Arbeit macht psychisch krank: Ursachen und Hilfe

Der Job soll Freude bereiten und nicht krankmachen, doch die Realität sieht oft anders aus. Rund jede fünfte erwerbstätige Person leidet im Laufe ihres Berufslebens mindestens einmal an psychischen Problemen. Diese Leiden führen oft zu Langzeitabsenzen, deren Dauer und damit die durchschnittlichen Fallkosten in den letzten Jahren zugenommen haben. Auch im ersten Halbjahr 2024.

«Die Gründe dafür können nicht auf eine spezifische Ursache zurückgeführt werden», sagt Dominic Trösch, Senior Spezialist Präventionsmanagement bei SWICA. «Neben unzähligen weiteren Faktoren ist die Welt für viele Menschen unsicherer geworden. Sie nehmen psychologische Grundbedürfnisse wie Sicherheit und Kontrolle als bedroht wahr. Das kann Angst machen. Zudem wird der mentalen Gesundheit immer mehr Bedeutung beigemessen.»

Privatleben und Arbeit werden oft getrennt betrachtet, beeinflussen sich aber gegenseitig. Wer privat in einer belastenden Situation steckt, ist oft auch im Arbeitsalltag bedrückt. Viele Betroffene arbeiten weiter und geben ihr Bestes, sich nichts anmerken zu lassen. «Menschen sind emotionale Wesen», erklärt Trösch. «Wenn negative Gefühle unterdrückt werden, sind sie nicht einfach weg, sondern im Unterbewusstsein immer noch vorhanden. Wenn unausgesprochen, können sie langfristig zu Problemen führen.» Rationales Denken sei dann oft nicht mehr möglich und Reaktionen könnten stark emotional ausfallen. Dies könne zu Konflikten und Missverständnissen führen. Bei über 50% der Krankheitsfälle aufgrund von psychischen Problemen sind Konflikte der Auslöser.

Ursachen psychischer Belastungen

Stress und Überlastung sind für Schweizerinnen und Schweizer die häufigste Ursache für psychisches Leiden. Psychische Belastungen wie Zeitdruck, Unter- oder Überforderung, Unterbrechungen, zwischenmenschliche Konflikte, Mobbing und Jobunsicherheit haben während den letzten Jahren zugenommen, während physische Belastungen eher zurückgehen.

Für Lars Stiffler spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Der Wandel von einer körperlich arbeitenden zu einer denkenden Gesellschaft in den letzten 50 Jahren und die damit einhergehende Verschiebung von Beschwerden des Bewegungsapparats hin zu psychischen Problemen ist für ihn der grösste Einflussfaktor. Für Jennifer Heise sind auch die ständige Erreichbarkeit und das Arbeiten von überall ‒ sei es im Zug, am Feierabend oder in den Ferien ‒ eine Herausforderung, mit der nicht alle Menschen gleich gut umgehen können. Eine mangelnde Abgrenzung zwischen Privat- und Berufsleben könne dazu führen, dass man aus dem Ganzen gar nicht mehr rauskomme.

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Unsere Aufgaben verändern sich. Menschliche Arbeit wird vermehrt von Maschinen übernommen. Gerade eintönige und belastende Arbeiten fallen vermehrt weg - was gut ist. Gleichzeitig erhöht die Digitalisierung aber auch die Arbeitsplatzunsicherheit, und sie verursacht Unklarheit und Unplanbarkeit. In der Führung braucht es ein neues Verständnis, wie man Personen begleitet. Man kann niemandem versprechen, dass er in zehn Jahren noch den gleichen Job hat. Es geht vielmehr darum, Leute zu befähigen, mit Unsicherheit umzugehen. Lebenslanges Lernen ist hier ein zentrales Stichwort.

Wie erkennt man psychische Belastungen?

Oft wird eine psychische Belastung bei einem Mitarbeiter lange nicht als solche erkannt und die Probleme schleppen sich über eine lange Zeit hin. Hinterher stellt sich dann häufig die Frage, ob man nicht schon früher hätte aktiv werden sollen. Woran merken Vorgesetzte, dass Mitarbeiter unter psychischer Belastung leiden?

Auffällig sind plötzliche Veränderungen, beispielsweise in Arbeitsqualität, -tempo oder Engagement. Auch die Stimmungslage kann betroffen sein: Ein Mitarbeiter ist häufig niedergeschlagen, zieht sich mehr und mehr zurück, ist dauernd gereizt oder bricht in Tränen aus. Vermehrte Konflikte mit Kollegen oder ständige Überlastung sind ebenfalls mögliche Warnzeichen. Auch eine diffuse Situation mit vielen Kurzabsenzen aus ganz verschiedenen Gründen kann eine psychische Ursache haben.

All diese Merkmale können zwar auf eine psychische Problematik hinweisen, sie können aber auch einen anderen Hintergrund haben.

Symptome am Arbeitsplatz sind zum Beispiel Konzentrationsprobleme, Leistungsabfall oder auffälliges Sozialverhalten. Dazu können ganz unterschiedliche Verhaltensweisen kommen, wie z.B.

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Was tun bei Verdacht auf psychische Belastung?

Wie soll der Betrieb vorgehen, wenn bei einem Mitarbeitenden eine psychische Belastung vermutet wird?

Mitarbeitende reagieren sehr unterschiedlich, wenn man sie auf eine psychische Belastung anspricht, einige sind froh und entlastet, andere wehren ab und lehnen ein Gespräch darüber ab. Nehmen Sie sich Zeit für ein solches Gespräch, führen Sie es nicht zwischen Tür und Angel, sondern vereinbaren Sie einen Termin dafür und wählen Sie einen Raum, wo die Privatsphäre gewährleistet ist.

Wenn Sie die psychische Problematik ansprechen, begründen Sie mit konkreten Beispielen und Beobachtungen, beziehen Sie sich dabei auf die Arbeit und die Arbeitsleistung. Bieten Sie Ihre Unterstützung an und empfehlen Sie den Beizug von Fachleuten, wenn Ihnen dies angezeigt erscheint. In solchen Gesprächen ist es nicht einfach, sachlich zu bleiben - Wut und Ärger, aber auch Mitleid und Sympathie hindern uns manchmal daran.

Verneint der Mitarbeiter die psychische Problematik, respektieren Sie dies, aber bleiben Sie konsequent darin, was die Arbeitsleistung betrifft. Sprechen Sie Ihre Erwartungen aus und zeigen Sie die Sicht des Betriebes und die Grenzen auf. Planen Sie auch hier gemeinsam Massnahmen, appellieren Sie dabei an die Eigenverantwortung des Mitarbeiters, und definieren Sie einen Zeitpunkt für eine Evaluation.

Auch wenn beide Seiten motiviert sind, stellen sich bei einem Wiedereinstieg mehr Stolperfallen, als man sich zuerst denken könnte. Arbeitnehmende sind meist zutiefst verunsichert und haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Häufig wagen sie es nicht, von sich aus Unklarheiten anzusprechen, um ja nicht negativ aufzufallen.

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Es ist deshalb zu empfehlen, vor der Arbeitsaufnahme ein Wiedereinstiegsgespräch zu machen, die erste Phase zu planen und festzulegen, wann die nächste Rückmeldung und weitere Planung stattfinden. Wenn Sie unsicher sind bezüglich Ihrer Einschätzung der Situation oder bezüglich des weiteren Vorgehens - holen Sie sich Hilfe.

Hilfsangebote und Unterstützung

Immer mehr Betriebe haben Anlaufstellen eingerichtet, an die sich Mitarbeitende bei Konflikten am Arbeitsplatz wenden können.

Zum einen lassen sich personenbezogene Interventionen durchführen, die direkt auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Personen und deren Umgang mit Stress abzielen. Zum anderen können Interventionen auf den Bereich der Arbeitsorganisation ausgerichtet sein. Arbeitsorientierte Interventionen sind leichter in KMUs implementierbar: höhere Teilnehmerquote, Unterstützung Management abgesichert, Übersichtlichkeit gewährleistet.

Das Projekt VitaLab der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz unterstützt KMU mit Betriebsanalysen, Coachings, Weiterbildungen, Interventionen und Impulsreferaten bei der Umsetzung des betrieblichen Gesundheitsmanagements.

Verschiedene Firmen, wie z. B. Helsana, arbeiten mit Apps und Online-Tools, die zum Teil sehr einfach und spielerisch Führungskräften und Mitarbeitenden Unterstützung anbieten. Solche Tools können wertvolle Ansätze aufzeigen, wie man z. B. auf einen Mitarbeitenden zugehen kann, der psychisch angeschlagen ist - oder im umgekehrten Fall, welche Schritte man selber unternehmen kann, wenn man merkt, dass man an seine Grenzen stösst.

Wenn Leistungs- oder Verhaltensprobleme auf eine psychische Erkrankung zurück gehen und die Stelle gefährden, macht eine Meldung an die IV-Stelle Sinn. Per Januar 2022 tritt die jüngste IVG-Reform in Kraft. Dann kann eine Früherfassung auch gemacht werden, bevor man krankgeschrieben ist. Der frühere Einbezug der IV ist sinnvoll, denn eine Krankschreibung erfolgt oft erst spät. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Krankheit unter Umständen bereits fortgeschritten und das Verhältnis mit dem Arbeitgeber hat sich verschlechtert. Die IV-Stelle kann durch Beratung und allenfalls finanzielle Unterstützung des Arbeitgebers helfen, die Anstellung behalten zu können.

Was können Arbeitgeber tun?

Der Arbeitgeber ist aufgrund der rechtlichen Grundlagen zum Schutz der physischen und psychischen Gesundheit verpflichtet. Psychosoziale Risiken lassen sich ebenso systematisch angehen wie andere Risiken im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz.

Mit dem Ziel, die Prävention psychosozialer Risiken zu verstärken, hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) mit Unterstützung von Sozialpartnern und dem interkantonalen Verband für Arbeitnehmerschutz (IVA) seit dem 1. Januar 2014 einen neuen Vollzugsschwerpunkt lanciert. In Übereinstimmung mit den kantonalen Arbeitsinspektoraten, die schweizweit mit dem Vollzug des Arbeitsgesetzes betraut sind, wird das Augenmerk bei den geplanten Kontrollaktivitäten auf die psychosozialen Risiken gerichtet.

Arbeitgeber*nnen müssen sich zum Datenschutz bekennen: Das Default-Setting ist dabei, dass Arbeitgeber*innen wenig Informationen zum Gesundheitsstand erhalten. Wenn der Mitarbeitende und die Situation es erlauben, kann ein regelmässiger Austausch mit Fachpersonen wie bspw.

Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass geeignete Strukturen vorhanden sind, um auf Vorfälle zu reagieren. Führungskräfte müssen sensibilisiert werden. Es sollte klar kommuniziert werden, an wen sich Mitarbeitende wenden können und wie.

Was können Arbeitnehmer tun?

Wenn du gesundheitlich stark eingeschränkt bist und in deinem Betrieb nicht weiterzuarbeiten kannst, kann es für dich sinnvoll sein, (vorübergehend) einen Job im zweiten Arbeitsmarkt zu suchen. In diesem gibt es gibt es Arbeitsstellen in einem geschützten Rahmen mit tieferen Anforderungen. Lass dich von einer Fachperson therapeutisch unterstützen.

So offen wie möglich mit Vorgesetzten, HR oder entsprechende Anlaufstellen des Unternehmens über Entlastung, Anpassungen oder Wiedereinstieg sprechen. Arbeitgeber*innen sind zum Gesundheitsschutz und zur Fürsorgepflicht verpflichtet.

Psychologische Unterstützung (Therapie, Hausärzt*in) frühzeitig nutzen. Für kleinere organisatorische Fragen kannst du den gesunden Menschenverstand walten lassen - aber wenn du krankgeschrieben bist, solltest du nicht arbeiten. Beachte unter anderem, dass du und dein Unternehmen rechtliche Risiken eingehen, wenn du bei einem Bezug von Versicherungsleistungen arbeitest.

Tipps für ein gutes Arbeitsklima und psychische Gesundheit

Mit den nachfolgenden Empfehlungen kann ein gutes Arbeitsklima begünstigt und die psychische Gesundheit unterstützt werden:

  • Eine offene Kultur schaffen, die auf Vertrauen, Ehrlichkeit und Toleranz basiert. So können Mitarbeitende und Führungskräfte frei und frühzeitig über Bedürfnisse und Probleme sprechen und eine gemeinsame Lösung finden.
  • Motivation ist besser als Druck. Zu hoher Druck führt zu Stress und dieser wirkt sich negativ auf die psychische Gesundheit aus. Führungskräfte sollten Verständnis zeigen, aber auch ihre Erwartungen klar kommunizieren.
  • Vorausschauend leben, um Stress möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen.
  • Aktive Ruhepausen fest in den Tag integrieren und allenfalls in den Kalender eintragen.
  • Nach draussen gehen oder einer Aktivität nachgehen, die gut tut.

Offen über psychische Erkrankungen sprechen?

Über psychische Krankheiten spricht man viel weniger als über körperliche. Viele Menschen haben keine oder falsche Vorstellungen von psychisch erkrankten Menschen. Betroffene haben meist grosse Angst, am Arbeitsplatz über die Krankheit zu sprechen.

Es gibt keine allgemein richtige Antwort auf die Frage, ob man die Erkrankung am Arbeitsplatz thematisieren soll. Überlegen Sie sich den Schritt gut und bereiten Sie sich vor: Wem erzählen Sie davon? Ein Vorteil kann darin bestehen, dass man «sich» nicht mehr verstecken möchte. Oder dass man Leistungs- und / oder Verhaltensprobleme erklären möchte, so dass die Vorgesetzten sie verstehen können. Ein Nachteil besteht in der Ungewissheit über die mögliche Reaktion der Vorgesetzten. Diese hängt von deren Persönlichkeit sowie auch von der Betriebskultur ab: Spricht man in Ihrem Betrieb offen über psychische Belastungen?

Es besteht keine Pflicht, Krankheiten in einer Bewerbung zu erwähnen. Vorurteile und teils auch nachvollziehbare Befürchtungen von Arbeitgebenden können dazu führen, dass eine Bewerbung einer Person mit einer (psychiatrischen) Krankheitsgeschichte sofort aussortiert wird. Deshalb raten wir im Allgemeinen eher davon ab.

Rechtliche Aspekte

Eine Kündigung wegen einer Krankheit ist nicht erlaubt, solange die Arbeitsleistung erbracht wird. Man darf aber dann kündigen, wenn wegen einer Krankheit die Arbeitsleistung gar nicht mehr oder nur noch in ungenügender Qualität geleistet werden kann. Dabei macht das Recht keinen Unterschied zwischen psychischer und körperlicher Krankheit.

Von Gesetzes wegen müssen Arbeitgebende für eine bestimmte Zeit weiterhin Lohn an erkrankte Angestellte entrichten. Über die konkrete Länge der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht entscheiden - nebst einer vertraglichen Lohnfortzahlungsvereinbarung - die Anstellungsdauer sowie der Kanton, in dem ein Betrieb wirtschaftet. Drei Wochen sind es bei Mitarbeitenden im ersten Dienstjahr, bis zu 46 bei langjährigen Mitarbeitenden. Die Dauer wird mithilfe der Zürcher, Berner oder Basler Skala ermittelt.

Fazit

Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz sind ein ernstes Problem, das sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber betrifft. Offene Kommunikation, Sensibilisierung und geeignete Unterstützungssysteme sind entscheidend, um ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen und die psychische Gesundheit aller Beteiligten zu fördern.

Die Digitalisierung kann uns aber auch dabei helfen, mit Unsicherheiten oder psychischen Belastungen umzugehen.

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