativem, demokratischem, sozialem und rechtsstaatlichem Charakter.
Diese beiden recht verschiedenen Regierungsformen und Selbstverständnisse brachten nicht nur eine unterschiedliche Entwicklung, sondern auch einen anderen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit mit sich.
Lesen Sie auch: Psychologie in Münster studieren
Ziel dieser Hausarbeit ist es die dadurch bedingten Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten der psychischen Wirkungsweise in den Familien der Täter und Opfer in Ost- und Westdeutschland aufzuzeigen. Zwar gibt es analoge Phänomene, sie gleichen sich aber nicht in jeder Hinsicht.
Zuerst werde ich auf den öffentlichen Diskurs in den beiden Staaten eingehen und dann dessen Einfluss auf die Verarbeitung der Vergangenheit in den Familien herausarbeiten. Da die Anzahl der veröffentlichten Untersuchungen auf diesem Gebiet noch recht gering ist, ist es schwer bei den Opfern zwischen den Verfolgten, den Überlebenden von Konzentrationslagern und Ghettos oder den nach Deutschland zurückgekehrten Emigranten, und zwischen den Tätern oder den Mitläufern in der BRD und der DDR zu differenzieren.
Da Juden mit 6 Millionen gegenüber 500.000 Nicht-Juden (politische Gefangene und andere Minderheiten) den Großteil der ermordeten KZ-Häftlinge, und der Verfolgten, darstellen.
Adolf Hitler mochte den Schlusspfiff nicht abwarten. Mit 2:0 gewann Norwegens Auswahl 1936 gegen die deutsche Olympiamannschaft. Es soll das einzige Fussballspiel gewesen sein, dem der Diktator je beigewohnt hat.
Die Vorrunde hatten die Deutschen überstanden, die Zwischenrunde bedeutete für sie das Aus. Dass Hitler seine Loge im Berliner Olympiastadion vorzeitig verliess, verriet den schlechten Verlierer. Schon beim Sieg des schwarzen Ausnahmesprinters Jesse Owens war er mit seinem Gefolge wütend von dannen gezogen.
Lesen Sie auch: Was steckt hinter Missgunst?
Olympisches Fussball-Gold holte schliesslich das Team des faschistischen Bündnispartners in spe. Italien schlug Österreich im Final mit 2:1.
Fussball als olympische Disziplin rangiert in einer ganz anderen Klasse als eine Fussball-Weltmeisterschaft. Das Fieber, das ein WM-Endspiel erzeugt, wühlt die Fans ungleich mehr auf, als es Olympia vermag. Schon deshalb wird heuer wohl niemand einen Vergleich zu Berlin 1936 ziehen. Jedenfalls keinen sportlichen. Und politische Analogien liegen fern.
Mit einem Wort: 2006 ist nicht 1936. Und dennoch findet man beides miteinander verschmolzen. In der Architektur des Berliner Olympiastadions fusionieren Vergangenheit und Gegenwart. Es ist zudem dasjenige in Deutschland, das sich von allen baulichen Zeugnissen des Nationalsozialismus am vollständigsten erhalten hat.
Weit mehr, als den meisten WM-Zuschauern klar sein dürfte, bewahrt Berlins Olympiastadion die Architektursprache der dreissiger Jahre. Mehrfach wurde die Wettkampfstätte restauriert und modernisiert. Seit 1966 steht sie unter Denkmalschutz.
Fern davon, mit dem nationalsozialistischen Erbe zu brechen, haben die Umbauten der frühen sechziger Jahre die Bildformeln dieser Architektur eher noch bekräftigt und ihre symbolischen Bezüge konserviert. Auch die jüngste, preisgekrönte Modernisierung durch das Hamburger Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner betreibt Erbpflege. Freilich auf offensive Weise und mit aufklärerischem Impetus.
Lesen Sie auch: Psychologie Studium: Was ist besser?
Die Anfänge des Olympiastadions
Pläne, ein Stadion zu bauen, damit Berlin Olympische Spiele ausrichten könne, gab es in der deutschen Hauptstadt bereits seit 1906. Bautätigkeit setzte indessen erst ein, nachdem der Präsident eines Pferdesportvereins, der 1909 im Berliner Grunewald eine Rennbahn eröffnet hatte, im selben Jahr Präsident des Deutschen Reichsausschusses für die Olympischen Spiele (so hiess damals das Nationale Olympische Komitee) geworden war.
Deutschland erhielt den Zuschlag für die Spiele, die 1916 stattfinden sollten, und in einer Mulde inmitten der Rennbahn entstand nach Plänen des Architekten Otto March das «Deutsche Stadion», eine für 30 000 Zuschauer konzipierte Arena in moderat klassizistischem Baustil.
Die zwanziger Jahre brachten einen schleppenden, wiewohl kontinuierlichen Ausbau der Sportstätten auf dem Gelände im Grunewald. Mit dem Stadion durch einen Tunnel verbunden, entstand jenseits des Rings der Pferderennbahn ein Ausbildungszentrum, das Deutsche Sportforum. Die Hochschule für Leibesübungen bezog das dreiflügelige Gebäude, dessen Klinkerfassade und flach geneigte Dächer davon zeugten, dass seine Architekten, Otto Marchs Söhne Werner und Walter, modernen Tendenzen in der Baukunst aufgeschlossen gegenüberstanden.
1931 vergab das Internationale Olympische Komitee (IOK) die für 1936 angesetzten Spiele nach Berlin. Erneut kamen die Brüder March zum Zuge. Ihre Pläne sahen zunächst nur eine Erweiterung des von ihrem Vater entworfenen Stadions vor, das einen zusätzlichen inneren Ring und ein neues Schwimmstadion erhalten sollte.
Als sie mit ihren Überlegungen begonnen hatten, war an einen Wahlsieg der NSDAP noch nicht zu denken gewesen. Auch schien die Weltöffentlichkeit in Gestalt des IOK der Auffassung zu sein, Deutschland habe seine Schuld am Ersten Weltkrieg genug gebüsst, die wilhelminische Vergangenheit abgestreift und sich republikanisch geläutert, so dass einer Rückkehr in die Gemeinschaft der Olympioniken nichts im Wege stehe.
Die unheilige Allianz von Sport und Militarismus
Übersehen wurde die unheilige Allianz, die Sport und Militarismus unterdessen eingegangen waren. Dafür stand namentlich Carl Diem, ein von der Niederlage im Weltkrieg enttäuschter Veteran und Sportfunktionär.
Nach dem Verbot der Wehrpflicht durch den Versailler Vertrag 1919 hatte Diem gefordert, der Sport solle als «Wehrersatz» dienen. In der Weimarer Republik wurde er nicht müde, den «nationalen Wert» des Sports zu predigen.
Mit Hitlers Machtergreifung kam auch Carl Diems grosse Stunde. Er wurde im Januar 1933 zum Generalsekretär des Organisationskomitees der Olympischen Spiele berufen und schlug vor, unter die olympischen Bauten eine Weihestätte für die Gefallenen der Schlacht bei Langemarck (November 1918) aufzunehmen.
Dem «Fahnenwall», der im Westen das Olympiagelände begrenzte, wurde die Langemarckhalle integriert. Aus ihr liess man einen Glockenturm aufragen, der höher war (und ist) als alle anderen Bauten des Reichssportfeldes. Die Symbolik ist klar: Dominanz des kriegerischen Kampfes über den sportlichen.
Als Hitler am 1. August 1936 von seiner «Führerkanzel» im Stadion aus die Spiele eröffnete, hatte er zuvor ein «stilles Gedenken» in der Langemarckhalle eingelegt. Eine programmatische Geste, über die man nicht rätseln muss.
Architektur als Propagandainstrument
«DAS WORT AUS STEIN». So, als gebaute Rhetorik, hat Hitler Architektur verstanden. Mit den Olympia-Entwürfen von Werner und Walter March war er nicht zufrieden. «Der deutsche Sport braucht etwas Gigantisches», liess er sich im Oktober 1933 nach einer Ortsbesichtigung im Grunewald in der «Vossischen Zeitung» zitieren.
Hitler wünschte einen einheitlichen Komplex mit einer monumentalen Gesamtwirkung, ein Gelände für Kundgebungen und für den Aufmarsch einer halben Million Menschen, das Einbeziehen des Sportforums und dessen Erweiterung um ein Haus des Sports, eine grosse Schwimmhalle, ein Tennisstadion, eine Festhalle. Nicht zu vergessen ein Freilichttheater, das Propagandaminister Goebbels angeregt hatte und das seinen Platz in der Grunewalder Murellenschlucht fand: die Waldbühne.
Trauen wir den bekanntlich problematischen Erinnerungen Albert Speers, so hat der rasch in die NSDAP eingetretene Werner March zwar den Bauauftrag für das Reichssportfeld erhalten, nicht aber das Gesicht des Olympiastadions, des Zentrums also, geprägt. March habe einen «Betonbau mit verglasten Zwischenwänden» geplant, auf den Hitler mit Zorn reagiert habe, berichtet Speer.
Strenge axiale Ordnung der Baukörper; Monumentalismus; Fassaden mit klarer Geometrie, dominiert von hohen Fenstern; schmucklose Wandflächen aus regional verfügbarem Naturstein, vorzüglich Muschelkalk - ob diese Codes und Elemente sich unter «nationalsozialistische Architektur» subsumieren lassen, ist umstritten.
Unter Denkmalschützern und Architekturhistorikern hat es sich eingebürgert, nicht die Formensprache der je für sich genommenen Bauten, sondern die Gesamtanlage des Reichssportfeldes als nationalsozialistische Herrschaftsarchitektur zu qualifizieren.
Umgang mit dem architektonischen Erbe
ALLEIN, WAS FOLGT DARAUS? Auf welchen Umgang verpflichtet so ein problematisches architektonisches Erbe die Nachgeborenen? Die Briten hatten 1947 den Glockenturm gesprengt - allerdings nicht aus politischen Gründen, sondern weil für den Turm Einsturzgefahr bestand. Die Langemarckhalle war beschädigt, da das dort gelagerte Reichsfilmarchiv ausgebrannt war.
Werner March erhielt Anfang der 1960er Jahre einen Auftrag zur Instandsetzung. Den Glockenturm baute March nicht nur (leicht verändert) wieder auf, er baute ihn mit 76 Metern auch gleich ein bisschen höher. Die Halle räumte er von Trümmern frei und rekonstruierte sie nahezu unverändert.
Auf einen distanzierenden oder zumindest erläuternden Kommentar verzichtete March. Stattdessen landete er möglicherweise einen Coup, der auf Affirmation des NS-Erbes hinausläuft und bis heute unkommentiert geblieben ist.
SEIT KURZEM WIRD AUFGEKLÄRT. Die Zeiten, in denen im Olympiastadion Kirchentage, Popkonzerte, Unterhaltungsshows, Polizeischauen, Turniere und natürlich Fussballspiele stattfanden und alle Welt hingehen konnte, ohne mit der Geschichte konfrontiert zu werden, sollen vorbei sein.
Eine vom Deutschen Historischen Museum kuratierte Ausstellung in der Langemarckhalle widmet sich dem «Geschichtsort Olympiagelände». Zudem führt ein Lehrpfad über das ehemalige Reichssportgelände, Tafeln erläutern die geschichtsträchtigen Örtlichkeiten. Die Initiative zu beidem kam von Volkwin Marg.
Und dann hat er noch eine ökumenische Kapelle gebaut, einen Andachtsraum in den Eingeweiden des Stadions, «lotrecht unter der Führerkanzel», wie er sagt.
Die professionellen Vermarkter des Fussballs wünschen sich Stadien, die als «perfekte Hysterieschüsseln» (Frei Otto) funktionieren, in denen nichts die Emotionalisierung und Lenkung der Massen stört.
Volkwin Marg ist kein Freund der Massen. Er hat Gustave Le Bon und dessen Werk «Psychologie der Massen» gelesen und zitiert gern daraus: «Der Einzelne in der Masse erlangt schon durch die Tatsache der Menge ein Gefühl unüberwindlicher Macht, welches ihm gestattet, Trieben zu frönen, welche er für sich allein notwendig gezügelt hätte. Er wird ihnen umso eher nachgeben, als durch die Namenlosigkeit und demnach auch Unverantwortlichkeit der Masse das Verantwortungsgefühl, das die Einzelnen stets zurückhält, völlig schwindet.» Darum die Kapelle, erläutert Marg. Als Raum des Rückzugs für denkende Individuen.
Mit seinem Buch Psychologie der Massen, das 1895 in der französischen Originalfassung und 1908 erstmals auf Deutsch, in eben dieser Übersetzung von Rudolf Eisler, erschien, wurde Le Bon zum Begründer der Massenpsychologie und zum bedeutenden Wegbereiter soziologischer wie psychologischer Forschungen. Er vertritt die Auffassung, dass die Masse, auch bei Angehörigen der Hochkultur, die Kritikfähigkeit und damit auch die Individualität des Einzelnen verwischt: Der einzelne Mensch verliere sich in der Masse und verhalte sich rein affektiv; die Massensituation an sich löse Leichtgläubigkeit aus und unterliege den Gesetzen der psychischen Ansteckung.
tags: #Psychologie #der #Massen #im #Nationalsozialismus