Herausforderndes Verhalten bei Kindern: Ein umfassender Leitfaden

Verhaltensauffälligkeiten von Schüler:innen beschäftigen die Volksschulen zunehmend. Der Kanton Luzern reagiert darauf mit neuen, auch finanziellen, Massnahmen. Das Projekt „Verhalten“ startet vielerorts zu Beginn des neuen Schuljahres 2025/26.

Oft stellt sich die Frage, warum immer mehr Kinder und Jugendliche an unseren Schulen im Verhalten auffallen. Welchen Beitrag leistet dazu unser Schulsystem? Welcher Anteil hat die gestresste Gesellschaft? Es erscheint essenziell, dass wir uns zu gesellschaftlichen Themen Gedanken machen und uns überlegen, was die Kinder von heute für die Zukunft von morgen, welche wir nicht kennen, brauchen.

In diesem Zusammenhang befassen wir uns immer wieder mit dem Umgang von verhaltensauffälligen Kindern. Ich bin der Meinung, dass wir dem Verhalten dieser Kinder nur begegnen können, indem wir uns ihnen gegenüber anders verhalten. So bekam ich neulich einen genialen Buchtipp, welchen ich gerne auch mit euch teilen möchte.

Buchtipp: "Herausforderndes Verhalten vermeiden" von Bo Hejlskov Elvén

Der Titel tönt in meinen Ohren etwas „krass“, ich sehe jedoch der praktische Nutzen für Kinder mit ADS, ADHS, ASS und anderen neurodivergenten Besonderheiten. Es geht darum, Menschen mit Autismus und psychischen oder geistigen Einschränkungen positives Verhalten zu ermöglichen.

Klappentext:

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„Wir alle kennen Verhaltensweisen wie Schlagen, Beissen, Schreien und Ähnliches, denen wir uns im beruflichen oder häuslichen Alltag stellen müssen - Phänomene, die häufig durch eine ungünstige Umgebung oder unrealistische Anforderungen ausgelöst werden. Bo Hejlskov Elvén greift dieses Thema auf eine ganz neue, bemerkenswerte Weise auf und zeigt, wie sich das Verhalten von Menschen mit Autismus und anderen Entwicklungsstörungen oder geistigen Behinderungen dramatisch zum Positiven verändern kann, wenn man diese Probleme zu identifizieren vermag und richtig mit ihnen umgeht. Dieser praktische Leitfaden verhilft zu einem neuen Blickwinkel auf Problemsituationen und schlägt einfache und effektive Strategien vor, mit denen man positive Reaktionen herbeiführen und damit Methoden wie Bestrafung vermeiden kann. Basierend auf dem bewährten „unaufgeregten Umgang“ sind die hier beschriebenen Methoden ein gangbarer Weg aus dem Stress, hin zu Ruhe und Entspannung, was die Lebensqualität aller Beteiligten erheblich verbessert. Praktische Beispiele von Kindern und Erwachsenen mit unterschiedlichen Störungen und Behinderungen von Autismus bis zum Down-Syndrom illustrieren die möglichen positiven Veränderungen.“

Was das Buch verdeutlicht

Unsere Reaktionen auf herausforderndes Verhalten haben den Ursprung oft in erlernten Verhaltensmustern, welche wir aus unserer Kindheit kennen. Die Definition, was herausforderndes Verhalten ist, hängt eng in Verbindung mit der betreuenden Person. So schreibt der Autor treffend:

„Ich glaube, besser als alles andere wird herausforderndes Verhalten dadurch definiert, dass es dazu führt, dass andere sich unzulänglich und machtlos fühlen.“ (S. 16)

Oder:

„Herausforderndes Verhalten ist ein Verhalten, das den Menschen um die betreffende Person Probleme bereitet.“

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Das heisst, die Person, welche die „schwierige“ Person betreut, hat ein Problem. Es löst Gefühle wie Wut und Ohnmacht aus. Es ist vorwiegend das Gefühl der Machtlosigkeit im Umfeld des Betreffenden, das dessen Verhalten als problematisch definiert. Nachfolgender Ansatz finde ich, ist eine für mich entscheidende Einsicht:

„Wenn wir davon ausgehen, dass das herausfordernde Verhalten durch die Erwartungen und Anforderungen der Menschen in direkter Umgebung der Betreffenden ausgelöst wird, verschiebt sich die Verantwortung vom Betroffenen auf die Eltern oder das Betreuungspersonal. Das ist eine gute Sache, denn so haben sie die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Man kann Dinge nur dann beeinflussen, wenn man die Verantwortung dafür übernimmt. Wir müssen lernen, realistische Anforderungen zu stellen. Wir müssen die Probleme und Schwierigkeiten unserer Betroffenen kennen und verstehen und wir müssen an einigen Ansichten über uns selbst, die Betroffenen und unsere Methoden arbeiten.“ (S. 46)

Besonders für die Schulen ist dieser Teil des Buches entscheidend. Es ist einfach, Schuldzuweisungen für das Verhalten des Kindes zu machen. So können Eltern, andere Lehrer, eine Gruppenzusammensetzung oder auch das Kind selbst als „schuldig“ gelten. Diese Haltung bringt uns jedoch keinen einzigen Schritt weiter. Viel mehr haben wir als Betreuer die Aufgabe, ein Stück „Detektivarbeit“ zu leisten und versuchen herauszufinden, was hinter dem Verhalten stecken könnte. Überdies ist ein unabdingbarer Weg, an unseren eigenen Haltungen zu arbeiten.

Konzeptionen und Fehlvorstellungen

Das Buch umschreibt Themen wie „Konsequenzen“ im Kapitel „Konzeptionen und Fehlvorstellungen“. So musste ich mir selbst eingestehen, dass auch ich teilweise veraltete Muster noch innehabe und je nach dem individueller und/oder anders mit schwierigem Verhalten umgehen kann.

Stressfaktoren: Ein Modell zur Erklärung des Chaos

Das Kapitel 4 „Stressfaktoren: Ein Modell zur Erklärung des Chaos“ finde ich für mich persönlich sehr hilfreich. Das Modell ist die Grundlage, um überhaupt hinter das schwierige Verhalten sehen zu können. So ist ein wichtiges Prinzip, den Grund-Stresslevel dauerhaft zu reduzieren. Und wusstest du, dass eine Pollenallergie schon den Grund-Stresslevel um ein x-faches heben kann? Oder die momentan grosse Hitze? Oder in der Schule zu hohe / zu niedrige Anforderungen (zu niedrige Anforderungen können beispielsweise hochbegabte Kinder stressen!)?

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Unter „Grund-Stressfaktoren“ ist auch „Dezember“ vermerkt. Da kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ich würde die Liste auch mit „Ende Juni / Schulschluss“ erweitern. Während diesen Zeitfenstern ist viel mehr los als in normalen Monaten. Die Vorfreude auf Weihnachten, Schulreise, Ferien etc. ist gross. Dies wird von den betroffenen Kindern, wie auch von den Lehrpersonen/Eltern, als stressig wahrgenommen. Kein Wunder nehmen in diesen Monaten auch Konflikte auf dem Schulareal spürbar zu.

Lösungsimpulse und externe Schutzfaktoren

Nebst wertvollem Hintergrundwissen liefert das Buch Lösungsimpulse im Kapitel 5 „Bei Konflikten: Ruhe bewahren“. So spricht der Autor in diesem Zusammenhang von „externen Schutzfaktoren“, welche fest mit dem Umfeld des Menschen verknüpft sind. Ich erachte diese für die Schulen als sehr wertvoll, einige davon sind pädagogischer Art. Gute Pädagogik wirkt stressmindernd.

Externe Schutzfaktoren, welche wir beispielsweise an Schulen angehen können, sind:

  • Struktur
  • Information und Verständnis
  • Realistische Anforderungen
  • Rückzugsmöglichkeiten
  • Beziehungsnetzwerke
  • Soziale Unterstützung

Beim Punkt „Realistische Anforderungen“ klingeln bei mir alle Antennen. Was genau läuft an unseren Schulen ab? Sind die Anforderungen realistisch, welche wir an die jungen Kinder stellen? Wie lange können wir von Kindern einfordern, still im Kreis zu sitzen? Welche tiefgreifenden Bedürfnisse hätten die Kinder? Werden wir ihnen mit unserer Art zu unterrichten gerecht?

Meine Antwort ist klar nein.

Was ich hier schildere, ist eine generalisierte Ansicht. Durchaus gibt es viele innovative Schulleiter:innen, Lehrpersonen und Sozialpädagog:innen, welche neue Wege aufgleisen und viel in Schul- und Unterrichtsentwicklung investieren. Dabei wünsche ich mir, dass viele Menschen darüber nachdenken, was „realistische Anforderungen“ für das individuelle Kind sind.

Zu guter Letzt: Das oben geschilderte Buch lag auf einem Tisch. Da kam eine junge Frau und fragte mich: „Ist mit dem Titel das Verhalten der Schüler oder der Lehrer gemeint?“

Ja, auch so kann man es ansehen! Ich wünsche mir, dass diese Frage alle Menschen, welche mit herausforderndem Verhalten in Berührung kommen, zum Nachdenken anregt.

Weitere Ressourcen und Materialien

Viele pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen erleben kindliches Verhalten teilweise als Herausforderung und manchmal als Überforderung. In diesem vollständig überarbeiteten Curriculum finden Weiterbildner*innen strukturiert aufbereitete, praxiserprobte Materialien für die Qualifikation pädagogischer Fachkräfte (Kita-Teams) zum Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen.

Das Curriculum basiert auf den Erfahrungen der Autor*innen mit dem Thema und empirisch fundierten Erkenntnissen zweier Forschungsprojekte, in deren Rahmen jeweils für Referent*innen/Prozessbegleiter*innen ( Multiplikator*innen ) eine Arbeitsgrundlage für die Weiterqualifikation teilnehmender Kita-Teams entwickelt wurde.

Das Arbeitsbuch besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil werden theoretische und empirische Grundlagen zum aktuellen Forschungsstand und zur Bedeutung der kompetenzorientierten Gestaltung der Weiterbildung vorgestellt. Dabei werden auch die zentralen Bestandteile des Curriculums, der inhaltliche und strukturelle Aufbau der einzelnen Bausteine sowie wichtige Hinweise zur Handhabung und Umsetzung dargelegt.

Im anschließenden Praxisteil werden die vier Bausteine nacheinander beschrieben. Kommunizieren Diagnostik & Literatur

Praktischer Ratgeber für den Umgang mit Autismus

Britta Seger - Praktischer Ratgeber für den Umgang mit Autismus: Dieses Buch bietet Eltern, Lehrkräften und Fachpersonal fundiertes Hintergrundwissen, um das Verhalten von Kindern mit Autismus besser zu verstehen und inklusive Bildungswege zu ermöglichen. Mit Fallanalysen und Erklärungen zu relevanten Konzepten liefert es wertvolle Ansätze für den Alltag.

„Warum spielt mein Kind immer nur alleine?“, „Wieso verhält sich mein Schüler bzw. meine Schülerin anders als die anderen?“ und „Wieso macht mein Kita-Kind das und wie kann ich ihm nur helfen? Der tagtägliche Umgang mit der Autismus-Spektrum-Störung (ASS) lässt häufig viele Fragen offen. Eltern, Lehrkräfte und pädagogisches Fachpersonal brauchen viel Hintergrundwissen um Verhalten besser zu verstehen und eine Antwort darauf finden zu können.

Die Vielzahl von komplexen Hintergründen für Verhalten von Menschen mit ASS werden in diesem Buch aufgegriffen, damit auf der Basis des tieferen Verständnisses eine inklusive Bildung einschließlich der notwendigen Unterstützungsmaßnahmen stattfinden kann.

Das Verhalten der von ASS betroffenen Menschen wird in diesem Praxis-Ratgeber als Phänomen in Bezug auf das „Mensch sein“ verstanden und stellt einen wichtigen Teil der Interaktion und Kommunikation zwischen allen Menschen dar. In diesem Zusammenhang werden die Kernsymptomatik der Autismus-Spektrum-Störung besprochen und die notwendigen Fachbegriffe erklärt. Außerdem werden für ein besseres Verständnis erläuternde Strömungen wie die entwicklungspsychologische Musiktherapie, die Affektregulierung, die Bindungstheorie sowie das Schema der emotionalen Entwicklung hinzugezogen.

Um die neu gewonnenen Erkenntnisse erfolgreich in der Praxis anwenden zu können, findet der Leser am Ende des Buches individuelle Fallanalysen mit einer differenzierten Besprechung möglicher Interventionen zu einem erfolgreichen Umgang.

Produktdetails:

  • Autorin: Britta Seger
  • Titel: Herausforderndes Verhalten bei Kindern mit Autismus
  • Seiten: 120
  • Einband: kartoniert
  • ISBN 978-3-86059-703-3

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Verhaltensauffällige Kinder stellen im pädagogischen Alltag oft eine Herausforderung für Erzieher und Erzieherinnen dar. Welches kindliche Verhalten wird in der fachlichen Auseinandersetzung als auffällig verstanden? Welche Ursachen und welche Bedeutung hat es? Und welche Unterstützung kann und muss eine pädagogische Fachkraft für eine gute Entwicklung des Kindes leisten?

Autismus nimmt in den letzten Jahren zu. Inzwischen wird davon ausgegangen, dass der Anteil autistischer Menschen an der Gesamtbevölkerung bei etwa 1 Prozent liegt. Das betrifft in Deutschland ungefähr 800.000 Menschen im Autismus-Spektrum.

Der Leitfaden ist für heilpädagogische und pädagogische Fachkräfte, aber auch für Eltern konzipiert, die sich Hilfe oder Unterstützung beim Umgang mit herausforderndem Verhalten von Kindern und Jugendlichen aus dem Autismus- Spektrum wünschen. Die 4., aktualisierte Auflage enthält u.a. einen Sicherheitsplan, ein Beispiel aus der Erwachsenenarbeit, Aspekte des Bundesteilhabegesetzes sowie ein Modell für einen personenbezogenen Unterstützungsplan im Anhang.

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