Ganz unterschiedliche Arzneimittel können als unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) depressive Störungen sowie Suizidideen und suizidale Handlungen auslösen, wobei depressive Störungen häufiger sind als Suizidideen und diese wiederum häufiger als suizidale Handlungen.
Für viele Ärzte und Laien ist die Vorstellung schwer akzeptabel, dass eine depressive Verstimmung oder das Vollbild einer depressiven Störung häufig nicht auf biografische Situationen wie unter anderen Arbeitslosigkeit, finanzielle Notlage, psychische Überlastung, Verlust eines geliebten Partners, Einsamkeit oder infauste Krankheit zurückzuführen ist, sondern eine Ursache hat in meist noch immer unbekannten zerebralen Veränderungen.
Noch mehr gilt dies für den Wunsch der Selbsttötung oder des versuchten beziehungsweise vollendeten Suizids. Die meisten Suizide kommen im Kontext psychiatrischer Erkrankungen wie Depression, Schizophrenie oder Substanzabhängigkeit vor (3). Es ist schwierig, eine Depression mit Suizidgefährdung frühzeitig individuell einzuschätzen. Hierzu gibt es verschiedene Scores mit unterschiedlicher Aussagekraft (4).
Nach wie vor sterben über 10 000 Menschen jährlich in Deutschland durch eigene Hand, also deutlich mehr als durch Verkehrsunfälle. Die Zahl der Suizidversuche liegt etwa zehnfach höher. Besonders bei Angehörigen oder Freunden bleiben immer die bedrängenden Fragen: Hätte das Ereignis verhindert werden können, hätte man Anzeichen der Suizidalität besser erkennen und zum Beispiel rechtzeitig einen Arzt hinzuziehen müssen oder wäre ein Verweis auf die Telefonseelsorge oder Internetangebote hilfreich gewesen? (Vgl. 5, 6.)
Deshalb ist es wichtig, die Arzneimittel mit dieser potenziellen UAW zu kennen und bei entsprechenden Symptomen an einen solchen Zusammenhang zu denken. Patienten und Angehörige müssen über diese Möglichkeit adäquat und situationsgerecht vorab informiert werden, damit auch sie Alarmsymptome rechtzeitig erkennen und dann das Richtige tun (7, 8).
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Die Liste der Wirkstoffe, die im Verdacht stehen, psychische UAW (speziell Depressionen) auslösen zu können, ist sehr lang (vgl. 9, 10). Im Folgenden sollen nur die wichtigsten Wirkstoffe besprochen werden, zu deren typischen oder auch seltenen UAW Depression beziehungsweise Suizidalität gehören (11-14).
In klinischen Studien zur Wirksamkeit eines Arzneimittels mit hochselektierten Patienten fallen diese Reaktionen - selbst bei intensivem Monitoring - meist nicht auf, vor allem wenn nicht gezielt nach ihnen gefahndet wird. Zudem wird mit der Kodierung von Nebenwirkungen die reale klinische Situation nicht immer präzise erfasst, beispielsweise Suizidalität (15).
Es ist zu hoffen, dass mit dem öffentlichen Zugang zu den «clinical study reports» (CSR) der pharmazeutischen Unternehmer ein zusätzliches Instrument geschaffen wird, spezielle Nebenwirkungen besser und früher zu erkennen (16). Bisher sind wir überwiegend auf Spontanmeldungen im Rahmen der in vielen Ländern vorhandenen Meldesysteme sowie auf Metaanalysen angewiesen.
Die Dunkelziffer ist hoch: Man schätzt, dass generell nur etwa 5 bis 10 Prozent der tatsächlich sich ereignenden UAW im Rahmen eines Spontanmeldesystems gemeldet werden. Deshalb kann im Allgemeinen bloss ein mehr oder minder starker Verdacht geäussert werden, dass ein Arzneimittel die Ursache ist. Die tatsächliche Häufigkeit lässt sich aber so nicht ermitteln, weil auch der zugehörige Nenner nicht zuverlässig bekannt ist, das heisst die Zahl der über einen definierten Zeitraum mit dem betreffenden Arzneimittel behandelten Personen.
Wirkstoffe mit potenziellem Einfluss auf Depression und Suizidalität
Im Folgenden werden einige Wirkstoffe und Medikamentengruppen aufgeführt, bei denen ein Zusammenhang mit Depressionen und Suizidalität diskutiert wird. Es ist wichtig zu beachten, dass die Evidenz für diese Zusammenhänge unterschiedlich stark ist und weitere Forschung erforderlich ist.
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Rimonabant
Der Antagonist des Endocannabinoidrezeptors mit der Indikation Gewichtsreduktion wurde 2008 vom Markt genommen wegen neuropsychiatrischer Nebenwirkungen, darunter auch vermehrt Depressionen und Suizide (18, 19).
Interferon alfa-2b und beta-1b
Interferone als therapeutisch besonders wichtige Vertreter der Zytokine stellen Verbindungen her zwischen dem Immunsystem und dem ZNS. Sie werden deshalb auch als Immunotransmitter angesehen (20). Da sie nicht nur in die Immunantwort eingreifen, sondern auch direkt im ZNS wirken, ist es verständlich, dass sie auch neurotoxische Wirkungen auslösen können.
Interferon alfa2b, das in Kombination mit Ribavarin zur Behandlung der Hepatitis C erfolgreich eingesetzt wird, ist wohl der Wirkstoff, bei dem das Risiko für depressive und auch suizidale Verhaltensweisen statistisch eindeutig ist. Diese gefürchtete UAW tritt nach manchen Übersichten häufig auf und ist auch ein wichtiger Grund für einen frühen Behandlungsabbruch (21). Eine Metaanalyse kam zu dem Schluss, dass 7 Prozent der behandelten Patienten innerhalb von sechs Monaten eine Depression entwickeln. Sie spricht auf Antidepressiva vom Typ der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) gut an.
Patienten mit akuter Suizidalität sollten nicht mit Interferonen behandelt werden. Depression in der Vorgeschichte ist zwar prinzipiell kein Grund, nicht damit zu behandeln (22), jedoch ist eine psychiatrische Einschätzung vor Behandlung beziehungsweise eine Mitbetreuung ratsam.
Mefloquin
Unter den zur Malariaprophylaxe verwendeten Substanzen ist vor allem Mefloquin dafür bekannt, neben verschiedenen neuropsychiatrischen Symptomen auch depressive Zustände mit und ohne Suizidalität auslösen zu können, besonders bei Frauen. Es handelt sich um eine typische UAW, die zwar selten auftritt (24-26), aber gravierend und in bestimmten Situationen - auch für andere - lebensgefährlich sein kann.
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Jahrelang wurde sie nicht ernst genug genommen (Kritik bei 27). In einem Rote-Hand-Brief wurden jetzt neue Kontraindikationen aufgeführt, Warnhinweise gegeben und die Ausstellung eines Patientenpasses empfohlen (28). Mefloquin zur Malariaprophylaxe wurde bei der Bundeswehr auf ein Mittel der letzten Wahl zurückgestuft.
Isotretinoin
Während einer Behandlung der schweren Akne mit Isotretinoin wurde bei vielen Patienten die Entwicklung depressiver Störungen beschrieben. Eine grosse Fall-Kontroll-Studie fand ein 2,7-fach erhöhtes Risiko im Vergleich zu Patienten ohne Isotretinoinbehandlung (29). Der Zusammenhang konnte allerdings in kontrollierten prospektiven Studien nicht immer bestätigt werden.
Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI)
Bei Behandlung mit den Antidepressiva vom Typ der SSRI (Sertralin, Paroxetin, Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin) ist es besonders schwierig, einen ursächlichen Zusammenhang mit Depression, suizidalen Ideen und Handlungen zu belegen.
Das zeigt sich immer wieder auch in Stellungnahmen von Gutachtern bei Prozessen infolge von Schadensersatzklagen. Mit SSRI werden ja Patienten behandelt, die - weil sie depressiv sind - bereits ein erhöhtes Suizidrisiko haben. Suizidale Ideen und Handlungen als UAW sind vor allem bei gut dokumentierten einzelnen Patienten nachgewiesen (31) und weniger in grossen kontrollierten Studien.
Wie kann ein Mittel gegen Depressionen selbst Suizidideen und suizidale Handlungen, ja auch fremdaggressive Handlungen (35) bis zum Mord auslösen? Das hat vermutlich unter anderem mit der speziellen erregenden Wirkung der SSRI-Antidepressiva zu tun, die bei den sog. trizyklischen Antidepressiva (NSRI) nicht typisch ist.
Es ist eine alte psychiatrische Erkenntnis, dass jede Art von Exzitation, wie Angst, Agitation, Schlaflosigkeit oder motorische Unruhe, bei Patienten mit bereits vorhandenen Suizidgedanken das Risiko erhöht, sie zu realisieren. Hinzu kommt, dass bei Menschen, die nie zuvor suizidale Ideen hatten, solche Impulse unter Einnahme von SSRI völlig neu entstehen können (31). Den Patienten erscheinen sie selbst oft völlig persönlichkeitsfremd.
Fatal kann es sein, wenn auftretende Unruhe und Angstzustände nicht als mögliche Alarmsymptome für eine drohende suizidale Handlung gedeutet werden und wenn unter der falschen Annahme, die Behandlung sei nicht ausreichend, die Dosis noch erhöht wird.
Vareniclin und Bupropion
Über Depressionen und suizidale Gedanken während der Behandlung mit Vareniclin und Bupropion zur Tabakentwöhnung ist berichtet und gewarnt worden (36-38). Auch hier besteht das Problem, den ursächlichen Zusammenhang zu belegen, denn die Entwöhnung vom Tabak selbst kann zumindest depressive Zustände auslösen.
Finasterid
Der 5-alpha-Reduktase-Hemmer Finasterid wird bei benigner Prostatahyperplasie und in niedriger Dosis auch gegen den androgenetischen Haarverlust verordnet (vgl. 39). In mehreren Studien fanden sich als UAW vermehrt sexuelle Störungen, aber auch Symptome von Depression. Meist bildeten sie sich innerhalb von drei Wochen nach dem Absetzen zurück, waren aber teilweise noch nach drei Monaten vorhanden.
Gyrasehemmer/Chinolone
Es besteht kein Zweifel daran, dass Gyrasehemmer neben sehr verschiedenen psychiatrischen Auffälligkeiten auch Depression und Suizidalität auslösen können. Auch dies hat möglicherweise mit der Wirkung auf das GABAerge System zu tun. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hat wiederholt auf das Risiko aufmerksam gemacht (42, 43).
Tabelle: Wirkstoffe und ihr möglicher Einfluss auf Depression und Suizidalität
| Wirkstoff | Anwendungsgebiet | 
|---|---|
| Rimonabant | Adipositas | 
| Interferon alfa-2b und beta-1b | Hepatitis B und C | 
| Mefloquin | Malaria-Prophylaxe | 
| Gyrasehemmer/Chinolone | Bakterielle Infektionen | 
| Isotretinoin | Schwere Akne | 
| Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) | Depression, Angststörungen u.a. | 
Es ist wichtig zu beachten, dass diese Tabelle nur eine Auswahl von Wirkstoffen darstellt und die Evidenz für einen Zusammenhang mit Depressionen und Suizidalität variieren kann. Bei Fragen oder Bedenken sollte immer ein Arzt oder Apotheker konsultiert werden.
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