Paracetamol in der Schwangerschaft: Erhöht es das Autismus-Risiko?

Bei Kopf- und Rückenschmerzen in der Schwangerschaft gilt das frei verkäufliche Paracetamol (Acetaminophen) häufig als Schmerzmittel der Wahl bei vielen werdenden Müttern. Doch es gibt Bedenken hinsichtlich möglicher Risiken.

Studienlage zum Thema Paracetamol und Autismus

Bereits 2013 berichtete eine norwegische Studie, dass die häufige Einnahme dieses Analgetikums in der Schwangerschaft mit autistischen Symptomen beim Kind in Zusammenhang stehen könnte. Für die norwegische Studie wurden Daten von mehr als 48 000 norwegischen Kindern ausgewertet, deren Mütter zu ihrem Paracetamolverbrauch in der 17. und 30. Schwangerschaftswoche sowie 6 Monate nach der Entbindung befragt wurden. Mit Beginn des 3. Lebensjahres wurde die geistige Entwicklung der Kinder untersucht und mit den Daten zur Paracetamoleinnahme während der Schwangerschaft in Zusammenhang gebracht.

Die kürzlich publizierte spanische Geburtenkohortenstudie, für welche die Daten von 2644 Mutter-Kind-Paaren ausgewertet wurden, berichtet über vergleichbare Zusammenhänge. Für diese Untersuchung wurden die Mütter bis zum 8. Schwangerschaftsmonat zu ihrem Paracetamolverbrauch befragt und dementsprechend in drei Gruppen eingeteilt: nie, sporadisch und dauerhaft.

Eine gross angelegte Studie mit über 70'000 Kindern warnt vor der Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft. Veröffentlicht wurde die Studie im «European Journal of Epidemiology». Die Einnahme des Mittels gegen Fieber und Schmerzen während der Schwangerschaft kann Langzeitfolgen für Kinder haben. Laut den Studienautoren wird das Risiko einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und einer Autismus-Spektrum-Störung erhöht.

So steige das Risiko von ADHS-Symptomen um 21 Prozent und das Risiko einer Autismus-Spektrum-Störung erhöhe sich um 19 Prozent. Einen Zusammenhang zwischen den Geschlechtern und den Symptomen gebe es nicht. Zwischen 14 und 56 Prozent der Mütter, haben während ihrer Schwangerschaft Paracetamol eingenommen. Bereits frühere Studien deuteten darauf hin, dass sich Paracetamol auf die neurologische Entwicklung von Kindern auswirkt. Trotzdem gilt es als das sicherste Fieber-Medikament für Schwangere und Kinder. Laut den Forschern sei eine Einnahme während der Schwangerschaft nicht komplett verwerflich.

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US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. bereitet laut New York Post einen Bericht vor, der einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Tylenol während der Schwangerschaft und Autismus aufzeigt. Tylenol enthält den Wirkstoff Paracetamol, der in der Schweiz unter den Namen Dafalgan, Panadol oder Zolben bekannt ist.

Fieber als Risikofaktor

Wenn schwangere Frauen Fieber bekommen, kann das für das Ungeborene eine Gefahr sein. Und zwar birgt Fieber offenbar verschiedene Risiken. Zum Beispiel scheint ein Zusammenhang zwischen Autismus und Fieber in der Schwangerschaft zu bestehen. Im Juni erschien diesbezüglich eine Studie der Columbia Universität im Fachmagazin «Molecular Psychiatry». Die Forscher fanden heraus, dass Mütter, welche besonders im zweiten Drittel der Schwangerschaft drei oder vier mal Fieber bekamen, ein drei mal höheres Risiko hatten, Kinder mit Autismus zur Welt zu bringen. Infekte in der Schwangerschaft werden auch als Mitursache von Schizophrenie diskutiert.

Die amerikanischen Forscher haben nun Anzeichen, dass das Fieber an sich das Gefährliche ist. Demnach könne ein vernünftiger Einsatz fieberhemmender Medikamente das Risiko senken, schreiben die Forscher. «Ich hoffe, dass nun die Ärzte, wenn Frauen planen, schwanger zu werden, ihnen nicht nur raten, Folsäure und Vitamine einzunehmen, sondern den Frauen mitteilen, dass sie sich melden sollen, wenn sie Fieber bekommen», sagt der Hauptautor der Studie, Eric Benner.

Entwarnung durch schwedische Studie?

Die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft scheint für das Kind nicht, wie bisher angenommen, mit einer erhöhten Gefahr für neurologische Entwicklungsstörungen verbunden zu sein. So lautet das Ergebnis einer schwedischen Kohortenstudie basierend auf knapp 1,8 Millionen Geschwisterkindern, die zwischen 1995 und 2019 geboren worden waren. Die Hauptanalyse der Studie, deren Kohorte ursprünglich fast 2,5 Mio. Kinder umfasste, ergab zwar zunächst nach pränataler Paracetamol-Exposition (bei 186’000 Kindern) ein 5-7 % erhöhtes Risiko für Autismus, ADHS und geistige Behinderungen. Dieses löste sich jedoch auf, als die Forscher die Auswertung auf die Geschwisterpaare begrenzten. Auch eine Dosis-Wirkungs-Beziehung des Paracetamols konnten Dr. Viktor Ahlqvist vom Karolinska Institut in Stockholm und seine Kollegen nicht feststellen.

Die Wissenschaftler vermuten, dass der beobachtete geringe Anstieg des Risikos in Modellen ohne Geschwisterkontrolle auf in der Kohorte nicht erfasste, familiäre Störfaktoren zurückgehen könnte. Die Studienergebnisse liessen darauf schliessen, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen Paracetamol-Einnahme der Mutter und neurologischen Entwicklungsstörungen beim Kind gebe.

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Empfehlungen für Schwangere

Kopfschmerzen? Migräne? Je nach Schwangerschaftsmonat können manche Analgetika unbedenklich oder gefährlich sein. Nur Paracetamol dürfen werdende Mütter zu jedem Zeitpunkt einnehmen. Wie immer gilt dabei: so kurz und so niedrig dosiert wie möglich.

Grundsätzlich reagiert das Ungeborene im ersten Trimenon am sensibelsten, denn in dieser Zeit entwickeln und differenzieren sich Gewebe und Organe. Stören z.B. Arzneimittel diese Prozesse, können Fehlbildungen und Organfunktionsstörungen resultieren. Paracetamol ist somit weiterhin für Schwangere zugelassen und zwar für jedes Trimenon. Wie immer in diesem Kontext sollten Patientinnen es jedoch so kurz und so niedrig dosiert wie möglich einnehmen.

NSAR scheinen im 2. Trimenon als Kurzzeit-Analgetika und Fiebersenker unbedenklich. Erfordert z.B. eine chronische Erkrankung eine längere Einnahme, steigt die Gefahr für Schäden beim Kind. Dann sollte man Ductus arteriosus und Fruchtwassermenge engmaschig in der Sonografie überwachen.

Im 3. Trimenon können NSAR den Ductus arteriosus vorzeitig verengen oder ganz verschliessen. Dann drohen dem Kind Rechtsherzdilatation und pulmonale Hypertonie, im schlimmsten Fall stirbt es in utero. Ausserdem schädigen sie potenziell die fetalen Nieren - im Schall sichtbar an der abnehmenden Fruchtwassermenge.

Was ist Autismus?

Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die sich auffällig durch rhetorische und kommunikative Störungen äussert. Menschen mit Autismus nehmen aufgrund komplexer Störungen des zentralen Nervensystems sich und die Welt anders wahr. Sie haben Schwierigkeiten, Bedeutungen und Regeln innerhalb von Kommunikation und Sozial-Verhalten zu erkennen. Die Welt ist für sie unverständlich, überwältigend und Angst auslösend.

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Symptome von Autismus

Autismus ist eine angeborene und tiefgreifende Störung. Sie betrifft vor allem die Wahrnehmung und die Informationsverarbeitung. Daher zeigen Menschen mit autistischen Symptomen Schwächen in der Kommunikation und im sozialen Umgang mit Mitmenschen. Sie sind oft nicht in der Lage, Mimik und Gestik der Mitmenschen korrekt zu interpretieren. Oftmals versuchen Autisten durch sich wiederholende stereotype Handlungen eine Ordnung herzustellen. Ihre Sprache entwickelt sich zögerlich oder gar nicht. Viele kapseln sich von ihrer Umgebung ab.

Sie zeigen dafür aussergewöhnliche Fähigkeiten in verschiedenen Bereichen wie Mathematik, Malen oder Musik und weisen oftmals eine hohe Intelligenz auf. Autismus tritt bereits in den ersten drei Lebensjahren auf. Auf 1000 Einwohner kommen statistisch 6 bis 7 Autisten. Mehr Knaben als Mädchen - das Verhältnis liegt bei 4:1.

Ursachenforschung

Forscher versuchen weiter, Autismus genauer zu untersuchen. Viele Wissenschaftler sprechen von einem möglichen Zusammenhang zwischen Ernährung, Darmbakterien und Medikamenten. Laut einer Studie leiden 70 Prozent aller autistischen Kinder an schwerwiegenden Margen-Darm-Störungen. Dies führte zur These, dass Autismus eine bakterielle Ursache haben könnte. Unter den vielen Hypothesen für die Entstehung von Autismus wird die Besiedlung des Darms mit Clostridien und deren Sporen als Schlüsseleffekt diskutiert.

Des Weiteren fanden die Wissenschaftler heraus, dass genetische Varianten, die mit einem geringeren Mass an Empathie in Verbindung standen, auch mit einem höheren Risiko für Autismus assoziiert waren. Sie hoffen, dass ihre Arbeit dabei helfen kann, die Biologie des Autismus besser zu verstehen und dass dadurch eine schnellere und akkuratere Diagnose möglich werden könnte.

Fieber in der Schwangerschaft und Autismusrisiko

Infektionen in der Schwangerschaft können das ungeborene Kind gefährden. Bekommen werdende Mütter Fieberschübe, leiden ihre Kinder später häufiger an Störungen aus dem autistischen Spektrum. Das sagen US-amerikanische Forscher nach Auswertung der Daten von fast 100'000 norwegischen Kindern. Das Autismusrisiko für Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft Fieber gehabt hatten, war um 34 Prozent erhöht gegenüber Kindern, deren Mütter kein Fieber hatten. Traten die Fieberschübe im zweiten Drittel der Schwangerschaft auf, stieg das Risiko auf 40 Prozent.

Laut der Studienautoren erhöhte sich das Risiko noch mit zunehmender Anzahl der Fieberschübe. Hatten Mütter nach der zwölften Schwangerschaftswoche ein- bis zweimal Fieber, stieg es um den Faktor 1,3. Bei drei oder mehr Fieberschüben in diesem Zeitraum verdreifachte es sich.

Nahmen die Mütter fiebersenkender Mittel wie Ibuprofen oder Paracetamol ein, wirkte sich das kaum auf das Risiko der Kinder aus, eine Störung aus dem autistischen Spektrum zu entwickeln. Im Fall von Paracetamol stellten die Studienautoren ein leicht geringeres Risiko fest.

Zusammenfassung der Studienergebnisse

Wird eine schwangere Frau mit dem Schmerzmittel Paracetamol behandelt, steigt wahrscheinlich das Risiko neurologischer Entwicklungsstörungen beim Kind. Zu diesem Ergebnis ist ein Forscherteam der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in einer Studie gekommen. Weltweit nimmt dieses Medikament mehr als die Hälfte der schwangeren Frauen ein. Die aktuelle Analyse umfasste 46 Studien mit mehr als 100’000 Teilnehmerinnen in einer Vielzahl von Ländern.

Hauptautor Diddier Prada geht davon aus, dass künftige, höherwertige Studien noch wahrscheinlicher einen Zusammenhang zwischen der pränatalen Exposition mit Paracetamol und einem erhöhten Risiko für Autismus und ADHS herstellen werden. Die Forscher untersuchten auch die biologischen Mechanismen, die für ein erhöhtes Erkrankungsrisiko verantwortlich sein dürften. Paracetamol überwindet die Plazentaschranke. Es dürfte in der Folge oxidativen Stress auslösen und den Hormonhaushalt stören.

Risiko Erhöhung
ADHS-Symptome 21%
Autismus-Spektrum-Störung 19%

Die Forschungsergebnisse beweisen zwar nicht, dass Paracetamol direkt zu neurologischen Entwicklungsstörungen führt. Sie liefern jedoch weitere wissenschaftliche Belege für einen Zusammenhang und stellen die derzeitige klinische Praxis in Frage.

Referenzen

  1. Brandlistuen RE, Ystrom E, Nulman I; Prenatal paracetamol exposure and child neurodevelopement: a sibling-controlled cohort study. Int J Epidemiol 2013; 42 (6): 1702-1713.
  2. Avella-Garcia CB, Julvez J, Fortuny J et al.: Acetaminophen use in pregnancy and neurodevelopment: attention function and autism spectrum symptoms. Int J Epidemiol 2016; Jun 28. pii:dyw 115.

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