Ein psychologisches Gutachten durch einen Amtsarzt kann in verschiedenen Situationen erforderlich werden. Der Artikel beleuchtet den Ablauf und die Notwendigkeit solcher Gutachten, insbesondere im Kontext von Arbeitsunfähigkeit, Invalidenversicherung (IV) und Fahreignung.
Vertrauensärztliche Untersuchung bei Arbeitsunfähigkeit
Das Gesetz knüpft weitreichende Folgen an die Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeitenden, nicht zuletzt die Lohnfortzahlungspflicht. Da diese Schutzrechte gelegentlich missbräuchlich beansprucht werden können, hat die Arbeitgeberin ein legitimes Interesse daran, die behauptete Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeitenden überprüfen zu lassen.
Der Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit obliegt dem Mitarbeitenden. Dieser Nachweis wird in der Regel mittels eines vom Arzt des Mitarbeitenden ausgestellten Arztzeugnisses erbracht. Einem Arztzeugnis kommt eine sehr hohe Beweiskraft zu.
Gemäss Lehre und Rechtsprechung ist die Arbeitgeberin bei Vorliegen objektiver Anhaltspunkte, welche berechtigte Zweifel an der Richtigkeit eines Arztzeugnisses aufkommen lassen, berechtigt, eine vertrauensärztliche Untersuchung anzuordnen.
Die Pflicht zur Mitwirkung an der vertrauensärztlichen Untersuchung ergibt sich sowohl aus der allgemeinen Treuepflicht des Mitarbeitenden als auch aus dem Weisungsrecht der Arbeitgeberin. Eine ausdrückliche vertragliche Grundlage ist nicht zwingend erforderlich.
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Dementsprechend müssen für die Zulässigkeit einer vertrauensärztlichen Untersuchung objektive Anhaltspunkte vorliegen, welche die Arbeitgeberin an der Richtigkeit eines Arztzeugnisses zweifeln lassen. Als objektive Anhaltspunkte kommen gemäss Praxis unter anderem die folgenden Umstände infrage:
- ein übermässig rückdatiertes oder unleserliches Arztzeugnis
 - der Mitarbeitende wird trotz Krankheit bei Freizeitaktivitäten gesehen
 - häufige Arztwechsel
 - sich widersprechende Arztzeugnisse
 - ein Arztzeugnis, das ausschliesslich auf Patientenangaben basiert
 - Auffälligkeiten betr. Zeitpunkt, Häufigkeit und Dauer der Arbeitsunfähigkeit
 
Liegen objektive Anhaltspunkte vor, empfehlen sowohl die Rechtsprechung als auch ein Teil der Lehre, dass die Aufforderung zur vertrauensärztlichen Konsultation unverzüglich zu erfolgen hat. Sind die oben beschriebenen Voraussetzungen erfüllt, ist der Mitarbeitende grundsätzlich verpflichtet, an der Untersuchung mitzuwirken.
Der Mitarbeitende kann allerdings - in beschränktem Rahmen - Einwendungen gegen die Aufforderung zur Konsultation eines Vertrauensarztes erheben, so z.B. Vorbehalte gegen die Person oder das Geschlecht des Vertrauensarztes (nicht grundsätzlich aber gegen die Fachdisziplin) oder aber mit dem Hinweis auf eine allenfalls bestehende Transportunfähigkeit. Jedoch hat die Arbeitgeberin sicherzustellen, dass berechtigte Einwendungen beseitigt werden.
Mit Blick auf die Beweiskraft der vertrauensärztlichen Untersuchung und damit zur Vermeidung von zeitverzögernden Einreden ist zu empfehlen, dass die Aufforderung zur vertrauensärztlichen Untersuchung schriftlich erfolgt und einen bestimmten Inhalt aufweist, wie z.B. den Hintergrund und Zweck der Untersuchung und die Information über die Kostentragung. Idealerweise würden dem Mitarbeitenden zwei Fachpersonen unterschiedlichen Geschlechts vorgeschlagen.
Die vertrauensärztliche Untersuchung erfolgt auf Kosten der Arbeitgeberin. Darüber hinaus empfiehlt es sich, einen Vertrauensarzt in der Nähe des Wohnorts des Mitarbeitenden für die Untersuchung zu beauftragen, da der Weg zum Vertrauensarzt als eine von der Arbeitgeberin zu tragende Auslage gilt.
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Grundsätzlich kann die Arbeitgeberin die Kosten wie auch den bezahlten Lohn vom Mitarbeitenden zurückfordern, wenn eine Arbeitsverhinderung als nicht bestehend beurteilt wird.
Der Informationsanspruch der Arbeitgeberin wird durch den arbeitsvertraglichen Datenschutz beschränkt. Demzufolge sind der Arbeitgeberin die Ergebnisse der Untersuchung nur in dem Umfang mitzuteilen, als sie das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrags erforderlich sind. Dazu gehören der Grad und die vermutete Dauer der Arbeitsunfähigkeit, die Art der Arbeitsunfähigkeit (Krankheit, Unfall, Schwangerschaft/Mutterschaft), alternative Einsatzmöglichkeiten, der Kausalzusammenhang mit einer früheren Krankheit oder einem früheren Unfall oder die Frage, ob die Beschäftigung des Mitarbeitenden andere Mitarbeitende im Betrieb gefährdet.
Der beigezogene Vertrauensarzt untersteht dem ärztlichen Berufsgeheimnis, von dem er gestützt auf eine Entbindungserklärung des Mitarbeitenden befreit werden kann. Dies kann auch stillschweigend erfolgen. Dafür ist es erforderlich, dass dem Mitarbeitenden der Untersuchungszweck erkennbar war, welcher ihm durch die Arbeitgeberin im Rahmen der Aufforderung zur vertrauensärztlichen Untersuchung mitgeteilt wurde.
Von Bedeutung ist die Frage, ob die geltend gemachte Arbeitsunfähigkeit sog. arbeitsplatzbezogen oder allgemeiner Art ist, sprich, ob die Arbeitsverhinderung des Mitarbeitenden nur in Bezug auf die konkrete Stelle besteht. Gemäss Praxis gilt der in Art. 336c Abs. 1 lit. b OR statuierte Sperrfristenschutz bei einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit nicht. Das bedeutet, dass bei einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit eine Kündigung weiterhin möglich ist.
Die Arbeitgeberin darf bei einer unberechtigten Verweigerung durch den Mitarbeitenden (mindestens vorerst bis zu einer gerichtlichen Überprüfung) die Lohnfortzahlungspflicht einstellen. Diese Konsequenz ist jedoch vorgängig anzudrohen, was in der schriftlichen Aufforderung zur vertrauensärztlichen Untersuchung erfolgen kann.
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Problematisch sind jene Fälle, in welchen sich das Resultat des Arztes des Mitarbeitenden und dasjenige des Vertrauensarztes widersprechen. In einer solchen Situation empfiehlt es sich vorerst, den Mitarbeitenden zur Stellungnahme zur widersprechenden vertrauensärztlichen Beurteilung aufzufordern.
Im Streitfall stellt das Gericht auf das qualifiziertere Arztzeugnis ab. Dabei werden im Rahmen der Beweiswürdigung des Gerichtes die Art und Weise des Zustandekommens der Befunde, deren allgemeine Qualität und Aussagekraft, das spezifische Fachwissen der Ärzte sowie die Häufigkeit, Tiefe und Zeitnähe der Untersuchungen berücksichtigt.
IV-Gutachten
Wenn jemand ein Gesuch um IV-Leistungen einreicht, muss die IV-Stelle abklären, ob ein Anspruch auf bestimmte Leistungen besteht. Dabei steht die Frage im Zentrum, ob und wie stark ein gesundheitliches Problem die Erwerbsfähigkeit der versicherten Person einschränkt.
Sofern die IV-Stelle auf Grund der gesammelten medizinischen Auskünfte den medizinischen Sachverhalt nicht beurteilen kann, weil der Fall komplex ist oder weil sich ganz spezifische Fragen stellen, kann sie medizinische Gutachten in Auftrag geben. Mit dem Gutachtensauftrag formuliert die IV-Stelle die Fragen, auf welche sie von den medizinischen Sachverständigen Antworten erwartet. Das Gutachten kann eine wichtige Rolle spielen beim Leistungsentscheid der IV-Stelle.
Die Gutachterinnen und Gutachter sind Fachärztinnen und -ärzte mit den entsprechenden Fachtiteln, müssen bestimmte Anforderungen an die Ausbildung erfüllen und müssen eine Bewilligung des zuständigen Kantons zur Berufsausübung besitzen.
Benötigt die IV-Stelle eine Begutachtung aus der Sicht nur einer medizinischen Fachdisziplin, so kann sie einen entsprechenden Auftrag für ein sogenanntes monodisziplinäres Gutachten direkt vergeben. Braucht es eine Begutachtung aus der Sicht von zwei Fachdisziplinen, so spricht man von bidisziplinären Gutachten. Ist eine Begutachtung von drei oder mehr Fachdisziplinen notwendig, wobei die Allgemeine Innere Medizin immer vertreten ist, so spricht man von polydisziplinären Gutachten. In den beiden letzten Fällen vergibt die IV-Stelle den Auftrag nach dem Zufallsprinzip über eine Verteilplattform an Gutachterstellen oder Sachverständigen-Zweierteams, die mit der IV (vertreten durch das BSV) eine Vereinbarung abgeschlossen haben.
Ablauf eines IV-Gutachtens
- Auswahl des Gutachters: Zunächst wählt der RAD einen Gutachter aus und teilt das mit. Patienten können ihn dann aus persönlichen Gründen oder wegen fehlender Qualifikation ablehnen. In diesem Fall ordnet die IV ein Einigungsverfahren an. Wenn es scheitert, entscheidet die IV.
 - Vorbereitung: Machen Sie sich Gedanken, bereiten Sie sich mental auf den Termin vor. Führen Sie ggf. ein Schmerztagebuch. Fragen Sie Freunde und Bekannte, allenfalls Ihren Hausarzt: Wie haben Sie sich aus deren Sicht verändert? Machen Sie sich Notizen, nehmen Sie diese an die Termine beim Gutachter mit.
 - Fragen der IV: Die IV-Stelle will vom Gutachter wissen, wie es um Ihre Gesundheit steht und welche Tätigkeiten noch möglich sind. Sie erhalten diesen Fragenkatalog zusammen mit der Mitteilung, welcher Gutachter gewählt wurde. Sie können zusätzliche Fragen stellen. Besprechen Sie sie vorgängig mit dem behandelnden Arzt.
 - Der Termin: Seien Sie Sie selbst. Antworten Sie offen und ehrlich. Sagen Sie es klar, wenn die Untersuchung Beschwerden verursacht oder Bewegungen unmöglich sind. Fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstehen. Kooperieren Sie. Informieren Sie den Gutachter über alle Umstände, auch wenn er nicht ausdrücklich danach fragt. Schauen Sie sich am Ende nochmals Ihre Notizen an: Haben Sie alle wichtigen Punkte mitgeteilt?
 - Das Gutachten: Der Gutachter hält fest, welche Vorakten er gesehen hat. Er fasst zusammen, was bisher zur Krankheit festgestellt wurde und welche Schlüsse er aus dem Gespräch zieht. Allenfalls fügt er Resultate von Untersuchungen bei. Das Gutachten muss rechtlichen und medizinischen Ansprüchen genügen, aber auch für Nichtmediziner les- und nachvollziehbar sein. Nach spätestens 90 Tagen sollte es erstellt sein.
 - Nach dem Gutachten: Lesen Sie das Gutachten durch. Falls etwas für Sie nicht stimmt: Melden Sie das so rasch wie möglich der IV-Stelle. Teilen Sie es auch mit, falls Sie sich während der Begutachtung unwohl fühlten oder Sie Unzulänglichkeiten beim Gutachter festgestellt haben.
 
Kosten
Die Kosten für das Gutachten und allfällige Reisespesen übernimmt die IV. Auch die Auslagen für eine Begleitperson werden übernommen, wenn sie aus medizinischem Anlass dabei ist.
Fahreignung
Aufgrund der geltenden Gesetzeslage und Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen wir den Führerausweis bei ernsthaften Zweifeln an der Fahreignung in der Regel vorsorglich für alle Kategorien entziehen, bis das Ergebnis der Begutachtung vorliegt.
Geht es um medizinische Fragestellungen oder die Frage, ob ein verkehrsrelevanter Missbrauch von Alkohol oder Betäubungsmitteln vorliegt, muss die betroffene Person sich bei einer Ärztin oder einem Arzt begutachten lassen, die/der die notwendige verkehrsmedizinische Anerkennungsstufe hat.
Geht es um die Frage, ob eine Person charakterlich geeignet ist, Motorfahrzeuge zu fahren, muss sich die betroffene Person bei einer anerkannten Verkehrspsychologin oder einem anerkannten Verkehrspsychologen begutachten lassen. Ausserdem kann eine verkehrspsychologische Abklärung notwendig werden, wenn die Hirnleistungsfunktionen überprüft werden müssen.
Verhandlungsfähigkeit im Strafverfahren
Ob Verhandlungsfähigkeit vorliegt oder nicht, ist keine Sachverhalts-, sondern eine vom Richter - in der Regel gestützt auf ein ärztliches Gutachten - zu beantwortende Rechtsfrage. An die Verhandlungsfähigkeit dürfen keine hohen Anforderungen gestellt werden.
Es genügt, wenn er körperlich und geistig in der Lage ist, der Verhandlung zu folgen und - allenfalls durch seinen Verteidiger - seine Verfahrensrechte auszuüben und seine Verfahrenspflichten zu erfüllen. Diese Voraussetzungen können auch erfüllt sein, wenn der Angeklagte weder handlungs- noch urteilsfähig ist.
Im Zweifelsfall ist der Angeklagte vorzuladen, sodass das erkennende Gericht gestützt auf eigene Wahrnehmung an der Hauptverhandlung über das weitere Vorgehen befinden kann. Entscheidend ist in jedem Fall, dass die Defizite des Angeklagten durch eine gehörige Verteidigung wettgemacht werden.
Weitere Aspekte
- Fürsorgerische Unterbringung (FU): Die FU ist die intensivste Massnahme des Erwachsenenschutzrechtes und darf erst angewendet werden, wenn mildere Massnahmen ausscheiden.
 - Alkohol- und Drogenabstinenz: Im Vorfeld zur Untersuchung wird empfohlen, eine Alkohol- und/oder Drogen-/Medikamentenabstinenz einzuhalten.
 
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