Häusliche Gewalt hat viele Gesichter. Unter häuslicher Gewalt versteht man körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt innerhalb einer Familie oder in einer aktuellen oder aufgelösten Paarbeziehung. Besonders psychische Gewalt ist schwer zu fassen - auch für Betroffene. Zu oft wird häusliche Gewalt nur mit blauen Flecken und gebrochenen Knochen assoziiert.
Häusliche Gewalt bedeutet körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt in familiären oder partnerschaftlichen Beziehungen. Von häuslicher Gewalt ist auch die Rede, wenn die Beziehung bereits aufgelöst ist, wenn das Paar/die Familie getrennt wohnt oder wenn die Gewalt erst angedroht wird. Häusliche Gewalt kann einseitig oder gegenseitig erfolgen. Häusliche Gewalt belastet auch die Kinder, die Zeugen dieser Gewalt werden.
Psychische Gewalt bezeichnet Angriffe auf die Gefühle, Gedanken, das Selbstwertgefühl und die Selbstsicherheit eines Menschen. Das Ausüben von Kontrolle und Macht spielt dabei eine grosse Rolle. Psychische Gewalt ist subtiler und weniger sichtbar als körperliche Gewalt. Dies bedeutet aber nicht, dass sie nicht auch schwerwiegende Folgen haben kann. Betroffene können unter sozialem Rückzug, einem verringerten Selbstwertgefühl sowie psychischen Beeinträchtigungen wie etwa Schlaf- und Essstörungen, Konzentrations- und Leistungsschwierigkeiten, Angstgefühlen und/oder Depressionen leiden.
Psychische Gewalt beginnt oftmals schleichend und steigert sich langsam und stetig. Betroffene und deren Umfeld erkennen sie meist während langer Zeit nicht als solche. Häufig nehmen der Druck auf die Betroffenen, die ausgeübte Kontrolle sowie die Drohungen zu. Vielfach wird dabei auch von der Gewaltspirale gesprochen.
Formen von häuslicher Gewalt
Es gibt verschiedene Formen von häuslicher Gewalt. Zum Beispiel:
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- Dauernd beschimpfen
 - Kontakte verbieten
 - Ohrfeigen
 - Einsperren
 - Stossen
 - Fortlaufend kontrollieren
 - Stalken
 - Manipulieren
 - Zu Sex zwingen
 - Geld wegnehmen
 - Kinder oder pflegebedürftige Personen vernachlässigen
 
Auch drohen ist häusliche Gewalt. Oft kommen verschiedene Gewaltformen gleichzeitig vor.
Wie erkennst du also, dass du Opfer der subtileren, psychischen Gewalt sein könntest?
- Dein*e Partner*in will ständig wissen, wo du bist und was du machst? Dazu gehören häufige Nachrichten oder Anrufe, das permanente Verfolgen in den sozialen Medien oder Stalking. Doch Kontrollwahn hat nichts mit Liebe zu tun. Ein weiteres Warnzeichen: Wenn er/sie versucht, dich von Freund*innen und/oder Familie zu isolieren.
 - Sein/ihr Verhalten lässt dich an deiner Wahrnehmung zweifeln? Dabei soll dir das Gefühl vermittelt werden, dass deine Wahrnehmungen und Gedanken falsch oder unwichtig sind. Du beginnst, an dir selbst zu zweifeln. Bei Gaslighting handelt es sich klar um emotionale Gewalt.
 - Toxische Beziehungen sind häufig eine emotionale Achterbahnfahrt. Mal ist er/sie liebevoll und fürsorglich, dann wieder abweisend und gefühlskalt - er/sie bestraft dich beispielsweise mit Schweigen oder Liebesentzug. Du fühlst dich in deiner Beziehung nie wirklich sicher. Nach Ausbrüchen kommt es zu einer Honeymoon-Phase, man versöhnt sich, doch nach einer gewissen Zeit wird es wieder schlimmer. Er/sie schreit, brüllt oder beschimpft dich vielleicht.
 - Überprüft er/sie deine Finanzen? In einer ungesunden Beziehung wird oft auch die finanzielle Situation genau kontrolliert. Vielleicht nutzt dein*e Partner*in deine Kreditkarte und macht Zahlungen für dich? Was fürsorglich erscheinen mag, muss nicht so gemeint sein.
 - Drohungen und Nötigungen können sich gegen dich und dein Umfeld richten («ich tu dir/deinen Angehörigen etwas an!», aber auch: «ich bringe mich um, wenn du mich verlässt!»).
 
Beispiele für häusliche Gewalt
- Körperliche Gewalt an Kindern durch die Eltern
 - Drohungen oder psychische Gewalt in der Partnerschaft
 - Stalking durch den Ex-Partner oder die Ex-Partnerin
 - Vergewaltigung in der Ehe
 - Sexuelle Übergriffe in der Familie
 - Misshandlung durch betreuende oder pflegende Angehörige
 - Gewalt durch Kinder an ihren Eltern
 - Androhung oder Durchsetzung einer Zwangsheirat
 
Die Geschichte von Marlene: Ein Fallbeispiel
Fast täglich wird Marlene herabgesetzt und abgewertet - mehr als zehn Jahre lang. Von ihrem eigenen Mann. Sie ist Überlebende von psychischer Gewalt. «Als ich das erste Mal Gewalt in dieser Beziehung erlebte, habe ich es als Eifersucht abgetan. Das war ganz am Anfang», sagt Marlene. «Ich habe an einem Fest mit einem anderen Mann geplaudert, dessen Frau stand daneben». Marlenes Mann hat sie dafür mit zwei Tagen Schweigen bestraft.
Zu Beginn der Beziehung überschüttet Marlenes Mann sie mit Liebe - auch «Love-Bombing» genannt. «Er hat mir den roten Teppich ausgerollt: Mich ausgeführt, auf Händen getragen und tagtäglich mit Komplimenten überschüttet», erzählt Marlene. «Love-Bomber» haben das Ziel, ihre Partner und Partnerinnen emotional von sich abhängig zu machen. Das kann sich in zwei Richtungen entwickeln: Entweder die Beziehung endet abrupt und einseitig, oder man findet sich irgendwann in einer toxischen Beziehung wieder. Bei Marlene geschieht letzteres.
Die Eifersucht des Mannes nimmt immer mehr zu. Schleichend passt Marlene ihr Verhalten an. Geht weniger oft aus. Wenn, dann in Gruppen mit Frauen. Sie schickt ihrem Mann Fotos, mit wem sie wo ist und zieht sich auf keinen Fall aufreizend an. «Damit er keinen Grund hat, wütend oder eifersüchtig zu sein. Aber eigentlich konnte ich anziehen, was ich wollte. Es war nie Recht». Er beschimpft sie, demütigt sie. Warum sie das alles mitmacht? Sie wollte geliebt werden, um jeden Preis. Bedingungslos.
Je älter die Kinder werden, desto übler wird es. «Langsam tröpfelte es von ihm: Du taugst zu nichts, du kannst nichts, du bist nichts». Tag für Tag, Jahr für Jahr. Er redet ihr ein, sie sei psychisch krank. Sagt ihr, sie soll sich umbringen. Sie zweifelt, geht in Therapie, ist aber gesund. Irgendwann kommen auch die Kinder dran. Irgendwann gibt es auch Schläge. «Aber das weniger», so die Mutter. Sie dokumentiert die Fälle, die körperlichen und die emotionalen.
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«Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, befand ich mich in einer Art Überlebensmodus», so Marlene. Doch irgendwann streikt ihr Körper und sie muss ins Krankenhaus. Da wacht sie auf. Fängt an zu reden, informiert sich und realisiert, was ihr und ihren Kindern seit Jahren widerfährt. Marlene wendet sich an verschiedene Fachpersonen. Eine davon sagt ihr, «wenn Sie überleben wollen, müssen Sie einen Eheschutz einreichen».
Das Eheschutzverfahren regelt gerichtlich die Folgen einer Trennung, wenn sich Partner und Partnerin nicht selbst oder mithilfe von Fachstellen einigen können. Und das tut sie am Ende auch. Der Mann muss ausziehen. Seither kann Marlene wieder atmen, «auch wenn ich weiss, dass der behördliche Kampf noch lange nicht zu Ende ist».
Rechtliche Aspekte der psychischen Gewalt
In der Tat kann es schwierig sein, psychische Gewalt anzuzeigen. Häusliche Gewalt, wozu auch die psychische in Beziehungen gehört, kann generell nur über konkrete Strafbestände definiert werden.
Ja. Da psychische Gewalt keine sichtbaren Wunden hinterlässt, ist sie zwar strafrechtlich schwerer fassbar als körperliche Gewalt, aber auch psychische Gewalt ist strafbar. Erpressung, Drohung und Nötigung (Art. Ehrverletzungen (Art. Freiheitsberaubung (Art. Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art.
Von Amtes wegen verfolgt werden müssen folgende Offizialdelikte: einfache Körperverletzung, wiederholte Tätlichkeiten, Ehrverletzung, Drohung, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung.
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Statistik
19'978 Fälle von häuslicher Gewalt registrierte die Polizei 2022 in der Schweiz. 70.2 Prozent der Betroffenen sind Frauen.
Fast jede zweite Frau erlebt in ihrer aktuellen oder einer früheren Beziehung psychische Gewalt. Zu diesem Schluss kam 2014 eine Studie der European Union Agency for Fundamental Rights. NGOs gehen von einer grossen Dunkelziffer in diesem Bereich aus, da die meisten Fälle nicht angezeigt werden.
Als psychische Gewalt in Beziehungen gilt Beleidigungen, Erniedrigungen, Drohungen, Anschreien, Stalking, Einschüchterungen, Morddrohungen, Erzeugen von Schuldgefühlen, Verbote, Gaslighting und Kontrolle.
Was tun bei häuslicher Gewalt?
Sind Sie Opfer häuslicher Gewalt geworden? Wissen Sie nicht mehr wie es weitergehen soll und haben Angst? Wissen Sie nicht, mit wem Sie reden und an wen Sie sich wenden können? Oder ist eine Ihnen nahestehende Person von häuslicher Gewalt betroffen und Sie möchten helfen?
Zeigt deine Beziehung Anzeichen von Gewalt? Hilfe und Beratung gibt es in den Opferberatungsstellen der einzelnen Kantone - kostenlos, vertraulich und anonym. AppElle! Gewalt kann vieles sein. Nicht immer ist sie körperlich. Auch Beschimpfen oder Drohen ist Gewalt - und damit strafbar.
In der Schweiz gilt: Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist nicht erlaubt!
Anzeichen von Gewalt
- Werden Sie beschimpft, beleidigt, eingeschüchtert oder bedroht?
 - Werden Sie vor anderen gedemütigt oder abwertend behandelt?
 - Wird Ihnen mit Selbstmord gedroht, wenn Sie sich aus der Partnerschaft lösen wollen?
 - Wird Ihnen die Entführung Ihres Kindes angedroht, wenn Sie zur Polizei gehen?
 - Werden Sie verfolgt oder dauernd beobachtet? Das nennt man Stalking.
 - Werden Sie geschlagen, gepackt, geschüttelt oder gewürgt? Erhalten Sie Ohrfeigen oder Fusstritte? Werden Gegenstände nach Ihnen geworfen? Werden Sie vor Ihrem Kind geschlagen? Das alles ist nicht erlaubt. Körperliche Gewalt ist strafbar!
 - Werden Sie gegen Ihren Willen angefasst, geküsst oder zum Geschlechtsverkehr gezwungen? Werden Sie sexuell misshandelt, ausgebeutet oder zur Prostitution gezwungen?
 - Dürfen Sie sich nicht frei bewegen und das Haus verlassen, wann Sie wollen? Auch das ist nicht erlaubt.
 - Werden Sie isoliert? Dürfen Sie nicht selbst entscheiden, wann Sie Ihre Familie anrufen oder Ihre Freundin besuchen? Niemand darf Ihnen das verbieten.
 - Dürfen Sie nicht selbst entscheiden, wen Sie heiraten wollen? Müssen Sie gegen Ihren Willen die Ehe weiterführen? Niemand darf Sie zu einer Heirat oder Ehe zwingen.
 - Dürfen Sie nicht arbeiten oder werden Sie zur Arbeit gezwungen? Wird Ihnen Ihr Lohn weggenommen oder haben Sie keinen Zugriff auf das Haushaltsgeld?
 
Für eine genaue Einschätzung Ihrer rechtlichen Situation können Sie sich an eine Opferberatungsstelle wenden. Diese bietet kostenlose Beratungen an und kann Ihnen allenfalls eine:n Anwält:in vermitteln.
Folgen von häuslicher Gewalt
Häusliche Gewalt hat schwerwiegende Folgen. Sie verletzt seelisch und körperlich. Sie macht Angst und einsam. Die Gewalt kann zu psychischen und psychosomatischen Erkrankungen führen. Die gesundheitlichen Folgen können vorübergehend sein oder länger dauern. Häusliche Gewalt gefährdet zudem die gesunde und soziale Entwicklung von Kindern.
Häusliche Gewalt betrifft alle. Häusliche Gewalt betrifft Jung und Alt, Erwachsene und Kinder sowie Menschen aller Geschlechter.
Weitere Formen von Gewalt
Zwangsheirat: Heiratet eine Person unter Druck der Familie und gegen den eigenen Willen, spricht man von Zwangsheirat. Zwangsheiraten sind in der Schweiz verboten. Auch haben Personen die freie Wahl, ob sie in einer Ehe bleiben oder sich trennen wollen. Von Zwangsheiraten und Zwangsehen können Frauen und Männer betroffen sein.
Stalking: Stalking bedeutet übermässiges Beobachten, Kontaktieren, Verfolgen und Belästigen einer Person. Dies erfolgt gegen den Willen der gestalkten Person. Stalking ist sehr belastend. Die betroffene Person fühlt sich in ihrem Alltag bedroht. Um genau Auskunft geben zu können, ist es wichtig, alle Stalking-Handlungen zu dokumentieren.
FGM / Mädchenbeschneidung: Mädchenbeschneidung ist verboten.
Hilfsangebote
Zeigt deine Beziehung Anzeichen von Gewalt? Hilfe und Beratung gibt es in den Opferberatungsstellen der einzelnen Kantone - kostenlos, vertraulich und anonym.
Sie hat zusammen mit einem Team den Verein «Tech against Violence» gegründet und das Online-Tool #withyou lanciert, das sich auf toxisches Verhalten fokussiert.
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