ADHS und Zuspätkommen: Ursachen und Zusammenhänge

ADHS tritt in der Regel erstmals im Kindesalter auf. Die Symptome können die Betroffenen aber ein Leben lang begleiten und verschiedenste Situationen im Alltag beeinflussen. Noch nie haben Ärzte in der Schweiz mehr Ritalin oder ähnliche Medikamente verschrieben. Vor allem bei Erwachsenen wird die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) immer häufiger diagnostiziert.

Was ist ADHS?

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurobiologische Störung, die durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität gekennzeichnet ist. Sie beginnt in der Kindheit und kann bis ins Erwachsenenalter bestehen. Die genaue Ursache ist noch nicht vollständig geklärt, jedoch spielen genetische sowie Umweltfaktoren eine Rolle.

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung wird in zwei Klassifizierungssystemen beschrieben: im „Diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen“ (DSM-5) und in der „Internationalen Klassifikation der Krankheiten“ (ICD-11). Nach dem DSM-5 werden jeweils neun Symptome den Bereichen Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität zugeordnet. Dabei müssen für eine Diagnose bei Kindern bis 16 Jahren mindestens sechs Symptome vorhanden sein. Bei Kindern über 17 Jahren sowie bei Erwachsenen müssen mindestens fünf Symptome zutreffen, um ADHS diagnostizieren zu können. Der Beginn der Symptome soll vor dem zwölften Lebensjahr liegen.

Die ICD-11 orientiert sich im Vergleich zu ihrem Vorgänger, der ICD-10, stärker an den Kriterien des DSM-5. Der Beginn der Erkrankung soll nach ICD-11 in der frühen bis mittleren Kindheit liegen, was in etwa dem Beginn nach DSM-5 entspricht. Die Symptome müssen für eine Diagnose seit mindestens sechs Monaten vorhanden sein und die Betroffenen klinisch bedeutsam im sozialen, schulischen oder beruflichen Bereich einschränken. Ausserdem müssen diese in zwei oder mehr Lebensbereichen aufgetreten sein.

Unterschied zwischen ADS und ADHS

ADHS steht für die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Da manche Betroffenen, insbesondere Frauen und Mädchen, keine Symptome aus dem Bereich der Hyperaktivität zeigen, verwenden einige Fachleute den Begriff ADS, der eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung ohne Hyperaktivitätssymptomatik beschreibt.

Typischerweise äussert sich die Unaufmerksamkeit darin, dass die Betroffenen Schwierigkeiten haben, begonnene Aufgaben zu beenden. Oft passieren ihnen auch Flüchtigkeitsfehler, da sie Schwierigkeiten haben, sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren. Widersprüchlich erscheint hier der sogenannte Hyperfokus, der bei Personen mit ADHS oft beschrieben wird. Dabei können sie sich über längere Zeit auf eine Aktivität so konzentrieren, dass sie teilweise die Zeit vergessen, ihre eigenen Bedürfnisse ignorieren und nur schwer die Aufgabe wechseln können.

Von der Hyperaktivität sind Jungen und Männer dabei typischerweise stärker betroffen als Mädchen und Frauen. Bei Kindern zeigt sich dies oft als körperliche Unruhe in Form von Zappeln und Schwierigkeiten, zum Beispiel am Esstisch ruhig zu sitzen. Auch spielen diese Kinder oft ungern ruhig und ziehen wildere Spiele wie Laufen oder Klettern vor. Bei Jugendlichen und Erwachsenen äussern sich die Symptome aus dem Bereich Hyperaktivität etwas subtiler.

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Die Impulsivität kann vor allem in sozialen Situationen wie dem Schul- oder Arbeitsalltag auffallen. Häufig platzen die Betroffenen mit einer Antwort heraus, ohne lange nachzudenken, oder unterbrechen Gespräche. Auch Erwachsene können von ADHS betroffen sein, allerdings zeigt sich bei ihnen oftmals eine andere Symptomkonstellation als im Kindesalter. Die meisten erwachsenen Patienten zeigen zwar weiterhin Symptome der Unaufmerksamkeit, die Hyperaktivität spielt aber in der Regel eine kleinere Rolle.

Für die Betroffenen entsteht der Leidensdruck auch dadurch, dass sie ihre Ziele im Berufs- oder Privatleben oft nicht erreichen können, da es ihnen in Teilen schwerfällt, planvoll vorzugehen oder Termine und Absprachen einzuhalten. Typisch sind bei Erwachsenen auch Desorganisation, da sie Schwierigkeiten damit haben, ihre Umwelt zu strukturieren. Dies kann sich dahingehend äussern, dass sie kein adäquates Zeitgefühl haben und häufig zu spät kommen. Wenn mehrere Aufgaben auf einmal zu erledigen sind, fällt es ihnen schwer, diese zu koordinieren, unangenehme Aufgaben werden oft auf später verschoben und auch Ordnung im Haushalt zu halten kann Mühe bereiten. Häufig werden Gegenstände wie Schlüssel oder Brille vergessen.

Auch auf der emotionalen Ebene haben viele Betroffene noch als Erwachsene Schwierigkeiten. Einige leiden unter starken Stimmungsschwankungen, die sich negativ auf die Gestaltung von Beziehungen oder auch den Arbeitsalltag auswirken können. Als Nebendiagnose liegt bei einigen Betroffenen eine Depression vor. Eine Stressintoleranz kann ebenfalls auftreten. Durch die beschriebenen Symptome haben viele erwachsene Patienten auch Schwierigkeiten im sozialen Bereich und mit ihrem Selbstwert. Durch die Reaktionen ihres Umfelds haben viele das Gefühl, anders zu sein und nicht dazuzugehören.

Bei Frauen bleibt ADHS oft länger unentdeckt oder wird gar nicht erst diagnostiziert. Die Symptome bei ihnen sind oft unauffälliger und werden gerade bei Mädchen im Schulumfeld als weniger störend wahrgenommen. Sie sind eher verträumt, handeln und denken chaotisch und haben im Zusammenhang damit Schwierigkeiten, planvoll und strukturiert zu handeln. Da viele Studien mehrheitlich mit männlichen ADHS-Patienten durchgeführt wurden, ist unklar, inwiefern deren Ergebnisse auf betroffene Mädchen und Frauen übertragen werden können.

Es gibt darüber hinaus Untersuchungen, die suggerieren, dass Patienten mit ADHS im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe ein grösseres Risiko haben, Teilnehmer von Verkehrsunfällen zu werden. Kinder fallen neben den Kernsymptomen oftmals aufgrund von schulischen oder sozialen Problemen auf. Sie haben häufiger Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu kontrollieren. Viele zeigen neben den klassischen Symptomen auch aggressives Verhalten, geraten in Konflikte mit Mitschülern und hören nicht auf Erwachsene.

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Ursachen für ADHS

Es wird davon ausgegangen, dass bei der Entstehung von ADHS verschiedene Faktoren zusammenspielen. Bis zu 80 Prozent der Ursache scheinen dabei die Gene auszumachen. Darüber hinaus spielen vermutlich auch neurobiologische Faktoren mit Veränderungen in bestimmten Hirnarealen, wie dem Kleinhirn und dem Frontallappen, der für Kontrolle und Steuerung des eigenen Verhaltens zuständig ist, eine Rolle.

Als Ursachen von ADS/ADHS werden verschiedene Faktoren in Betracht gezogen. Aktuell gеht man davon aus, dass erbliche Vеranlagungen teilweise für die Symptomatik vеrantwortlich sind. Umweltfaktoren und lebensgeschichtliche Belastungen, Krankheiten, Nebenwirkungen von Medikamenten während der sehr sensiblen Phasen der Gehirnentwicklung in Schwangerschaft und/oder den ersten drei Lebensjahren können Probleme in der Entwicklung des zentralen Nervensystems auslösen, die später zu ADS/ADHS führen.

Viele Gruppen von Chemikalien, denen unsere Kinder in zunehmendem Masse ausgesetzt sind, wie z. B. Schwermetalle (deren Belastung Sie leicht überprüfen können), Lösungsmittel, Pestizide und andere organische Stoffe, haben ebenfalls neurotoxische Eigenschaften, und Kinder reagieren darauf viel empfindlicher als Erwachsene. Einige Neurotoxine wirken sich deutlich auf die Intelligenz, die sprachlichen Fähigkeiten und die Aufmerksamkeit aus, während sich andere im emotionalen oder sozialen Verhalten bemerkbar machen.

Nicht selten steckt eine Stoffwechselstörung hinter den Symptomen von ADS/ADHS. Diese kann mit einem Labortest festgestellt und gegebenenfalls behandelt werden. Auch Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind ein möglicher Auslöser für ADS/ADHS. Darüber hinaus tragen negative soziale Einflüsse und Erziehungsstile, die eine unsichere Bindung fördern, sowie wechselnde Bezugspersonen zur Entwicklung der Verhaltensstörung bei. Gleiches gilt für Stress im Alltag, Leistungsdruck, Bewegungsmangel, Reizüberflutung, allgemeine Unsicherheit, Unwahrhaftigkeit, Unzuverlässigkeit, fehlende liebevolle Beständigkeit und Werteverlust.

Diagnose von ADHS

Diagnostiziert wird ADHS anhand der ICD-10/11 und/oder der DSM-5. Um zu untersuchen, welche Symptomatik bei dem Patienten zutrifft, werden spezielle psychologische Testinstrumente genutzt. Bei Kindern spielt auch die Befragung der Eltern und Lehrer eine wichtige Rolle. Seit 2023 gibt es den ADHS-Test 6-12, der speziell für Kinder von sechs bis zwölf Jahren erstellt wurde.

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Die Diagnose wird gestellt, wenn eine definierte Anzahl von charakteristischen Symptomen vorhanden ist und beim Patienten ein grosser Leidensdruck besteht. Dabei orientieren sich die Ärzte an den Kriterien der internationalen diagnostischen Systeme ICD-10 und DSM-V. Denn derzeit ist es unmöglich, die Störung mithilfe eines Bluttests oder einer Hirnfunktionsmessung zu diagnostizieren.

Um die Symptome zu erfassen, werden international anerkannte Fragebögen verwendet. Wichtig ist, dass diese nicht nur vom Patienten selber, sondern auch von Angehörigen des Patienten ausgefüllt werden. Denn oft erkennen diese Verhaltensweisen, die dem Betroffenen selber nicht bewusst sind. Bei Erwachsenen wird versucht zu eruieren, ob die Symptomatik bereits im Kindesalter vorhanden war. Ist dies nicht der Fall, müssen andere Ursachen für die Symptomatik in Betracht gezogen werden.

Behandlung von ADHS

Die Entscheidung für oder gegen eine ADHS-Behandlungsmethode wird von den Patienten nach sorgfältiger Abwägung gemeinsam mit den behandelnden Psychiatern, Psychotherapeuten und Hausärzten gefällt. In der Therapie der Störung gibt es mehrere Ansätze. Gerade bei leichten Fällen profitieren viele Patienten von einer Psychotherapie, beispielsweise einer Verhaltenstherapie. Darüber hinaus gibt es Medikamente, die die Symptome der Erkrankung lindern können, und vor allem bei mittelgradigen bis schweren Störungen zum Einsatz kommen. Bei der medikamentösen Therapie werden primär sogenannte Stimulanzien wie Methylphenidat (Ritalin) eingesetzt.

Die Behandlung von ADHS ist abhängig vom Alter der Betroffenen und vom Schweregrad der Symptome. Bei stark ausgeprägter ADHS gibt es nach heutigem Wissensstand keine Alternative zu Medikamenten. Sie ermöglichen oft erst die therapeutische Arbeit. Medikamente wie Ritalin (Methylphenidat) führen dazu, dass im Gehirn mehr von dem Botenstoff Dopamin ausgeschüttet wird. Dopamin hat eine stimulierende Wirkung und steigert dadurch auch die Konzentrationsfähigkeit.

Die kognitive Verhaltenstherapie ist der zweite Pfeiler der Behandlung. Hier werden Strategien im Umgang mit ADHS erlernt. Die Therapie beschränkt sich aber gerade bei Erwachsenen oft nicht nur darauf. Besonders wenn die Entwicklungsstörung erst später im Leben erkannt wird und diese das Leben von Betroffenen massgeblich beeinflusst hat, können Ängste und ein geringes Selbstwertgefühl die Folge sein. In diesem Fall versuchen Therapeuten beispielsweise die negativen Denkmuster der Betroffenen zu verändern.

Die genetisch bedingte Entwicklungsstörung ist nicht heilbar. Betroffene müssen davon ausgehen, dass sie diese Eigenheit das ganze Leben lang begleiten wird. Doch ist die Entwicklungsstörung erst erkannt, kann ihr Einfluss auf das Leben verringert werden. Denn Betroffene können lernen, die Symptome in Schach zu halten: durch Verhaltensstrategien und gegebenenfalls durch Medikamente.

In meiner Praxis habe ich sehr gute Erfahrungen mit der Behandlung von ADS / ADHS-Patienten.

Medikamente und ADHS

Medikamente zur Behandlung von ADHS machen nicht physisch abhängig, wenn sie in der verschriebenen Menge eingenommen werden. Sie sind auch nicht Wegbereiter für den Missbrauch anderer Substanzen. Beispielsweise zeigen neurophysiologische Studien, dass Medikamente wie Ritalin nicht zu einer erhöhten Menge von Dopamin im Suchtzentrum des Gehirns, dem Nucleus accumbens, führen. Auch eine euphorisierende Wirkung der Medikamente bleibt aus.

Laut Ärzten gibt es aber Patienten, die von einem subjektiven «Bumerang-Effekt» sprechen - also eine kurzfristige stärkere Wahrnehmung der Symptome, wenn die Wirkung des Medikaments nachlässt. Es ist wichtig, dass der verschreibende Arzt abklärt, ob die Gefahr besteht, dass ein erwachsener Patient die Substanz missbraucht, also nicht gemäss Rezept und in höherer Dosis zu sich nehmen könnte.

Ritalin führt auch bei Gesunden zu mehr Dopamin im Stirnhirn. In Experimenten wurde als Folge davon auch eine bessere Konzentrationsfähigkeit gemessen. Doch wer bereits gut in der Lage ist, seine Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, der dürfte den Effekt kaum spüren. Wissenschafter sprechen von einem «Deckeneffekt»; ab einem gewissen Ausmass von Konzentrationsfähigkeit ist eine Steigerung schwierig und im Alltag kaum noch wahrnehmbar.

Gemäss einer Studie der amerikanischen Gesundheitsbehörden werden die Medikamente zuweilen auch verschrieben, wenn die diagnostischen Kriterien für die Entwicklungsstörung nicht gegeben sind. Doch interessanterweise zeigen weitere Daten aus den USA auch, dass von den verschriebenen Medikamenten nur 20 Prozent tatsächlich eingenommen werden. Möglich ist, dass, wer Medikamente mit dem Ziel der Leistungssteigerung einnimmt, nach kurzer Zeit wieder darauf verzichtet.

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