Persönlichkeitsstörungen weisen insbesondere in klinischen Kontexten eine sehr hohe Prävalenz auf. Die Behandlungen sind häufig komplex, aufwändig, emotional aufwühlend und stellen hohe Anforderungen an die Professionalität.
Dieser Artikel stellt Grundsätze und Spezifika in der Behandlung schwerer Persönlichkeitsstörungen dar mit Fokus auf die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS). Aus Platzgründen beschränke ich mich auf die Behandlung von Erwachsenen und fokussiere zudem die Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen, insbesondere die Borderlinestörung.
Diagnostische Veränderungen und Spektrumdenken
Es werden übergreifende Aspekte des Selbst (d.h. Richtigkeit des Selbstbildes, Selbststeuerung) und der interpersonellen Beziehungsgestaltung (Fähigkeit, nahe und wechselseitig befriedigende Beziehungen zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, die Perspektive anderer einnehmen sowie Konflikte adäquat lösen zu können) untersucht - ähnlich wie im DSM-5 (Identität mit Charakteristika des Selbst und der Zielorientierung einerseits und Empathie und Intimität als Aspekte der interpersonellen Beziehungen andererseits).
Unübersehbar zeigt sich in den konzeptuellen diagnostischen Veränderungen eine Verschiebung hin zu einem Spektrumdenken, wie es bei verschiedenen psychiatrischen Störungen auszumachen ist (z.B. Autismusspektrumstörungen).
Therapie der schweren Persönlichkeitsstörung
Von den neun europäischen Leitlinien zur Behandlung von PS beziehen sich fünf ausschliesslich auf die BPS, eine auf die antisoziale PS und drei auf PS insgesamt (10). Die Psychotherapie ist Behandlung der Wahl, während die Pharmakotherapie nur eine begleitende Rolle einnimmt.
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Psychotherapeutische Verfahren
Vier Psychotherapieverfahren sind empirisch gut untersucht und in ihrer Wirksamkeit belegt.
Zusammengefasst sind dies auf verhaltenstherapeutischer Seite:
- die genannte Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) und
 - die Schemafokussierte Therapie (SFT) nach J. E. Young et al. (17).
 
Auf psychodynamischer Seite sind dies:
- die Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) nach A. W. Bateman und P. Fonagy (18) und
 - die Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP; Transference-Focused Psychotherapy) nach O. F. Kernberg (19).
 
Grundprinzipien der Therapie
Entsprechend basieren alle störungsspezifischen Therapieprogramme auf klaren Vereinbarungen, die u.a. die Rehospitalisierungstendenzen zu minimieren versuchen und die Kooperation mit involvierten Fachpersonen umfassen.
Die schwierigen interaktionellen Dynamiken, die emotionalen Herausforderungen und teilweise heftigen Gegenübertragungsreaktionen verlangen die Schulung von Fachpersonen sowie eine regelmässige und kontinuierliche Super- oder Intervision der Therapien.
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Zu den Grundprinzipien gehören:
- Vereinbarungen, die dem Schutz der Therapie gelten, Problemsituationen antizipieren helfen und sekundäre Krankheitsgewinne verhindern sollen sowie der Prüfung der Motivation und Kanalisierung der psychischen Dynamik dienen (z.B. Therapiezielsetzungen, Umgang mit Krisen, Suizidalität und selbstschädigendem Verhalten, Regeln zur Rolle von Patient und Therapeut, Erreichbar- und Verfügbarkeit von Therapeuten)
 - Motivation und Aufforderung zur aktiven Mitarbeit und Verantwortungsübernahme für die Therapie
 - Herstellen einer tragfähigen therapeutischen Beziehung: hohe Beziehungsintensität mit Beachtung und Analyse der emotionalen (Gegen-)Übertragungsreaktionen mit der Grundhaltung, aufmerksam, neugierig und verständnisvoll zu sein (Vermeidung eines Gegenübertragungsagierens)
 - Therapiesupervision zur Selbstreflexion, Reflexion der Beziehungsgestaltung, emotionalen Regulation und Entlastung.
 
Spezifische Therapieansätze
Während kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze klassische Interventionen wie Entspannungsverfahren zur Reduktion des Grundanspannungsniveaus, Desensibilisierungsübungen und Expositionen in vivo sowie Rollenspiele zum Aufbau von sozialen Fertigkeiten und zur Verbesserung des Selbstwerts einsetzen, arbeiten psychodynamische Verfahren eher in der Übertragungssituation der Therapie an reflexiven Funktionen, Selbst- und Objektrepräsentationen und interaktionellen Beziehungsaspekten.
Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT)
Die DBT erkennt in der BPS eine emotionale Regulationsstörung und fokussiert in der Behandlung eine entsprechende Symptomatik: die emotionale Dysregulation, Impulskontrollprobleme, das selbstverletzende und andere dysfunktionale Verhaltensweisen, Suizidversuche sowie dissoziative Tendenzen.
Die psychotherapeutische Arbeit orientiert sich in Erweiterung der den kognitiven Therapien eigenen Umstrukturierung kognitiver Grundannahmen am Erlernen von funktionalen Bewältigungsmechanismen («Fertigkeiten»): innere Achtsamkeit, Fertigkeiten zur Stresstoleranz, Emotionsmodulation («Umgang mit Gefühlen») und zwischenmenschliche Fertigkeiten (14,15).
Schematherapie
Die Schematherapie dagegen fokussiert im Blick auf die BPS ein Muster frühkindlicher maladaptiver Schemata. Es sind dies auf Erinnerungen, Emotionen, Kognitionen und Körperempfindungen basierende Muster (traits), die in bestimmten Zuständen (states) aktualisiert werden und in dysfunktionaler Weise als Modi des Selbst in Erscheinung treten.
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Gepaart mit bestimmten Copingstilen wie Vermeidung, Unterwerfung oder Überkompensation bilden sie gewissermassen die innere Bühne der zwischenmenschlichen Interaktionen.
Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT)
Die MBT basiert auf einer Konzeption schwerer Persönlichkeitsstörung, wonach die Mentalisierung, d.h. die Fähigkeit, sich selbst «von aussen» und andere «von innen» zu sehen («holding one’s [own and other’s] mind in mind» [22]) eingeschränkt ist.
Beeinflusst ist das Konzept unter anderem durch die «Theory of Mind», die Bindungsforschung und die intersubjektive Psychoanalyse. Beeinträchtigung der Mentalisierung hat schwerwiegende Störungen in der Affekt- und Selbstregulation im interpersonellen Kontext zur Folge.
Übertragungsfokussierte Therapie (TFP)
Die TFP geht von der Annahme aus, dass die mentale Innenwelt von Patienten von internalisierten Beziehungsmustern (Objektbeziehungsdyaden) geprägt ist, die in «gute» und «böse» Anteile gespalten sind, sodass sowohl das Selbstbild wie jenes bedeutsamer anderer partialisiert und nicht zu einer Ganzheit und Identität einer Person integriert ist.
Korrespondierend zu dieser Identitätsdiffusion dominieren unreife Abwehrmechanismen wie u.a. Projektion, projektive Identifikation, Spaltung, die meist chaotische Interaktionen zur Folge haben - auch in der Therapie, wo sie in der Übertragungsbeziehung unter Aufrechterhaltung der technischen Neutralität mittels Klärung, Konfrontation und Deutung bearbeitet werden.
So mag eine Patientin beispielsweise in einem Erstgespräch ihren unbewussten Wunsch nach Nähe projektiv auf den Therapeuten übertragen, indem sie ihn dazu bringt, sich ihr mit vertiefenden Fragen zuzuwenden («Sie sind der Erste, der mich ernsthaft zu verstehen sucht»).
In der Folge wird das Nachfragen dann aber von der Patientin als intrusiv und übergriffig erlebt, sodass die eigenen verletzlichen Nähewünsche nicht nur auf den Therapeuten projiziert, sondern in ihm, der sich mit den Wünschen identifiziert, auch abgewehrt werden.
Beide, MBT wie TFP, fokussieren die dominanten Affekte und die damit zusammenhängenden Kognitionen. Die TFP wählt ihren Ansatzpunkt aber in der Arbeit in und an der Übertragungsbeziehung, in der Annahme, dass die Selbst- und Objektrepräsentanzen in abgespaltener Form vorhanden sind und in der therapeutischen Beziehung aktualisiert werden.
Therapiesettings, Behandlung komorbider Störungen und psychosoziale Interventionen
Das ambulante Setting steht in der Behandlung von PS im Vordergrund. Die Indikation für eine stationäre oder teilstationäre Behandlung liegt in zweierlei Hinsicht vor:
Zum einen dienen kurzfristige und begrenzte stationäre Kriseninterventionen der Bewältigung einer nicht kontrollierbaren Suizidalität, vorübergehenden psychotischen Symptomen, ausgeprägten panikartigen Ängsten, einem exazerbierten Suchtverhalten oder einem Zusammenbruch des sozialen Netzwerks.
Zu achten ist bei längeren stationären und teilstationären Behandlungen auf das hohe Regressionspotenzial dieses Klientels.
PS sind mit hohen psychischen und somatischen Komorbiditäten belastet. Dazu gehören u.a. komplexe PTSD, ADHS, bipolare oder schwere substanzbezogene Störungen sowie Essstörungen mit lebensbedrohlichen Konsequenzen.
Die S3-Leitlinie weist zudem auf die grosse Bedeutung psychosozialer Interventionen in der Gesamtbehandlung schwerer PS hin.
Die Psychotherapie ist die Methode der Wahl und sollte, wenn immer möglich, im ambulanten Setting von geschulten Therapeuten durchgeführt und mit psychosozialen Interventionen gepaart werden.
Pharmakotherapie
Es bestehen keine Evidenzen für die Pharmakotherapie der PS. Medikamente sind allenfalls bei Identifikation einer spezifischen Zielsymptomatik oder Komorbidität empfohlen.
Empfohlen werden Neuroleptika (Quetiapin, Aripiprazol) für dissoziative oder transiente kognitiv-perzeptive Symptome (Realitätswahrnehmungsverzerrungen, paranoide Vorstellungen) und eine Irritabilität insgesamt.
Auf die Gabe von Antidepressiva sollte ganz verzichtet werden, es sei denn, es liege eine diagnostizierte Major Depression vor.
Entgegen den konsensuellen Empfehlungen zeigt die klinische Realität ein ganz anderes Bild. So nehmen 80% der Patienten mit einer diagnostizierten BPS mindestens ein Psychopharmakon ein und 20% sogar mehr als vier verschiedene (26,27), was nicht zuletzt auf störungsspezifische Dynamiken zurückzuführen ist, wonach Behandelnde einem interaktionellen Druck nachgeben und Medikamente verschreiben, für deren Einsatz es keine Evidenz gibt.
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