Autismus-Spektrum-Störung (ASS): Ein umfassender Überblick

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt Autismus zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen.

Was ist Autismus?

Der Begriff «Autismus» geht auf den Schweizer Psychiater Eugen Bleuler zurück, der 1911 im Rahmen seiner Forschungen zur Schizophrenie eines der Grundsymptome beschrieb: die Zurückgezogenheit in eine innere Gedankenwelt.

Der Begriff «Autismus» bedeutet «sehr auf sich bezogen sein» und kommt aus dem Griechischen.

Autismus manifestiert sich bereits in der frühen Kindheit, ist angeboren und hält lebenslang an.

Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsbeeinträchtigung, die nicht heilbar ist. Es ist keine Krankheit.

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Autismus betrifft nach Angaben der World Health Organization (WHO) mindestens 1 % der Bevölkerung.

Autismus tritt unabhängig vom sozialen Umfeld in allen Kulturen auf.

Menschen im Autismus-Spektrum können eine breite Palette von besonderen Fähigkeiten haben, aber auch unter erheblichen Beeinträchtigungen leiden, die eine umfassende Betreuung erfordern.

Menschen mit Autismus sehen, hören und fühlen die Welt anders als ihre Mitmenschen.

Menschen mit ASS verfügen über eine andere Informationsverarbeitung, sie sehen, hören und fühlen die Welt anders als sogenannt neurotypische Menschen.

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Diagnostik und Klassifikation

Hans Asperger und Leo Kanner nahmen den Autismus-Begriff unabhängig voneinander auf und beschrieben nicht mehr nur ein einzelnes Symptom, sondern ein ganzes Syndrom.

Das bis im Jahr 2022 im deutschsprachigen Raum gültige Klassifikationssystem ICD-10-GM (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) der WHO unterschied drei Ausprägungen, die als tiefgreifende Entwicklungsstörungen eingeordnet waren: frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus und Asperger-Syndrom, auch bezeichnet als hochfunktionaler Autismus, weil es bei dieser Ausprägung keine kognitive oder sprachliche Entwicklungsverzögerung gibt.

Das 2013 veröffentlichte Handbuch DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (APA) und das seit 2022 international gültige ICD-11 definieren jedoch nur noch eine allgemeine, übergreifende Autismus-Spektrum-Störung (ASS).

Grund für diese Änderung war die zunehmende Erkenntnis der Wissenschaft, dass eine klare Abgrenzung der genannten unterschiedenen Subtypen nicht möglich ist - und man stattdessen von einem fliessenden Übergang zwischen verschiedenen individuellen Ausprägungen des Autismus ausgehen sollte.

Es wird davon ausgegangen, dass ca. 25-30% aller Betroffenen eine schwere Form der ASS im Sinne des «frühkindlichen Autismus» aufweisen.

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Dabei wird geschätzt , dass bis über die Hälfte von einer leichten und rund ein Drittel von einer schweren intellektuellen Entwicklungsstörung (früher «geistige Behinderung») betroffen sind.

Ursachen

Die Ursachen der Autismus-Spektrum-Störung sind bis heute nicht vollständig geklärt.

Die genetischen Ursachen von Autismus sind äusserst vielfältig und hochkomplex.

Zusammen mit Umwelteinflüssen kommt es zu vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten.

Es wird davon ausgegangen, dass mehrere Faktoren eine Rolle spielen: So können genetische Prädispositionen, aber auch biologische Abläufe vor, während und nach der Geburt die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen und eine Autismus-Spektrum-Störung begünstigen bzw. verursachen.

Laut «Neurologen und Psychiater im Netz» ist bei einem von der Autismus-Spektrum-Störung betroffenen Elternteil das Risiko, ebenfalls ein Kind mit Autismus zu bekommen, stark erhöht.

Insgesamt geht man auch davon aus, dass die Gehirnentwicklung bei Personen mit Autismus-Spektrum-Störung schon vorgeburtlich anders verläuft als bei gesunden Kindern.

Nach wie vor gibt es wenig gesicherte Erkenntnisse, wie ASS entstehen. Eine davon ist, dass es sich um eine abweichende Gehirnentwicklung handelt.

Symptome und Besonderheiten

So unterschiedlich die Ausprägung von Autismus auch ist: Es gibt Persönlichkeitsmerkmale, die bei fast allen Autisten auftreten und entsprechend Verhaltensweisen, wie man sich Menschen mit Autismus gegenüber verhalten sollte.

Um das Verhalten von Autisten besser zu verstehen, ist es wichtig, die möglichen Besonderheiten und Beeinträchtigungen in ihrem Denken und ihrer Wahrnehmung zu kennen.

Menschen mit ASS sind in ihren Bewegungen und motorischen Fähigkeiten eher ungeschickt.

Oft zeigen sie Über- oder Unterempfindlichkeiten auf Licht, Gerüche, Geräusche oder Berührungen, was sich als Faszination für Licht oder glänzende Oberflächen, als Angstreaktionen bei speziellen Geräuschen, als Vorliebe für intensive Körperkontakte oder als auffälliges Beriechen oder Ertasten von Oberflächen und Gegenständen äussern kann.

Diese Über- oder Unterempfindlichkeiten und Detail-Orientierung führen dazu, dass Kinder oder Erwachsene mit ASS grosse Probleme haben, ihre Umwelt als sinnvolles Ganzes zu verstehen.

Das Erreichen von Lernerfolgen wird dadurch massgeblich erschwert.

Aufgrund dieser anderen Wahrnehmung kann es zu einem sogenannten «Overload» kommen, einer Überlastung aufgrund von Reizüberflutung, bei der unwichtige Reize nicht mehr gefiltert werden können.

Sie haben Schwierigkeiten mit der Perspektivenübernahme, sich also in andere Menschen hineinzufühlen und adäquat mit ihnen zu kommunizieren.

Zudem können sie die Stimmung ihres Gegenübers aus dessen Gesicht schlecht erkennen und haben deswegen Mühe, soziale Situationen oder Ironie zu verstehen.

Sie vermeiden deshalb oft Kontakte zu ihren Mitmenschen.

Für Menschen mit ASS ist es eine Herausforderung, sich auf Neues einzustellen und entsprechend ist es für sie am einfachsten, Alltagsabläufe immer gleich zu gestalten (Rituale) und sich im gewohnten Lebensumfeld zu bewegen.

Menschen mit ASS orientieren sich an Details und haben Mühe, eine Situation ganzheitlich zu erfassen.

Gerne befassen sie sich mit einem Spezialgebiet.

Herausforderungen im Alltag

Für autistisch wahrnehmende Menschen werden alltägliche Situationen zu riesigen Herausforderungen.

Planänderungen und überraschende Ereignisse sind extrem unangenehm.

Ist etwas abgemacht, ist das für einen Autisten in Stein gemeisselt.

ASS-Betroffene können äussere Reize auf den verschiedenen Sinneskanälen weniger gut verarbeiten, d.h. relevante von nicht relevanten Reizen schwer unterscheiden.

Dadurch kommt es zu einer Reizüberflutung und in der Folge meist zu Stressreaktionen.

ASS-Betroffene entwickeln Strategien um die Wahrnehmungen zu verarbeiten und den Alltag zu bewältigen, und zwar meist indem sie ihre Aufmerksamkeit fokussieren.

Dies führt zu Spezialinteressen, routinemässigen Vorlieben und hoch strukturierten Abläufen.

Indem sie sich so verhalten, reduzieren sich im Entwicklungsverlauf soziale Kontakterfahrungen mit der Aussenwelt oder sie fallen bei extremer Fokussierung auf Gleichbleibendes sogar ganz weg.

ASS-Betroffene trainieren dadurch weniger, soziale Signale zu deuten oder sich bei spontanen sozialen Erlebens- und Verhaltensweisen situativ anzupassen.

Sie müssen in der Folge «erlernen», wie sie im sozialen Kontext reagieren «müssen»; im Gegensatz zu neurotypischen Personen, die das automatisch können.

Psychische Komorbiditäten

Auch psychische Komorbiditäten gelten bei ASS als verbreitet: 28% für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), 20% für Angststörungen, 13% für Schlafstörungen, 12% für disruptive, Impulskontroll- und Sozialverhaltensstörungen, 11% für depressive Störungen, 9% für Zwangsstörungen, 5% für bipolare Störungen und 4% für Psychose-Erkrankungen.

Behandlung und Unterstützung

Anders als beispielsweise bei einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gibt es keine medikamentöse Behandlung für die Autismus-Spektrum-Störung (ASS).

Es geht darum, die Begleiterscheinungen wie Depressionen, Angstzustände, Zwangsstörungen und/oder gegen sich selber oder andere gerichtete Aggressionen zu behandeln.

Diese Begleiterscheinungen können und werden medikamentös behandelt.

Hingegen geht es bei der Frage, wie eine Person mit ASS am besten unterstützt werden kann, in erster Linie um Unterstützungs- und Fördermassnahmen wie Logopädie, Psychomotorik-, Ergo- und Verhaltenstherapie.

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