Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist von grosser Bedeutung, da Menschen, die ein sinnvolles Leben führen, in verschiedenen Bereichen davon profitieren.
Die Bedeutung der Sinnfindung
Menschen, die ein sinnvolles Leben führen, sind nicht nur glücklicher (Debate et al., 1993) und engagierter bei der Arbeit (Bonebright et al., 2000), sondern haben auch insgesamt ein höheres Wohlbefinden (Bonebright et al., 2000), eine grössere Lebenszufriedenheit (Chamberlain & Zika, 1988) und Kontrolle über ihr Leben (Ryff, 1989). Darüber hinaus verringert die Sinnfindung am Arbeitsplatz Stress und Depressionen und trägt gleichzeitig zu weniger Personalfluktuation, mehr Arbeitszufriedenheit und mehr Erfüllungserfahrung bei (Chen, 2007).
In einem ersten Schritt ist es entscheidend zu verstehen und sich bewusst zu sein, wie wir die Dinge und Situationen individuell betrachten. Die gleiche Situation kann für jemanden in Ordnung sein, während sie für jemand anderen eine absolute Katastrophe ist. Sinn kann überall gefunden werden, auch wenn etwas banal erscheint: Es hängt alles von unseren Perspektiven ab.
In ähnlicher Weise kann ein und dieselbe Arbeit für eine Person eine Berufung (d.h. bei der Arbeit einen Sinn zu finden) und für eine andere Person eine Arbeit (d.h. auf der Grundlage rein finanzieller Motivation zu arbeiten) sein (Wrzesniewski et al., 1997).
Die Rolle der Stärken
Während Stärken im Allgemeinen die eigenen Talente, Fähigkeiten und Fertigkeiten sind, sind Charakterstärken moralisch und universell bewertete Fähigkeiten, die positive Auswirkungen haben, wenn wir sie zum Ausdruck bringen (The Positivity Institute, 2020). Abgesehen von Stärken im Allgemeinen und Charakterstärken gibt es Signaturstärken, die eine der grossen Entdeckungen der Positiven Psychologie (ein Überbegriff für Theorien und Forschungen darüber, was das Leben am lebenswertesten macht) sind (Seligman & Csikszentmihalyi, 2000). Es sind die Stärken, die sich sehr leicht und natürlich ausdrücken lassen.
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Wenn Menschen in der Lage sind, sie jeden Tag neu zu erkennen und zu nutzen, trägt dies dazu bei, dass sie glücklicher und weniger deprimiert sind und dass sie bei der Arbeit zufrieden sind (Niemiec, VIA Institute on Character, 2013). Ihre Konstellation von Stärken im Allgemeinen, Charakterstärken und Signaturstärken herauszufinden ist auf der Grundlage verschiedener Ansätze möglich.
Genauer gesagt, wir machen „Job Crafting“ auf der Grundlage ihrer Stärken, sei es für eine bestehende oder neue Aufgabe. Unter „Job Crafting“ versteht man arbeitsbezogene Veränderungen und Verbesserungen der Aufgaben und arbeitsbezogenen Aspekte, die zu mehreren positiven Ergebnissen beitragen, wie Arbeitszufriedenheit, Engagement, Glück, Leistung und Mobilität in neue Rollen (Wrzesniewski, 2014).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Eruierung der eigenen Stärken im Allgemeinen, Charakterstärken und Signaturstärken als Grundlage für ein sinnvolles und zielgerichtetes Leben von entscheidender Bedeutung ist. Indem wir unserer Stärken bewusst werden, können wir Sinn in unser Leben bringen und damit auch andere unterstützen.
Gerade in der aktuellen Situation wird uns bewusst, dass wir nur als Gemeinschaft stark sind und dass wir uns nur mit gemeinsamer Kraft und der eigenen Verhaltensweise gegen den Virus wehren können.
Die Psychotherapie als Weg zur Sinnfindung
Viele Patienten suchen einen Therapeuten auf, weil sie das Gefühl haben, dass ihr Leben ohne Sinn und Ziel ist. Ebenso wichtig ist sicherlich, dass Sinnfindung zur Entstehung von Werten führt. Die Suche nach dem Sinn muss ähnlich wie die Suche nach dem Glück indirekte Wege gehen. Sinn erwächst aus sinnvollem Tun. Es bedeutet ein Sicheinlassen, Verpflichtung und Übernahme von Verantwortung.
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Das existentielle Dilemma mit der hoffnungslosen Suche nach Sinn und Gewissheit spielt in der Psychotherapie eine ungeheuer wichtige Rolle. Bei all diesen Lebensängsten setzt die Psychotherapie an. Der entscheidende erste Schritt in der Therapie ist daher die Bereitschaft des Patienten, Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Lebens zu übernehmen.
Die Psychologin Tatjana Schnell betont, dass man lieber Sinn anstatt Glück im Leben suchen sollte. Wer sich nach Sinn im Leben ausrichtet, fragt: Warum tue ich, was ich tue? Was hat das für Folgen? Und wo gehöre ich hin? Wer sein Leben sinnvoll findet, erachtet es als stimmig, erlebt sich als bedeutsam und blickt über sich selbst hinaus. Die Person merkt: Es ist nicht egal, ob ich da bin, mein Dasein hat Konsequenzen.
Besonders hohe Sinnwerte haben Menschen, die Aussagen wie die folgenden tätigen: «Mir liegt etwas daran, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen.» Oder: «Ich möchte dazu beitragen, dass auch die Generationen nach uns noch ein gutes Leben haben.» Solche Statements ordnen wir der Generativität zu. Damit ist gemeint: Man kann von sich selbst absehen, tut oder erschafft etwas mit bleibendem Wert. Diese Leute erleben es zum Beispiel als sinnvoll, Kinder grosszuziehen oder die Natur zu schützen.
Studien zeigen, dass Menschen über eine höhere Sinnerfüllung berichten, wenn sie verschiedene Sinnquellen haben. Mindestens vier sollten es schon sein, am besten möglichst unterschiedliche. So lernt man verschiedene Facetten von sich kennen, erlebt sich in vielfältiger Weise als autonom, kompetent und sozial eingebunden. Ausserdem ist man besser abgesichert, wenn - aus welchen Gründen auch immer - eine Sinnquelle wegbricht.
Eine Methode zur Sinnfindung ist die Lebenslinie. Er bittet Menschen, einen horizontalen Strich zu zeichnen. Links ist die Geburt und rechts das Ende. Dann sagt er: Mach dort ein Kreuz, wo du meinst, dich derzeit zu befinden.
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Diese kleine Übung hat aber bei vielen Menschen sehr eindrucksvolle Folgen, weil sie plötzlich sehen, dass rechts eine begrenzte Strecke verbleibt, dass das Leben also nicht unendlich lange weitergeht. Das ist ein spannender erster Schritt, um sich Gedanken über den Sinn im eigenen Leben zu machen.
Wer sich den Tod bewusst macht, realisiert zumeist, wie wertvoll dieses Leben ist. Wenn ich aber aus dem «man» ein «ich» mache, stosse ich Veränderungen an. Ich will dieses Leben dann wahrscheinlich so gestalten, dass ich am Ende sagen kann: Ich bin froh darüber, wie ich gelebt habe. Und damit erhält die Sinnfrage Einzug: Was wäre denn für mich ein Leben, das ich sinnvoll fände, über das ich am Ende froh wäre?
Vorteile eines sinnerfüllten Lebens
Sinnerfüllte Menschen leben gesünder, sowohl psychisch als auch körperlich. Das kann man bis auf die Ebene der Gene, der Hormone, der Neurotransmitter nachweisen.
Es gibt zwei Gründe dafür: Wenn ich mein Leben als sinnvoll erachte, dann finde ich auch, es lohnt sich zu leben. Ich sorge eher für meine Gesundheit und gehe ab und zu zum Arzt. Wenn ich Medikamente nehmen muss, dann nehme ich sie. Ich gehe verantwortungsvoll mit Alkohol, Zigaretten, Drogen um, weil ich ja gerne leben möchte.
Wer Sinn im Leben sieht, kann besser mit Stress und Leid umgehen. Das sieht man in ganz verschiedenen Bereichen, von Knieoperationen bis zum Umgang mit einer Krebsdiagnose. Sinnerfüllte erleben zwar genauso viel Mist wie andere Leute auch, aber sie leiden nicht so stark darunter. Das zeigt sich sogar auf der körperlichen Ebene. Chronisch Erkrankte, die das Leben als sinnvoll betrachten, weisen zum Beispiel weniger Entzündungsmarker im Blut auf als Erkrankte, die keinen Sinn im Leben sehen.
Ein sinnerfülltes Leben kann sich über längere Phasen auch unangenehm, anstrengend oder herausfordernd anfühlen. Aber längerfristig geht es mit deutlich mehr Glück und Zufriedenheit einher als ein Leben, in dem man keinen Sinn sieht. Wer hingegen krampfhaft nach Glück sucht, erreicht oft das Gegenteil und entwickelt sogar Depressionen oder Ängstlichkeit.
Es gibt doch aber auch Menschen, die gar keinen Sinn in ihrem Leben sehen und gut damit leben. Wir sprechen hier von existenzieller Indifferenz. Aktuell verstehen sich etwa 60 Prozent der Menschen im deutschsprachigen Raum als sinnerfüllt, 14 Prozent haben eine Sinnkrise, und rund 26 Prozent befinden sich in existenzieller Indifferenz.
Selbsthilfe und Trialog
Selbsthilfegruppen und trialogische Gespräche ermöglichen den Erfahrungsaustausch zwischen Betroffenen, Angehörigen und Therapeuten. Der Austausch kann den Teilnehmenden helfen, sich mit einer schwierigen Situation nicht allein gelassen zu fühlen.
Trialog bedeutet ein Gespräch zu dritt oder zwischen drei Parteien. Der Trialog dient dem gleichberechtigten und wertfreien Erfahrungsaustausch zwischen diesen Parteien, welche aus der betroffenen Person, Angehörigen und Therapeut*innen bestehen.
Die trialogischen Seminare fördern gegenseitiges Verständnis und einen respektvollen Umgang untereinander.
Die Recovery-Stammtische dienen als regelmässiger Treffpunkt für einen lockeren Austausch zwischen Recovery-Interessierten. Der Stammtisch richtet sich vor allem an Betroffene und Angehörige, die gemeinsam Gesundungswege erkunden und sich darüber austauschen möchten. Fachpersonen sind natürlich auch herzlich willkommen.
Der Stammtisch folgt keiner vorgegebenen Struktur, die Diskussionsthemen sind völlig frei. Es können Fragen zum Umgang mit psychischen Erkrankungen gestellt oder neue eigene Erkenntnisse mit der Gruppe geteilt werden.
| Merkmal | Einfluss auf die Sinnerfüllung | 
|---|---|
| Engagement für andere | Erhöht die Sinnwerte | 
| Verschiedene Sinnquellen | Führen zu höherer Sinnerfüllung (mind. 4) | 
| Bewusstsein der Sterblichkeit | Realisiert den Wert des Lebens | 
| Verantwortung für die Gesundheit | Wird eher übernommen, wenn das Leben als sinnvoll erachtet wird | 
| Umgang mit Stress und Leid | Wird verbessert | 
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