Die Invalidenversicherung stützt sich bei der Beurteilung von Rentenansprüchen auf medizinische Gutachten, die möglichst objektiv die verbleibende Arbeitsfähigkeit beurteilen sollen.
Doch was geschieht, wenn ein entscheidender medizinischer Befund erst im Nachhinein entdeckt oder vertieft dokumentiert wird?
Ein aktueller Entscheid des Bundesgerichts (Urteil 9C_570/2023 vom 11.) unterstreicht, dass auch scheinbar „kleine“ medizinische Details wie eine minimal abweichende Schraubenlage erhebliche sozialversicherungsrechtliche Folgen haben können.
Ein Versicherter hatte sich nach einer Rückenoperation mit dynamischer Stabilisierung (L4-S1) erneut bei der IV angemeldet und eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands geltend gemacht.
Die IV-Stelle liess ein multidisziplinäres Gutachten erstellen, das keine relevante Irritation einer Nervenwurzel feststellte.
Lesen Sie auch: Rottenburg Psychotherapie
Später reichte der Versicherte neue medizinische Berichte ein, die eine bislang nicht erwähnte, aber chirurgisch eindeutig sichtbare Fehllage einer Operationsschraube dokumentierten.
Diese drückte auf die linke L5-Nervenwurzel und verursachte eine anhaltende Lumboischialgie.
Zwei behandelnde Ärzte attestierten daraufhin eine vollständige Arbeitsunfähigkeit in adaptierten Tätigkeiten.
Das kantonale Gericht lehnte eine Neubewertung ab und verwies darauf, dass die radiologischen Untersuchungen und Berichte erst nach dem ursprünglichen IV-Entscheid eingereicht worden seien (sogenannte Noven).
Damit erteilt das Bundesgericht einer allzu formalen Betrachtungsweise eine Absage.
Lesen Sie auch: Überblick: Die neue Psychotherapie-Regelung in der Schweiz
Es mahnt zur sorgfältigen medizinischen Klärung und verlangt, dass die neuen Erkenntnisse den ursprünglichen Gutachtern zur Stellungnahme vorgelegt werden.
Auch die Sozialversicherungsgerichte müssen sich der Tatsache bewusst bleiben, dass relevante Einschränkungen nicht immer durch die erste Expertise vollständig erfasst werden.
Wo medizinische Feindiagnostik auf sozialversicherungsrechtliche Bewertung trifft, liegt die Wahrheit oft im Detail.
Eine einzelne Schraube - falsch platziert, nicht erkannt, aber dokumentiert - kann über das Schicksal eines Rentenanspruchs entscheiden.
Mit Urteil vom 8. Januar 2025 (8C_119/2024) klärt das Bundesgericht eine bislang unbeantwortete Frage im Ergänzungsleistungs-Recht: Darf ein Vermögensverzicht des verstorbenen Ehegatten aus der Zeit vor der Eheschliessung bei der EL-Berechnung der überlebenden Person angerechnet werden?
Lesen Sie auch: Digitale Innovationen Psychotherapie
Im konkreten Fall wurde der Antrag der Beschwerdegegnerin auf Ergänzungsleistungen abgelehnt, da die Durchführungsstelle einen Vermögensverzicht von 116'000 Franken berücksichtigte, den ihr inzwischen verstorbener Ehemann Jahre vor der Heirat vorgenommen hatte.
Das Bundesgericht hält fest, dass solche vorehelichen Vermögensdispositionen der überlebenden Ehegattin nicht angerechnet werden dürfen.
Das Urteil betont, dass der Zweck der Anrechnungsklausel die Missbrauchsverhinderung betrifft, nicht aber die Sanktionierung von Dispositionen aus einem Zeitraum, in dem kein gemeinsamer wirtschaftlicher Haushalt bestand.
Damit konkretisiert das Gericht seine bisherige Rechtsprechung und schafft Rechtssicherheit für EL-Stellen und Gerichte.
Eine Arbeitnehmerin war innerhalb der Probezeit infolge Magen-Darm-Infektes zwei Tage krank.
Am dritten Tag kam sie wieder zur Arbeit und erhielt gleich die Kündigung mitgeteilt.
Dadurch brach sie psychisch zusammen und war erneut bis auf weiteres arbeitsunfähig.
Sie erhielt zwar noch 9 ½ Monate lang Krankentaggeld - zu Unrecht, wie das Bundesgericht bestätigte (Urteil 9C_414/2023 vom 21. Februar 2024, Erw. 4.1).
Das Bundesgericht ging, wie bereits die Vorinstanz, davon aus, dass die Frau nicht nachweisen konnte, dass sie nach Ende der Kündigungsfrist eine neue Stelle angetreten hätte.
Wenn man sich vergewissert, dass die Frau unerwartet die Kündigung erhielt, als sie kaum wieder gesund war, und deswegen erneut arbeitsunfähig wurde, erscheint das Urteil hart.
Wahrscheinlich erfüllte sie auch die Beitragszeit für Arbeitslosenentschädigung nicht oder meldete sich dort nicht an.
Dieser Fall verdeutlicht ein Grunddilemma in der sozialen Krankentaggeldversicherung: Sie schützt nicht jede gesundheitliche Krise - nur jene, die sich klar als krankheitsbedingter Verlust von Erwerbsfähigkeit zeigen.
Wer wie hier überraschend gekündigt wird, zusammenbricht und in eine längere Krankheit rutscht, erhält kein Taggeld, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass im hypothetischen Gesundheitsfall eine Weiterbeschäftigung stattgefunden hätte.
Ein Arzt war zu 100 % krankgeschrieben und bezog Krankentaggeld.
Am Samstag vor dem Montag, ab dem er wieder arbeitsfähig geschrieben war, behandelte er bereits kurz einen Patienten.
Seine Leistung entsprach einer Arbeitsfähigkeit von lediglich 10 %.
Dieser Sachverhalt wurde zum Dreh- und Angelpunkt eines jahrelangen Rechtsstreits um Krankentaggelder.
Das Bundesgericht bestätigte in seinem Urteil vom 26. Februar 2024 die Rückforderung von über CHF 83'000.- durch die Versicherung (Urteil 4A_491/2023 vom 26. Februar 2024, insb. Erw.
Was der Versicherte als „Arbeitsversuch“ deklarierte, wurde vom Gericht nicht als solches anerkannt - jedenfalls nicht im rechtlich relevanten Sinne.
Entscheidend war, dass für den betreffenden Samstag eine volle Arbeitsunfähigkeit ärztlich attestiert war und dennoch eine faktische Arbeitsleistung erbracht wurde.
Gemäss Bundesgericht ist es Sache der Versicherung - nicht des Versicherten - zu beurteilen, ob ein solcher Einsatz leistungsrelevant ist.
Die Mitteilungspflicht gemäss Art. Selbst ein kurzer Arbeitseinsatz kann zu einer Reduktion des Taggeldanspruchs führen.
Das Gericht bekräftigte, dass auch ein Arbeitsversuch mitgeteilt werden muss.
Das Gericht kam zum Schluss, dass nicht nur die objektiven Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nach Art. 40 VVG erfüllt waren, sondern auch die subjektive Täuschungsabsicht.
Das Verschweigen der Tätigkeit geschah gemäss Gericht mit dem Ziel, weiterhin das volle Taggeld zu erhalten.
Dass es sich nur um einen einzigen Tag und lediglich um ca. 10 % Arbeitsleistung handelte, wurde vom Bundesgericht zwar zur Kenntnis genommen, aber als rechtlich unerheblich eingestuft.
Der Verschweigevorgang an sich reichte aus, um das Vertrauensverhältnis zur Versicherung nachhaltig zu beschädigen.
Der Fall zeigt in aller Deutlichkeit, wie engmaschig das Versicherungsvertragsgesetz aufgestellt ist und welche Erwartungen an die Mitwirkungspflicht von Versicherten gestellt werden.
Selbst gutgemeinte oder marginale Abweichungen von den vertraglich vereinbarten Bedingungen - etwa in Form eines ungemeldeten Arbeitstags - können als arglistig bewertet werden und zum vollständigen Verlust des Versicherungsschutzes führen.
Der Profifussballer A. war in den Saisons 2019/2020 bis 2021/2022 beim Fussballclub B. angestellt.
Sein Arbeitsvertrag endete am 30. Juni 2022.
Am 11. August 2022 verletzte er sich während des Trainings mit der ersten Mannschaft eines anderen Fussballclubs (Club. C.) am rechten Knie.
Was zunächst nach einem Fall für die Unfallversicherung aussah, führte zu einer grundsätzlichen rechtlichen Frage: War A.
Die entscheidende Frage drehte sich um die Voraussetzung, als Arbeitnehmer im Sinne des Unfallversicherungsgesetzes (UVG) versichert zu sein.
Gemäss Gesetz sind in der Schweiz beschäftigte Arbeitnehmer obligatorisch unfallversichert.
Ob ein schriftlicher Arbeitsvertrag besteht, ist dabei nicht zwingend.
tags: #AOK #Psychotherapie #Kostenerstattung #Voraussetzungen