Was ist ADHS?
ADHS ist eine der häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Symptome sind Unaufmerksamkeit, ausgeprägte motorische Aktivität und erhöhte Impulsivität. Sie können bei den Betroffenen sehr unterschiedlich sein, häufig führen sie jedoch zu deutlichen sozialen, schulischen bzw. beruflichen Beeinträchtigungen.Bei Betroffenen, die v.a. unter Aufmerksamkeitsdefiziten leiden, motorisch aber ruhig sind, spricht man auch von ‘ADS’ (Aufmerksamkeit-Defizit-Störung). Gerade bei ‘ADS’ wird die Diagnose häufig erst spät gestellt, da sie nicht durch Verhaltensstörungen auffallen. Gleichzeitig leiden die Betroffenen häufig unter innerer Unruhe, Ungeduld und Stimmungsschwankungen, so dass die diagnostischen Kriterien für eine ADHS auch ohne typische motorische Hyperaktivität erfüllt sind.Ging man früher davon aus, dass sich ADHS “auswächst”, so gilt heute als erwiesen, dass Defizite auch bei rund 50% der Betroffenen im Erwachsenenalter weiterbestehen. Bei diesen wird die Diagnose häufig nicht gestellt und damit auch nicht behandelt. Häufig leiden sie an Stimmungsschwankungen, Rastlosigkeit, chronischer Unpünktlichkeit, Vergesslichkeit, mangelndem Selbstwertgefühl und Beziehungsschwierigkeiten.Weltweit sind rund 3.4 % der Bevölkerung an ADHS erkrankt.Ursachen von ADHS
Die Ursachen der Funktionsstörung des Gehirns, die zu ADHS führen, sind nicht abschließend geklärt. Aktuell geht man davon aus, dass erbliche Veranlagungen zu ca. 80% für die Symptomatik verantwortlich sind. Umweltfaktoren wie Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen und lebensgeschichtliche Belastungen beeinflussen die Ausprägung und Schwere der Symptomatik. Als Ursache gelten genetische Faktoren und ein Ungleichgewicht der Botenstoffe (Neurotransmitter). Umwelteinflüsse können dabei verstärkend wirken und es kommt zu einem Wechselspiel. ADHS geht von einer Fehlfunktion zentraler Neurotransmittersysteme aus. Das bedeutet, dass im Zwischenraum zweier Nervenzellen nicht ausreichend Botenstoffe zur Verfügung stehen. Diese Unterversorgung führt zu einer Dysfunktion des Gehirns. Diese Fehlfunktion betrifft jene Bereiche des Gehirns, wo sich das Aufmerksamkeitssystem befindet. Ungünstige Umgebungsbedingungen können das Risiko erhöhen, an ADHS zu erkranken. Hierzu gehören perinatale Komplikationen, niedriges Geburtsgewicht, instabile Familienverhältnisse ohne Struktur, eine Belastung mit Suchtkrankheiten und weitere Faktoren.Diagnosekriterien nach ICD-10 und DSM-IV
Für ADHS unterscheiden sich die Symptomkriterien leicht zwischen den beiden bedeutendsten Diagnosesystemen, dem ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem DSM-IV der American Psychiatric Association (APA).Im ICD-10 wird ADHS als „Hyperkinetische Störung“ bezeichnet und umfasst drei Kernsymptome:* Unaufmerksamkeit* Hyperaktivität* ImpulsivitätLaut ICD-10 müssen diese Symptome über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten bestehen und in mehr als einer Umgebung (z.B. Schule und Zuhause) auftreten. Die Diagnose verlangt, dass die Symptome in einem für das Alter und Entwicklungsniveau unangemessenen Mass vorhanden sind.Das DSM-IV unterteilt ADHS in drei Subtypen:* Vorwiegend unaufmerksamer Typ* Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ* Kombinierter TypIm DSM-IV müssen mindestens sechs Symptome aus den jeweiligen Kategorien für mindestens sechs Monate bestehen und die Entwicklung beeinträchtigen. Die Symptome müssen in mindestens zwei Lebensbereichen auftreten (z.B. Zuhause und Schule/Arbeit), um die Diagnose zu rechtfertigen.Symptome im Überblick
Die Kernsymptome (Merkmale) dieser Entwicklungsstörung sind: Unaufmerksamkeit, Impulsivität und eventuell Hyper- oder Hypoaktivität. Die Symptome von ADHS unterliegen einer Entwicklung parallel zum Alter der Betroffenen. So sind Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität auch bei Erwachsenen mit ADHS die Hauptsymptome, jedoch kommt es zu gewissen Änderungen ihrer Ausprägung.Unaufmerksamkeit
Die Unaufmerksamkeit ist gekennzeichnet durch erhöhte Ablenkbarkeit und die Schwierigkeit, lange zuzuhören. Weitere Probleme sind das Einteilen der Zeit, die Selbstorganisation («Hinausschieberitis») und das Abschliessen von Aufgaben. Die Person vermeidet auch intuitiv Aufgaben mit langer Aufmerksamkeitsbelastung.Kriterien für Unaufmerksamkeit nach ICD-10:* Die Kinder sind häufig unaufmerksam gegenüber Details oder machen Sorgfaltsfehler bei den Schularbeiten und sonstigen Arbeiten und Aktivitäten.* Sie sind häufig nicht in der Lage, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben und beim Spielen aufrecht zu erhalten.* Sie hören häufig scheinbar nicht, was ihnen gesagt wird.* Sie können oft Erklärungen nicht folgen oder ihre Schularbeiten, Aufgaben oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht erfüllen (nicht wegen oppositionellen Verhaltens oder weil die Erklärungen nicht verstanden werden).* Sie sind häufig beeinträchtigt, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren.* Sie vermeiden häufig ungeliebte Arbeiten, wie Hausaufgaben, die geistiges Durchhaltevermögen erfordern.* Sie verlieren häufig Gegenstände, die für bestimmte Aufgaben wichtig sind, z. B. für Schularbeiten, Bleistifte, Bücher, Spielsachen und Werkzeuge.* Sie werden häufig von externen Stimuli abgelenkt.* Sie sind im Verlauf der alltäglichen Aktivitäten oft vergesslich.Hyperaktivität
Die Hyperaktivität zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass die Person immer in Bewegung ist und wie aufgezogen wirkt. Sie fühlt sich «unter Strom» und hat Mühe länger ruhig sitzen zu bleiben. Die motorische Unruhe der Kinder und Jugendlichen wird in den meisten Fällen ersetzt durch eine «innere Unruhe» bei der erwachsenen Person.Kriterien der Hyperaktivität nach ICD-10:* Die Kinder fuchteln häufig mit Händen und Füßen oder winden sich auf den Sitzen.* Sie verlassen ihren Platz im Klassenraum oder in anderen Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird.* Sie laufen häufig herum oder klettern exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen und Erwachsenen entspricht dem nur ein Unruhegefühl).* Sie sind häufig unnötig laut beim Spielen oder haben Schwierigkeiten bei leisen Freizeitbeschäftigungen.* Sie zeigen ein anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivitäten, die durch den sozialen Kontext oder Verbote nicht durchgreifend beeinflussbar sind.Impulsivität
Die Impulsivität kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Person andere in ihrer Beschäftigung stört oder ihnen ins Wort fällt und inhaltlich vorgreift. Sie trifft unüberlegte Entscheidungen, ohne an die Konsequenzen zu denken. Es geht der Person primär darum, etwas schnell zu erledigen; Details werden häufig übersehen. Ebenfalls hat die Impulsivität eine eigene Ausdrucksform, die sich von derjenigen im Kinder- und Jugendalter unterscheidet. Hier stehen Ungeduld und das Vermeiden von langen Veranstaltungen im Vordergrund.Kriterien der Impulsivität nach ICD-10:* Die Kinder platzen häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage beendet ist.* Sie können häufig nicht in einer Reihe warten oder warten, bis sie bei Spielen oder in Gruppensituationen an die Reihe kommen.* Sie unterbrechen und stören andere häufig (z. B. mischen sie sich ins Gespräch oder Spiel anderer ein).* Sie reden häufig exzessiv ohne angemessen auf soziale Beschränkungen zu reagieren.Für eine erfüllte Diagnose sollte ein Kind mindestens 6 Symptome der Unaufmerksamkeit zeigen, mindestens 3 Symptome der Hyperaktivität und mindestens ein Symptom der Impulsivität.Zusätzliche Symptome bei Erwachsenen
Zusätzlich zu den Hauptsymptomen der ADHS kommen im Erwachsenenalter weitere hinzu wie beispielsweise Desorganisation im Lebensalltag, schnelle Stimmungswechsel, Stressüberempfindlichkeit und Schwierigkeit bei der Temperamentskontrolle.Diagnoseverfahren
Eine neuropsychiatrische Abklärung umfasst je nach Fragestellung neben dem Gespräch auch Fragebogen zur Erfassung des Schweregrades der Symptomatik, eine neurologische Untersuchung, neuropsychologische Tests und elektrophysiologische Untersuchungen. In unserer Klinik nutzen wir für die Diagnosestellung die internationale Klassifikation der Störungen ICD-11 der WHO, nach der die Kriterien und Symptome definiert werden. Nach den neuesten Kriterien können die Symptome gleich stark ausgeprägt sein, oder es können einzelne überwiegen. In der Regel bestehen die Symptome seit der Kindheit und treten in verschiedenen Situationen auf. Zentral hierfür ist nach DSM-5 (die fünfte Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), dem amerikanischen Diagnoseinstrument, der Nachweis von 18 diagnostischen Kriterien. Zusätzlich muss nachgewiesen werden, dass einzelne Symptome von ADHS bereits vor dem 12. Lebensjahr bei der betreffenden Person vorhanden waren. Weiter sollen in mehr als einem Lebensbereich die mit ADHS verbundene Auffälligkeiten erkennbar sein.Der Beginn der Störung findet vor dem 7. Lebensjahr statt. Ausserdem sollten die Symptome seit mindestens 6 Monaten bestehen.Bestandteile der diagnostischen Untersuchung
* Befragung von Familie, Kind, Jugendlichem und anderen Bezugspersonen: Gefragt wird nach den aktuellen Verhaltensproblemen und typischen Situationen, in denen das Problemverhalten auftritt, sowie nach dem Leidensdruck aller Beteiligten. Es werden lebensgeschichtliche Ereignisse und Entwicklungsschritte in Familie, Kindergarten oder Schule des Kindes erfragt.* Ausschluss von anderen Ursachen (Differentialdiagnose): Wir prüfen, ob die ADHS-Symptome durch andere Störungen ausgelöst werden. Es kann dazu z.B. eine Untersuchung des Kindes erforderlich sein (bspw. Hör- und Sehtests), Laboruntersuchungen, selten neurologische Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren.* Abklären von Begleitstörungen: Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen treten bei Kindern mit ADHS häufiger auf.* Fragebogenverfahren: Wir setzen ADHS-Fragebogen ein, die von den Eltern, Lehrpersonen und -je nach Alter - von dem betroffenen Kind selbst ausgefüllt werden. Dabei wird systematisch nach den für ADHS relevanten Problemen inkl.* Testpsychologische Untersuchungen: Mittels Tests erfassen wir Leistungsprobleme oder auch Stärken. Meist wird zunächst ein Test zum allgemeinen Leistungsniveau (Intelligenztest) durchgeführt, der sich aus mehreren Untertests zu unterschiedlichen Fähigkeiten zusammensetzt. Weitere Testverfahren, auch am Computer.Wann ist eine Abklärung notwendig?
Eine Abklärung sollte durchgeführt werden, wenn ADHS-typische Verhaltensauffälligkeiten - Hyperaktivität, Impulsivität, und/oder Unaufmerksamkeit - im Alltag mit funktionalen Einschränkungen einhergehen.Wer führt die Abklärung durch?
Normalerweise sollte die ADHS-Diagnose durch eine speziell dafür ausgebildete Fachperson erfolgen. Das sind in erster Linie Kinder- und Jugendpsychiater*innen und -Psycholog*innen, sowie Kinderärzt*innen.Behandlungsmöglichkeiten
Primäres Ziel der Behandlung von ADHS ist die Verminderung des subjektiven Leidensdrucks sowie die Erhöhung der Lebensqualität. Hierzu gibt es diverse Therapiemöglichkeiten, welche einzeln oder auch kombiniert angewandt werden können.Psychoedukation
Die Psychoedukation teilt sich auf in Aufklärung, Beratung und Führung. Dabei werden die Patienten und gegebenenfalls ihr unmittelbares Umfeld über das Störungsbild informiert.Medikamentöse Behandlung
Wenn eine sehr deutliche Beeinträchtigung vorliegt, besteht die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung. Zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen sind in der Schweiz Medikamente mit den Wirkstoffen Methylphenidat, Dexmethylphenidat, Lisdexamfetamin und Atomoxetin zugelassen. Medikamente, insbesondere die sogenannten Stimulanzien, können hilfreich für Menschen sein, die in ihrem privaten und beruflichen Alltag stark unter den Symptomen einer AD(H)S leiden. Sie sollen dabei helfen, die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit für die Dauer der Einnahme zu verbessern. Ob Medikamente eingesetzt werden, sollte idealerweise im Rahmen einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung abgewogen werden. Es handelt sich bei den Stimulanzien um potente Wirkstoffe, die natürlich neben den erwünschten Wirkungen auch unerwünschte Nebenwirkungen haben können.Weitere Therapieansätze
Für Eltern mit einem Kind mit ADHS bis 12 Jahre besteht zudem die Möglichkeit der Teilnahme an einem störungsspezifischen Elterntraining. Es werden verschiedene Konzepte mit unterschiedlichen Schwerpunkten angeboten. Inhaltlich sind aber einige Gemeinsamkeiten wie der Umgang mit Desorganisiertheit, Verbesserung der Aufmerksamkeit oder auch Impulskontrolle vorhanden. Es geht in erster Linie darum, den Umgang mit der Symptomatik zu erlernen und zu festigen.Begleitstörungen
Die Mehrzahl von erwachsenen ADHS-Patienten leiden an Begleitstörungen wie Depression, Angst, Abhängigkeits- oder auch Schlafstörungen. Je nach Schweregrad dieser Begleiterkrankungen muss die Behandlung entsprechend priorisiert werden.ADHS im Erwachsenenalter
Es wird davon ausgegangen, dass im Kindes- und Jugendalter vorhandene ADHS-Symptome in 50 - 80 % der Fälle auch im Erwachsenenalter fortdauern. Daraus ergeben sich Prävalenzraten bei Erwachsenen zwischen 2.5 und 5 %. Die Diagnose der ADHS im Erwachsenenalter beruht auf einer klinischen Untersuchung. Es ist wichtig festzuhalten, dass aus der Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter sich nicht zwangsläufig eine Behandlungsnotwendigkeit ableitet. So wird in diesem Zusammenhang nochmals genau erörtert, ob die funktionellen Einschränkungen im Leben der Betroffenen und die damit verbundenen Problematiken im sozialen Leben eindeutig durch ADHS verursacht sind.| Aspekt | Kinder und Jugendliche | Erwachsene | 
|---|---|---|
| Motorische Unruhe | Häufig | Innere Unruhe | 
| Impulsivität | Offensichtlich (Unterbrechen, Stören) | Ungeduld, Vermeidung langer Veranstaltungen | 
| Zusätzliche Symptome | - | Desorganisation, Stimmungsschwankungen, Stressüberempfindlichkeit | 
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