Die Debatte um die Legalisierung von Cannabis ist in vollem Gange, und mit ihr die Sorge um die psychische Gesundheit, insbesondere von Jugendlichen. Psychiater warnen seit langem vor den möglichen negativen Folgen einer Cannabislegalisierung, insbesondere vor einer Zunahme von Psychosen. Nun gibt es neue Studien, die diese Bedenken untermauern.
Aktuelle Studienlage
Eine aktuelle Studie des kanadischen Ottawa Hospital Research Institute, veröffentlicht in der Fachzeitschrift "Jama Network Open", liefert neue Erkenntnisse. Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, betont, dass diese Studie ein weiterer Beleg dafür sei, dass die Legalisierung von Cannabis zu einer Zunahme von psychischen Erkrankungen führen kann.
Die Studie analysierte Gesundheitsdaten von fast 14 Millionen Menschen aus der Provinz Ontario über einen Zeitraum von 2006 bis 2022. In Ontario wurde Cannabis bereits vor sieben Jahren legalisiert. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Zahl der neu diagnostizierten Psychosekranken in der Provinz seit der Freigabe fast verdoppelt hat. Vor der Legalisierung lag die Rate der Neuerkrankungen bei 30 von 100.000 Personen, danach bei 55. Zudem entwickelten Cannabiskonsumenten knapp 15 Mal so häufig eine Schizophrenie wie der Durchschnitt der Bevölkerung.
Weitere Forschungsergebnisse
Eine Studie aus dem Jahr 2019 in der Fachzeitschrift "Lancet" ergab, dass täglicher Cannabiskonsum das Psychoserisiko verdreifacht, insbesondere bei hochkonzentrierten THC-Produkten. Etwa 20 Prozent aller Psychosefälle könnten vermieden werden, wenn der Cannabisverkauf vollständig unterbunden würde.
Auch das deckt sich mit älteren Daten: So hatten beispielsweise bereits 2014 Wissenschafter im US-Gliedstaat Colorado ermittelt, dass eine Freigabe 12- bis 17-Jährige geradezu zum Kiffen animiert. Verglichen mit dem Durchschnitt ihrer Altersgenossen in den restriktiveren Nachbarstaaten konsumierten dort 39 Prozent mehr Jugendliche Cannabis.
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Die Rolle von THC und CBD
Die Cannabispflanze produziert über 500 bioaktive Verbindungen, darunter Cannabinoide wie Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). THC ist für seine psychoaktiven, analgetischen und antispastischen Eigenschaften bekannt, während CBD entzündungshemmende, beruhigende und antikonvulsive Effekte zeigt.
Obwohl THC für seine psychoaktiven Wirkungen bekannt ist, hat es auch medizinische Vorteile, insbesondere in der Schmerztherapie und bei der Behandlung von Übelkeit und Erbrechen, die durch Chemotherapie hervorgerufen werden. Bei sorgfältiger Dosierung und unter ärztlicher Aufsicht kann THC sicher und effektiv eingesetzt werden, um diese und andere Symptome zu lindern. Es ist jedoch wichtig, dass die Anwendung von THC sorgfältig überwacht wird, da hohe Dosen und der langfristige Konsum das Risiko für die Entwicklung von psychischen Störungen erhöhen können.
Das Endocannabinoid-System (ECS)
Das ECS ist an der Regulierung einer Vielzahl von physiologischen Prozessen beteiligt, darunter der Schmerzmodulation, Immunreaktionen sowie der Stress- und Emotionsregulation. Es besteht aus Cannabinoid-Rezeptoren (CB1, CB2), körpereigenen Liganden (Endocannabinoide) und Enzymen, die deren Synthese und Abbau steuern.
Durch seine komplexen Signalwege reguliert es Emotionen, Kognition und andere neuronale Prozesse, wobei Cannabinoide gezielt in diese Regulation eingreifen können. THC bindet zum Beispiel an CB1-Rezeptoren im Hypothalamus und dem Nucleus accumbens - Regionen, die die Hormonregulation sowie das Belohnungs- und Motivationssystem beeinflussen. CBD hingegen wirkt nicht direkt an CB-Rezeptoren, sondern hemmt den Abbau von Anandamid und interagiert unter anderem mit Vanilloid- und Serotoninrezeptoren, was zu seinen schmerzlindernden und anxiolytischen Effekten beitragen könnte.
Cannabinoide und psychiatrische Indikationen
Randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) bestätigen zunehmend das therapeutische Potenzial von Cannabinoiden bei psychiatrischen Indikationen. CBD kann die Amygdala-Aktivität reduzieren und so Angstreaktionen abschwächen. Untersuchungen zur posttraumatischen Belastungsstörung zeigen Verbesserungen bei Albträumen und emotionaler Hypererregung nach THC-/CBD-Gabe. Auch bei chronischem Stress, etwa im Rahmen einer Burn-out-Therapie, führte CBD zu signifikanten Verbesserungen.
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Risiken und Nebenwirkungen
Trotz seines therapeutischen Potenzials erfordert der medizinische Einsatz von Cannabis eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung. Im Vergleich zu Opioiden und Benzodiazepinen hat es ein günstigeres Sicherheitsprofil, kann jedoch - insbesondere THC - dosisabhängig Nebenwirkungen wie Tachykardie und Blutdruckschwankungen verursachen. Bei genetischer Prädisposition oder psychischen Vorerkrankungen kann das Risiko für psychotische Episoden erhöht sein, während CBD aufgrund seiner potenziell antipsychotischen Wirkung untersucht wird.
Die Rolle des Alters
Jugendliche gelten als besonders gefährdet durch Cannabis, da ihr Cannabinoid-System im Gehirn noch nicht ausgereift ist. Die Beeinträchtigung dieses Systems kann die Entwicklung anderer Systeme stören, darunter das Dopaminsystem, das eine entscheidende Rolle bei Psychosen und Schizophrenien spielt.
Schweizer Pilotversuche zur Legalisierung
In der Schweiz laufen mehrere Pilotversuche, um die Auswirkungen eines regulierten Cannabisverkaufs zu untersuchen. Diese Versuche sollen Aufschluss darüber geben, wie sich eine Legalisierung sozialökonomisch auswirken würde, beispielsweise auf die Arbeitslosenraten und Bildungsabschlüsse. Dabei wird auch untersucht, wie sich ein regulierter Verkauf auf den Drogengebrauch und das Konsumverhalten auswirkt.
Die im Januar 2023 angelaufene Studie «Weed Care» soll die Debatte auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen. Während der ersten sechs Monate erlaubte das Studiendesign einen direkten Vergleich zweier randomisierter Gruppen: Eine Hälfte der rund 370 Teilnehmenden konnte im Rahmen der Studie legal Cannabis in einer der neun teilnehmenden Apotheken kaufen und erhielt dazu ein Beratungsangebot. Die andere Hälfte nutzte als Kontrollgruppe weiter den Schwarzmarkt als Quelle. Die Zwischenbilanz nach mittlerweile zwei Studienjahren zeigt eine deutliche Verbesserung der psychischen Verfassung bei den mittlerweile noch rund 300 Teilnehmenden.
Die Patientenperspektive
Dominic, ein 29-jähriger Autist, profitiert von einer Cannabistherapie zur Schmerzlinderung. Trotz positiver Erfahrungen und ärztlicher Verordnung kämpft er mit der Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Dies zeigt die Schwierigkeiten, mit denen Patienten konfrontiert sind, die auf medizinisches Cannabis angewiesen sind.
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Herausforderungen und Perspektiven
Die Studienlage zu den Auswirkungen von Cannabis, insbesondere auf die psychische Gesundheit, ist komplex und teilweise widersprüchlich. Es bedarf weiterer Forschung, um die langfristigen Auswirkungen und die spezifischen Risiken und Vorteile besser zu verstehen. Trotz ihres vielversprechenden therapeutischen Potenzials bleibt die klinische Evidenz jedoch unzureichend. Methodische Schwächen, wie kleine Stichprobengrössen und Heterogenität der Cannabispräparate, begrenzen die Aussagekraft vieler Studien.
Es ist wichtig, dass die Debatte um die Legalisierung von Cannabis auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage geführt wird und die potenziellen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, insbesondere von Jugendlichen, berücksichtigt werden.
| Studie | Zeitraum | Ergebnisse | 
|---|---|---|
| Ottawa Hospital Research Institute (2024) | 2006-2022 | Verdopplung der Psychose-Neuerkrankungen in Ontario nach Legalisierung | 
| Lancet (2019) | - | Täglicher Cannabiskonsum verdreifacht Psychoserisiko | 
| Colorado (2014) | - | 39% mehr Cannabiskonsum bei Jugendlichen nach Legalisierung | 
| Weed Care (2023) | 2023-2024 | Verbesserung der psychischen Verfassung bei legalem Zugang zu Cannabis | 
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