Boreout: Wenn Langeweile krank macht

Gestresst zu sein, ist sozial anerkannt. Doch was passiert, wenn der Job unterfordert und langweilt? Immer mehr Menschen melden sich krank, weil sie sich ausgebrannt fühlen. Burnout oder Überforderung durch Stress ist eine Epidemie geworden. Dabei ist alles andere als klar, was sich denn genau hinter dem schillernden Begriff Burnout verbirgt. Doch die Diagnose Burnout ist beliebt und salonfähig.

Es ist kein Zufall, dass so oft von «Burn-out» die Rede ist. Da schwingt immer mit, dass jemand ausserordentlich viel geleistet hat, bis hin zur Erschöpfung. Das löst noch immer Anerkennung aus. Eigentlich beschäftigt mich das Gegenteil von Burnout mehr, das «Boreout».

Was ist Boreout?

Abgeleitet wird der Begriff Boreout vom englischen Begriff «Boredom», was «Langeweile bedeutet». Definiert wird Boreout als Stress durch Langeweile, Unterforderung und Desinteresse, der zu psychischer Erschöpfung führen kann. Betroffene fühlen sich an ihrem Arbeitsplatz über lange Zeit unterfordert und es fehlt ihnen an geistiger Herausforderung.

Die Rede ist vom «Boreout»: Mitarbeitende entwickeln ähnliche Symptome wie jene, die überlastet sind. Das süsse Nichtstun kann anfänglich Spass machen. Ziellos im Internet rumsurfen und am Abend stressfrei aus dem Büro gehen, das klingt verlockend. Doch schon beginnt der Teufelskreis. Die Langeweile am Arbeitsplatz ist längst nicht immer selber gewählt. Bei Umstrukturierungen kann es vorkommen, dass einem die interessanten Aufgaben weggenommen werden.

Boreout ist ein Dauerzustand der Sinnentleerung, in dem der Betroffene das Gefühl hat, seine Fähigkeiten und Talente nicht einsetzen zu können und nichts Sinnvolles zu machen. Und wer denkt, seine Aufgaben seien belanglos oder unter seinem Fähigkeitsniveau, beginnt oft, den Wert seiner Arbeit infrage zu stellen. Dies führt nicht selten zu einem generellen Gefühl der Sinnlosigkeit. Man beginnt, an sich selbst zu zweifeln und das Gefühl, nicht gebraucht oder wertgeschätzt zu werden, nagt am Selbstbewusstsein.

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Ursachen von Boreout

  • Quantitativer Unterforderung: Es gibt zu wenig Arbeit.
  • Qualitativer Unterforderung: Ehemals hochqualifizierte Berufe, mit viel Verantwortung und reich an Entscheidungen, werden simpler. Der Mitarbeiter verschleisst sich in öden Routinetätigkeiten.

Konkret begegnete ich diesem Phänomen in einer unserer Forschungsstudien zu talentierten Lehrlingen. Jeder dritte von ihnen hatte angegeben, in der Ausbildung oft Langeweile zu haben und nicht selten nicht richtig zu wissen, was zu tun. Kann dies sein? Tatsächlich sind Langeweile und ihre Folgen weiter verbreitet als wir denken. Das Problem ist nur, dass wir dies nicht ernst nehmen oder sogar belächeln. In einer Gesellschaft, in der Leistung das Mass aller Dinge ist, jeder um seinen Arbeitsplatz kämpft und Burnout-Kliniken aus allen Nähten platzen, darf man auf keinen Fall über Unterforderung klagen, dass man nicht genug zu tun hat, falsch eingesetzt ist oder kein Interesse an seiner Arbeit hat. Deshalb wird das Boreout-Problem tabuisiert oder hinuntergespielt und als Faulheit abgetischt.

Dem ist nicht so. Boreout entsteht durch zu wenige oder falsche Aufgaben und nicht durch das süsse Nichtstun. Ein Teilnehmer unserer Studie aus der IT-Branche erklärt dies so: Er habe sehr profitiert und sei vorwärts gekommen in seiner Berufslehre. Dann hätte die Firma plötzlich eine Auftragsflaute gehabt und sei Konkurs gegangen. Sie sei dann von einer anderen Firma übernommen worden, die ebenfalls Lehrlinge ausbildet. Von da an habe es Leerlauf gegeben. Plötzlich habe er nur noch belanglose Aufgaben bekommen, und es seien immer weniger geworden. Sein Stress war, dass ihm nichts mehr zugemutet wurde. Bis dahin war er ein begeisterter Lehrling gewesen, der immer gern gearbeitet hatte.

Das Beispiel zeigt: In Boreout kann man durch Minderanforderung und Unterbeschäftigung hinein schlittern. Und weil dies so verpönt ist, versucht man es zu vertuschen. Denn wer nur Löcher in die Luft starrt, riskiert seinen Arbeitsplatz. Deshalb sitzt man am Schreibtisch oder am Schalter, zählt die Minuten bis zum Feierabend, gibt jedoch immer vor, beschäftigt zu sein und erledigt die Arbeit langsamer als man könnte. Manchmal macht man sogar Überstunden, um das Nichtstun zu kaschieren oder berichtet den Kollegen von einem Berg an Arbeit, der zu erledigen ist.

Boreout vs. Burnout: Ähnliche Symptome, unterschiedliche Ursachen

Die negativen Auswirkungen eines Burnouts und eines Boreouts auf das psychische und das physische Wohlbefinden sind sehr ähnlich. Die Auslöser könnten jedoch nicht unterschiedlicher sein.

Symptome wie Antriebslosigkeit, Erschöpfung oder Selbstzweifel ähneln jenen eines Burnouts - mit dem Unterschied, dass hier nicht Überlastung, sondern das Fehlen von Anforderungen krank macht. Abgeleitet von Langeweile (englisch: boredom) bezeichnet dieser Begriff das andere Ende des Spektrums: Andauernde und deutliche Unterforderung kann ebenfalls in einen Zustand des «ausgebrannt seins» führen. Die Untätigkeit löst eine Form von Leere aus und Zweifel an den eigenen Fähigkeiten, die eigene Arbeit erscheint zunehmend sinnlos, man fühlt sich ohnmächtig.

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Viele Betroffene fürchten, von Kollegen oder Vorgesetzten als untätig oder «faul» wahrgenommen zu werden und verstecken ihre Langeweile hinter künstlich erzeugtem Stress, indem sie so tun, als wären sie beschäftigt. Paradoxerweise führt Boreout oft zu Stress.

Symptome von Boreout

  • Konzentrations- und Schlafstörungen
  • Antriebslosigkeit
  • Vergesslichkeit
  • Depressionen
  • Innere Unruhe
  • Chronische Müdigkeit
  • Sozialer Rückzug

«Ich habe das Gefühl, meine Hirnzellen kann ich inzwischen an einer Hand abzählen», klagt eine Betroffene in einem Internet-Forum zum Thema (www.boreout.com). Die Tage ziehen sich wie Kaugummi, gähnende Langeweile und Lustlosigkeit gehen Hand in Hand. Doch der Arbeitnehmer lässt sich nichts anmerken. Projektleiter beispielsweise schieben ihr Projekt jeden Tag nur ein klitzekleines Stück voran. So dauert es ewig, trotzdem können sie immer etwas vorweisen. Arbeit flachwalzen nennen Rothlin und Werder in Ihrem Buch «Diagnose Boreout» diese Strategie. Die Aktenkofferstrategen hingegen nehmen sich jeden Abend einen Schwung Arbeit mit nach Hause.

Das beschränkt sich irgendwann nicht mehr nur auf den Job, sondern pflanzt sich ins Private fort und löst unter Umständen einen sozialen Rückzug aus. Um ausgelastet und geschäftig zu wirken, tun Boreout-Betroffene so, als ob sie arbeiten würden. Sie tippen z.B. wahllos auf Computertasten, erledigen privaten Schriftverkehr am Arbeitsplatz, buchen und planen ihre Urlaube oder surfen stundenlang im Internet, nehmen nicht vorhandene Arbeit oder Akten mit nach Hause. Sie gehen früh ins Büro und spät nach Hause. Gleichzeitig tun sich Betroffene jedoch schwer, ihre Langeweile und ihr Unausgelastetsein zuzugeben. Dies würde in ihren Augen bedeuten, dass sie überflüssig und damit kündbar sind (Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes). Andererseits ist es sozial nicht anerkannt und damit schlecht fürs Image, sich bei der Arbeit zu langweilen.

Folgen von Boreout

Die Auswirkungen von Boreout können für die Person selbst als auch ihren Arbeitgeber gravierend sein. Wer sich langweilt, verliert Interesse und Neugier am Job, wer unterfordert ist, kann seine Fähigkeiten nicht weiter entwickeln. Unterforderung kann zu Stress und gesundheitlichen Risiken führen.

Je höher die Arbeitsmenge, desto höher die emotionale Erschöpfung. Emotionale Erschöpfung wiederum gilt als zuverlässiger Indikator für ein drohendes Burn-out.

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In einer Meta-Analyse wurde kein Zusammenhang zwischen Arbeitsmenge und Motivation der Mitarbeitenden gefunden. Eine grosse Arbeitsmenge begünstigt die emotionale Erschöpfung, welche wiederum die Gefahr für ein Burn-out erhöht. In einer Meta-Analyse wurde kein Zusammenhang zwischen der Arbeitsmenge und der Leistung von Mitarbeitenden gefunden. Eine hohe Arbeitsmenge hängt mit mehr Absenzen (Absentismus) zusammen.

Was tun gegen Boreout?

Wie bei einem Burnout ist es auch beim Boreout wichtig, rechtzeitig Gegenmassnahmen zu ergreifen. Boreout ist nicht einfach dadurch zu beheben, dass man wieder mehr Arbeit bekommt. Damit wird nur die quantitative Unterforderung behoben. Es braucht eine Passung zwischen Person und Tätigkeit im Hinblick auf Fähigkeiten und Anforderungen. Wenn Sie nur gelegentlich eine Beschäftigungslücke mit einem Schwatz unter Kollegen oder einer privaten Internetrecherche überbrücken - ist das noch kein Problem. Wer dagegen regelmässig zu wenig zu tun hat und/oder unterfordert ist, hat ein ernstzunehmendes Problem. Das kommt nicht gut an in unserer Leistungsgesellschaft. Doch genau in diesem Dilemma - ich hab nichts zu tun, hoffentlich merkt’s keiner - entwickeln Menschen die gleichen Phänomene, wie wir sie vom Burnout kennen.

Kritisch wird es, wenn sich an Ihrem Schreibtisch regelmässig Langeweile breitmacht. «Ein qualifizierter Buchhalter, der nur Zahlenkolonnen addieren soll, wird dies als Erniedrigung empfinden; es entsteht Stress durch Unterforderung.

Strategien zur Bewältigung von Boreout

  • Hinterfrage dein Empfinden: Bist du wirklich unterfordert, oder fehlt dir einfach der Zugang zu den richtigen Aufgaben?
  • Ein ehrliches Gespräch mit deiner Führungskraft kann neue Aufgaben oder Herausforderungen schaffen. Wer aktiv Veränderungen anstrebt, kann das Gefühl der Sinnlosigkeit verringern. Selbst kleine Anpassungen im Arbeitsprozess oder der Aufgabenverteilung können das Gefühl steigern, wieder produktiv und gebraucht zu sein.
  • Kommen eine berufsbegleitende Fort- oder Weiterbildung für dich in Frage? Hier lassen sich persönliche Interessen und berufliche Notwendigkeiten verbinden. So hat man die Möglichkeit, sich selbst zu fordern und weiterzuentwickeln.
  • Bei Boreout neigt man dazu, auch nach Feierabend an die ungeliebten Aufgaben zu denken. Ein aktiver Ausgleich durch Hobbys, Sport oder soziale Kontakte gibt neue Energie und lenkt ab. Gleichzeitig bieten solche Aktivitäten das Gefühl, in anderen Lebensbereichen sinnvolle Dinge zu tun.
  • Sich mit Arbeitskollegen auszutauschen, kann oft überraschend hilfreich sein. Vielleicht gibt es ähnliche Empfindungen im Team, die zu gemeinsamen Lösungen führen können.
  • Wenn keine der genannten Strategien hilft und sich dein Zustand über längere Zeit nicht verbessert, kann es an der Zeit sein, eine berufliche Veränderung in Betracht zu ziehen.

Die Rolle der Arbeitgeber

Vor allem aber ist Unterforderung im Beruf eine Herausforderung für Arbeitgeber: Leicht verlieren sie Mitarbeiter, die eigentlich viel mehr leisten könnten, als man sie lässt. Um solche Situationen zu vermeiden, stehen vor allem Führungskräfte in der Verantwortung, indem sie die konkrete Leistung beurteilen und nicht, wie lange jemand am Arbeitspatz präsent ist.

Arbeitgeber sollten regelmässig überprüfen, ob es Möglichkeiten gibt, einen Job sinnvoller und besser zu gestalten. Das Ziel muss sein, anspruchsvolle und angemessene Aufgaben zu schaffen. Zugleich bleibt jeder Arbeitnehmer in der Verantwortung, von sich aus den Teufelskreis zu durchbrechen, um sich selbst zu helfen. Viele müssen erst lernen, dass sie nicht nur Opfer sind, sondern selbst etwas ändern können. In Eigenverantwortung handeln können Mitarbeiter etwa, indem sie eine Zusatzausbildung oder eine Umschulung absolvieren oder - bei quantitativer Unterforderung - auf einen Teilzeitjob umsatteln.

Die Forschung zeigt es: Überforderung, Unterforderung und daraus entstehender Stress und Zeitdruck haben gravierende Folgen. Unter-, Überforderung und Zeitdruck stellen ein psychosoziales Risiko für Mitarbeitende dar. In der Schweiz haben die Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeitenden. Führt Zeitdruck dazu, dass Mitarbeitende Überstunden machen müssen, gibt es auch rechtliche Aspekte, die beachtet werden müssen.

Wenn Arbeitsaufgaben nicht motivierend sind (z.B. durch Unterforderung), hat das eine negative Auswirkung auf die Arbeitgeberattraktivität. Wenn Überforderung und Zeitdruck die Work-Life-Balance beeinträchtigen, haben sie eine indirekte Wirkung auf die Arbeitgeberattraktivität. Eine hohe Arbeitsmenge bei Mitarbeitenden erhöht die Kündigungsabsichten.

Boreout Prävention

  • Ein ausgewogenes Aufgabenprofil
  • Gespräche über Arbeitsinhalte
  • Arbeitsabläufe gestalten, die Langeweile und Stress vermeiden
  • Ein ausgewogener Stellenschlüssel
  • Arbeitsprozesse gestalten, welche dir Stärken der Mitarbeitenden nutzen

Boreout-Test

Mit der Beantwortung der Fragen können Sie prüfen ob Sie an Boreout leiden bzw. zur Risikogruppe gehören.

Ein Boreout-Test gibt erste Hinweise auf Unterforderung. Er fragt nach Arbeitsbelastung, Interesse an Aufgaben und Stressempfinden.

Statistik

Unterforderung ist verbreiteter als Überforderung: 28% der Mitarbeitenden geben an, dass sie anspruchsvollere Aufgaben übernehmen könnten. 18% betrachten Schulungsmassnahmen als notwendig, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. 32,4% arbeiten sogar drei Viertel ihrer Arbeitszeit in hohem Tempo - hier ist der Zeitdruck chronisch.

Aussage Prozentanteil der Mitarbeitenden
Gute Passung von Anforderung und Qualifikation 53%
Anspruchsvollere Aufgaben könnten übernommen werden 28%
Schulungsmassnahmen notwendig 18%
Arbeiten drei Viertel der Arbeitszeit in hohem Tempo 32,4%

tags: #burnout #durch #unterforderung