Eigentlich heißt es ja Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht. Die aktuelle Version findet ihr z.B. beim Bundesjustizministerium.
Mindestanforderungen und Qualitätsstandards
Diese Mindestanforderungen sind keine verbindlichen Rechtskategorien. Sie sind kein Gesetz. Trotzdem belegen diese Standards, wie ein Gutachten auszusehen hat, um den fachlichen Anforderungen an ein familienpsychologisches Gutachten zu entsprechen.
Neben den Mindestanforderungen gibt es auch noch Qualitätsstandards für psychologische Gutachten, die weitgehend ähnliche Inhalte aufweisen.
Die Mindestanforderungen und die Qualitätsstandards zeigen beide auf, wie ein prüffähiges und wissenschaftlich akkurates Gutachten auszusehen hat.
Was ist Prüffähigkeit bei Mindestanforderungen Sachverständigengutachten?
Prüffähigkeit ist ein althergebrachter Rechtsbegriff. Jede Rechnung muss prüffähig sein, jede Nebenkostenabrechnung, jeder Bescheid. Das meint, dass die Grundlagen erkennbar sind aus sich selbst heraus, dass man nachvollziehen muss wie der Aussteller zu einem Ergebnis kommt und so weiter. Leider werden diese Aspekte im Familienrecht einfach über Bord geworfen und „nur“ einem Ergebnis vertraut.
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Was sind nun die Mindestanforderungen Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht?
Das Gutachten muss wissenschaftlich methodisch sein (S. 6 der Mindestanforderungen) und nachvollziehbar und transparent (S. 7). Insbesondere letzteres ist wichtig: Denn nur wenn ein nachvollziehbares Gutachten vorliegt (prüffähig!), kann das Gericht und Euer Anwalt seinen Job machen.
Eine wichtige Rolle spielen hier die Anknüpfungstatsachen, die das Gericht zu klären hat.
Rechtliche und psychologische Fragestellungen
Der erste und wichtigste Schritt ist es, die rechtliche Fragestellung (der Beweisbeschluss) in eine psychologische Fragestellung zu übersetzen. Nur wenn dies akkurat erfolgt, kann der Gutachter die Beweisfrage beantworten. Hierbei muss auch darauf geachtet werden, dass der Sachverständige nicht die Rechtsfragen beantwortet!
Sachkunde
Der Gutachter muss seine Sachkunde darlegen. Das impliziert eben eine klare Aussage, warum er in der Lage ist, dieses Gutachten zu schreiben. Auch dies muss ggf. prüfbar sein durch Angaben im Gutachten (Diplom, Approbation o.a.) Auch sollte die Erfahrung erkennbar sein.
Tipp: Googled im Internet nach dem / der Gutachter(in)!
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Fortbildung
Ein Gutachter muss sich ebenso wie die Juristen fortbilden, um auch die rechtlichen Rahmenbedingungen zu kennen. Diese können sich ja ändern.
Welche einzelnen Schritte muss der Gutachter in welcher Reihenfolge prüfen?
Hierzu halten die Anforderungen ab S. 11 folgendes vor:
- Auftragsannahme
 - Aktenanalyse
 - Fragestellung formulieren
 - Untersuchungsplanung
 - Durchführung der Untersuchung
 - Interpretation der Untersuchung und Ergebnisse
 - Antwort auf die Frage des Gutachters
 
Bei der Auftragsannahme muss geprüft werden, ob man den Fall fachlich und ethisch vertreten kann.
Die Aktenanalyse erfolgt am Anfang. Ich halte es aber für systematisch falsch, die Akte vor Klärung der Fragestellung zu analysieren. Denn wonach analysiere ich ohne eine konkrete Fragestellung?
Die Untersuchungsplanung muss vor Beginn der Untersuchung erfolgen, und zwar nachvollziehbar unter Benennung der Methoden und Begründung der Auswahl.
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Die Durchführung der Untersuchung muss wieder transparent sein und den Eltern und Kindern alles erklären.
Die Interpretation muss prüffähig sein und mit Quellen belegt sein.
Schriftliche Gutachten: Anforderungen formeller Art
Formelle Anforderungen findet ihr auf S. 13 der Mindestanforderungen. Dies sind:
- Seitennummerierung
 - Aktenzeichen des Gerichtes
 - Nennung Auftraggeber
 - Nennung der eigenen Qualifikation
 - Nennung des Beweisbeschlusses
 - Nennung der Methoden
 - Nennung der Untersuchungstermine mit Zeit, Datum und Ort und Dauer
 - Befundquellen
 - Literatur
 - Unterschrift unter das Gutachten durch den Sachverständigen
 
Was der Richter zu prüfen hat
Die Mindestanforderungen erhalten auf S. 22 ff. Prüfungen, die der Richter durchzuführen hat (als Fragen formuliert, weil kein Gesetz). Ohne diese Unterlagen ist nicht prüfbar, ob die Ergebnisse richtig in das Gutachten aufgenommen sind und richtig ausgewertet sind.
FAQ zu Mindestanforderungen Sachverständigengutachten
Muss ein familienpsychologisches Gutachten wissenschaftlich sein?
Ja. Ein solches Gutachten ist eine wissenschaftliche Leistung, die nach anerkannten Methoden Aussagen zu konkreten Fragen stellt. Sie ist daher eine wissenschaftliche Leistung, die den selben wissenschaftlichen Anforderungen genügen muss.
Wie erfolgt die Aktenanalyse?
Die Gerichtsakte muss systematisch analysiert werden.
Nach welchen Regeln erfolgt eine Exploration und Verhaltensbeobachtung?
Sie erfolgt nach einem systematischen Gesprächsleitfaden oder einem erfassten und ausgewerteten Kategoriensystem.
Muss ein Gutachten ein Literaturverzeichnis haben?
Ein familienpsychologisches Gutachten muss ein Litertaturverzeichnis haben. Damit muss belegt sein, dass verschiedene aktuelle wissenschaftliche Quellen genutzt wurden.
Muss das Gutachten konkrete Zitate mit Quellenangaben versehen oder reicht ein Literaturverzeichnis?
Nur wenn eine konkrete Theorie, eine konkrete Interpretation oder ein Schluss des Gutachters mit einer konkreten Quellenangabe versehen ist, ist das Gutachten prüffähig. Ein interessierter Richter muss nämlich die Chance haben, auch hier zu prüfen ob die Aussagen des Sachverständigen stimmen.
Welche psychologischen Tests erfüllen die Gütekriterien?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Hierzu gibt es Fachliteratur.
Muss der Richter die Einhaltung der Mindestanforderungen prüfen?
Ja, siehe S. 22f. der Mindestanforderungen. Nicht prüffähige Gutachten sind unverwertbar.
Formelle Aspekte eines psychologischen Gutachtens in Kindschaftssachen
- Seitennummerierung des Gutachtens
 - Nennung des Aktenzeichens
 - Nennung des Sachverständigen samt seiner wesentlichen relevanten beruflichen Abschlüsse und Zusatzqualifikationen
 - Nennung des Auftraggebers
 - Nennung der wörtlichen Fragestellung
 - Nennung der eingesetzten Methoden
 - Nennung der Untersuchungstermine mit Datum, Ort und Dauer
 
Die Quellen für den Befund, also die wesentlichen Untersuchungsergebnisse und Unterlagen oder Auskünfte dritter Personen, sind im Einzelnen darzulegen. Dabei sind Datengrundlage und Interpretation zu trennen.
- Nennung sämtlicher weiterer Informationsquellen wie beispielsweise Unterlagen und Auskünfte Dritter.
 - Nennung von Hilfskräften bei Tätigkeiten von nicht untergeordneter Bedeutung für die Begutachtung. Für Dritte muss ersichtlich sein, welcher Untersucher bei welchen Teilen des Gutachtens mitgewirkt hat.
 
Das Gutachten muss von dem beauftragten Sachverständigen persönlich und mit Datum versehen unterschrieben sein.
Literatur sollte angeführt werden, soweit im Gutachten darauf explizit Bezug genommen wird.
Die Inhaltlich notwendigen Schritte des Gutachtens
Auch diese ergeben sich aus den Mindestanforderungen:
- Auftragsannahme (u. a. Prüfung der eigenen Sachkunde, Neutralität, zeitliche Verfügbarkeit)
 - Aktenanalyse
 - Ggf. Formulierung psychologischer/klinischer Fragen ausgehend von der gerichtlichen Fragestellung
 - Untersuchungsplanung nebst Kontaktaufnahme
 - Durchführung der Untersuchungen: Erläuterungen, Exploration, Diagnostik, Hausbesuche, Interaktionsbeobachtung
 - Interpretationen und Beurteilung der Ergebnisse
 - Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung
 
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