Die Verfassungsbeschwerden richten sich unmittelbar gegen § 217 des Strafgesetzbuches (StGB) in der Fassung des Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015 (BGBl I S.
A. Rechtliche Grundlagen und Entwicklungen
§ 217 StGB wurde mit Wirkung zum 10. Dezember 2015 durch das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015 (BGBl I S. Diese Fassung des § 217 StGB geht auf den Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (BTDrucks 18/5373) zurück, der nach einer intensiven parlamentarischen Debatte am 6. November 2015 durch eine fraktionsübergreifende Mehrheit des Deutschen Bundestages angenommen (BT-Plenarprotokoll 18/134, S. 13101) und in der Folge als Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung am 9. Dezember 2015 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde (BGBl I S. 2177).
Angenommen wurde der Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (BT Drucks 18/5373), der die Strafbarkeit einer konkret umschriebenen Form der Förderung einer Selbsttötung vorsieht. Der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz, BTDrucks 18/5374) wollte das bestehende strafrechtliche Regelungsgefüge unberührt lassen und sah im Interesse der Rechtssicherheit lediglich eine bürgerlich-rechtliche Regulierung speziell der ärztlichen Suizidhilfe vor. Das Recht des volljährigen und einwilligungsfähigen Patienten, die freiwillige Hilfestellung eines Arztes bei der selbst vollzogenen Beendigung seines Lebens in Anspruch zu nehmen, sollte positiv festgeschrieben werden.
Der Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung (BTDrucks 18/5375) zielte darauf ab, die Straffreiheit der Hilfe zur freiverantwortlichen Selbsttötung allgemein, das heißt nicht beschränkt auf die ärztliche Suizidhilfe, ausdrücklich gesetzlich festzuschreiben. Es sollten lediglich Verstöße gegen vorgeschriebene Wartefristen, Beratungs- und Dokumentationsobliegenheiten sowie gewerbsmäßiges Handeln unter Strafe gestellt werden. Daneben sah auch dieser Entwurf eine spezifische Regulierung der ärztlichen Suizidhilfe vor, die Ärzte von einer Verpflichtung zur Suizidhilfe ausdrücklich freistellen, zugleich aber festlegen sollte, dass ihnen diese durch das Berufsrecht nicht verboten werden dürfe.
Flankiert wurde das Gesetzgebungsvorhaben von dem am 5. November 2015 beschlossenen und am 1. Dezember 2015 ausgefertigten Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz -- HPG, BGBl I S. 2114), das den Ausbau des ambulanten und stationären Hospiz- und Palliativangebots zum Gegenstand hat. Darin wird unter anderem die palliative Versorgung als Teil der Krankenbehandlung und der häuslichen Krankenpflege im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung festgeschrieben (§ 27 Abs. 1 Satz 3, § 37 Abs. 2a Sozialgesetzbuch -- SGB V) und die Sterbebegleitung als Teil des von der gesetzlichen Pflegeversicherung gedeckten Leistungsspektrums definiert (ursprünglich § 28 Abs. 5 SGB XI; zwischenzeitlich überführt in § 28 Abs. 4 SGB XI durch Art. 2 Nr. 13 Buchst. c und Buchst. d des Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 21. Dezember 2015, BGBl I S.
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B. Historische Entwicklung der Strafbarkeit der Mitwirkung an Selbsttötung
Im Römischen Recht erfuhr die Straffreiheit der Selbsttötung und der Mitwirkung daran noch bereichsspezifische Ausnahmen, etwa bei Soldaten, die sich durch Suizid dem Kriegsdienst entzogen, oder bei Angeklagten, die durch den Suizid einer Verurteilung und der Vermögenskonfiskation entgehen wollten (vgl. dazu umfassend Frantzen, Mors voluntaria in reatu, 2012). Die Partikularrechtsordnungen des Mittelalters und der frühen Neuzeit hatten zwar überwiegend nicht mehr den Versuch der Selbsttötung als solchen, vereinzelt aber die Teilnahme daran selbständig unter Strafe gestellt (vgl. Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlungen am Suizid, 2009, S. 18--70). Das später durch Gesetz vom 15. Mai 1871 zum Reichsstrafgesetzbuch erklärte Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund aus dem Jahr 1870 enthielt sich einer Regelung zur Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung mit der Folge, dass diese, dem Prinzip der Akzessorietät der Teilnahmestrafbarkeit folgend, aufgrund der Straffreiheit der Selbsttötung ebenfalls straffrei war.
Unter Strafe gestellte Mitwirkungshandlung am vom Opfer gewollten Tod war ausschließlich die Tötung auf Verlangen gemäß dem in seiner tatbestandlichen Fassung bis heute unverändert gebliebenen § 216 StGB (vgl. Oppenhoff, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 13. Aufl. 1896, S. In der Bundesrepublik Deutschland fand im Rahmen der Großen Strafrechtskommission in den 1950er Jahren ein erstes Reformvorhaben Niederschlag in den Vorschlägen und Bemerkungen des Bundesjustizministeriums zum Thema Tötungsdelikte, die eine subsidiäre Strafbarkeit desjenigen vorsahen, der "einen anderen dazu treibt, sich selbst zu töten", oder "der aus selbstsüchtigen Beweggründen einem anderen hilft, sich selbst zu töten" (vgl. Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 7. Bd., Besonderer Teil, 67. bis 75. Sitzung, 1959, Anhang Nr. 3, Umdruck J 68, dort § 320).
Aufgrund der Kritik an ihrem moralisierenden und systemwidrigen Charakter fanden diese Vorschläge keinen Eingang in den Entwurf eines Strafgesetzbuchs -- E 1962 (BTDrucks IV/650). Zudem wurden Beweisschwierigkeiten und regelmäßige Ermittlungsverfahren gegen Ärzte, Pfleger und Angehörige befürchtet. Auch ein Strafbedürfnis wurde im Hinblick darauf, dass die meisten Fallkonstellationen im Wege der mittelbaren Täterschaft sowie als Nötigung und unterlassene Hilfeleistung zu erfassen seien, als gering eingeschätzt (vgl. Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 7. Bd., Besonderer Teil, 67. bis 75. Sitzung, 1959, 69. Sitzung, S.
In den Folgejahren gingen Initiativen zur Regulierung der Strafbarkeit Dritter bei der Mitwirkung an Selbsttötungen überwiegend von der Wissenschaft aus, zunächst in Form des Alternativ-Entwurfs eines Strafgesetzbuchs aus dem Jahr 1970 und des Alternativentwurfs eines Gesetzes über die Sterbehilfe aus dem Jahr 1986. Beide schlugen in Reaktion auf Entwicklungen in der damaligen Rechtsprechung (vgl. dazu BGHSt 2, 150; 6, 147; 7, 268; 13, 162; 32, 367) und im Bestreben um eine Stärkung der Selbstbestimmung jeweils eine strafgesetzliche Regelung zur Beschränkung der Strafbarkeit der "Nichthinderung einer Selbsttötung" vor (vgl. Baumann et al., Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches, Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, Erster Halbband, 1970, S. 7, 21 sowie Baumann et al., Alternativentwurf eines Gesetzes über die Sterbehilfe [AE-Sterbehilfe] -- Entwurf eines Arbeitskreises von Professoren des Strafrechts und der Medizin sowie ihrer Mitarbeiter, 1986, S. 25--33). Später folgte der sogenannte Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung (AE-StB) aus dem Jahr 2005, der eine Strafbarkeit desjenigen vorsah, der eine Selbsttötung "aus Gewinnsucht" unterstützt (vgl. Schöch/Verrel, GA 2005, S.
Im Jahr 2006 brachten die Länder Saarland, Thüringen und Hessen den Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung in den Bundesrat ein (BRDrucks 230/06). Der Entwurf sah eine Regelung zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vor. Von der Beschränkung auf die Tatmodalitäten des Vermittelns und des Verschaffens einer Gelegenheit zur Selbsttötung abgesehen, war diese identisch mit der nunmehr geltenden Regelung in § 217 StGB. Diese Initiativen waren durch die zunehmende Ausbreitung öffentlicher Suizidhilfeangebote von Organisationen oder Einzelpersonen veranlasst und durch das Bestreben motiviert, der darin erkannten Gefahr einer Normalisierungstendenz und einem hieraus gerade für vulnerable Mitglieder der Gesellschaft erwachsenden Erwartungsdruck sowie damit verbundener Autonomiebeeinträchtigungen entgegenzuwirken (vgl. BRDrucks 230/06, S. 3f.; BRDrucks 149/10, S. 3 f.; BTDrucks 17/11126, S. 6 f.).
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C. Aktuelle Rechtslage zur Suizidhilfe
Die gegenwärtige Strafrechtsordnung stellt die Selbsttötung nicht unter Strafe. Deshalb ist auch die Suizidhilfe als nicht tatherrschaftliche Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung grundsätzlich straffrei (vgl. BGHSt 2, 150 [152]; 6, 147 [154]; 32, 262 [264]; 32, 367 [371]; 53, 288 [290]; Schneider, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 4, 3. Aufl. 2017, Vorbem. zu § 211 Rn. 32 m.w.N.). Von der so verstandenen Suizidhilfe ist die Sterbehilfe zu unterscheiden. Der Begriff der Sterbehilfe umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Sachverhalte, denen in Abgrenzung zur Suizidhilfe ein von außenstehenden Dritten beherrschtes Verhalten gemein ist, das kausal zu einer Lebensverkürzung führt oder diese auf andere Weise fördert (vgl. Berghäuser, ZStW 2016, S. 741 [743 ff.]; a.A. Saliger, KritV 2001, S. 382 [432], der die Teilnahme an der Selbsttötung begrifflich von der Kategorie der "Sterbehilfe" umfasst sieht). Bereits per definitionem setzt Sterbehilfe zudem einen Leidenszustand voraus. Der Wortbestandteil "Hilfe" grenzt begriffsdefinitorisch solche (Tötungs-)Handlungen aus, die gegen den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen erfolgen (vgl. Kämpfer, Die Selbstbestimmung Sterbewilliger, 2005, S. 35).
D. Grundrechtliche Aspekte
Die Beschwerdeführer, die Suizidhilfe in Anspruch nehmen möchten, leiten insbesondere aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Dieses Recht umfasse als Ausdruck autonomer Selbstbestimmung auch die Inanspruchnahme der Unterstützung durch Dritte bei der Selbsttötung und werde durch § 217 StGB verletzt. Die beschwerdeführenden Vereine rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, die für sie tätigen Personen zusätzlich eine Verletzung ihrer Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG). Die von ihnen angebotene Suizidhilfe erfülle die Tatbestandsvoraussetzungen von § 217 StGB. Deshalb könnten sie auf diesem Gebiet nicht mehr tätig werden, ohne sich strafbar zu machen oder, im Fall der Vereine, sich der Gefahr der Verhängung einer Geldbuße nach § 30 Abs. 1 Nr.
Die beschwerdeführenden Ärzte stützen ihre Verfassungsbeschwerden im Wesentlichen auf eine Verletzung ihrer Gewissens- und Berufsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 Var. 2 und Art. 12 Abs. Die beschwerdeführenden Rechtsanwälte machen ebenfalls geltend, durch § 217 StGB in ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. Übereinstimmend beanstanden alle Beschwerdeführer eine mangelnde Bestimmtheit der angegriffenen Vorschrift. § 217 StGB stelle nicht hinreichend sicher, dass die im Einzelfall geleistete Suizidhilfe straffrei bleibe. Ebenso wenig sei sicher zu beurteilen, ob und inwieweit § 217 StGB bislang straffreie Formen der Sterbehilfe (indirekte Sterbehilfe und Behandlungsabbruch) und der Palliativmedizin erfasse.
E. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben
Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen und müssen daher von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Das in § 217 Abs. Bei der Zumutbarkeitsprüfung ist zu berücksichtigen, dass die Regelung der assistierten Selbsttötung sich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Schutzaspekte bewegt. Der hohe Rang, den die Verfassung der Autonomie und dem Leben beimisst, ist grundsätzlich geeignet, deren effektiven präventiven Schutz auch mit Mitteln des Strafrechts zu rechtfertigen. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 Abs.
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