Vom 17. Mai bis 2. März fand im Cabaret Voltaire eine aussergewöhnliche Ausstellung statt, die den bisher weitgehend unbekannten Kosmos von Emma Jung (1882-1955) in einen Dialog mit der zeitgenössischen Künstlerin Rebecca Ackroyd (*1987) brachte. Der vollständige Ausstellungstext ist online verfügbar.
Emma Jung: Analytikerin im Schatten ihres Mannes
Zum ersten Mal wurden Emma Jungs Aufzeichnungen aus ihrer analytischen Praxis, einschliesslich Zeichnungen, Malereien, Gedichte und Notizen, der Öffentlichkeit präsentiert. Emma Jung war eine kompetente Analytikerin sowie enge Gesprächspartnerin und Kollaborateurin ihres Mannes C.G. Jung. Sie prägte die Erforschung der menschlichen Psyche massgeblich mit - auch wenn sie im Hintergrund des berühmten Schweizer Psychiaters wirkte.
Ihre Arbeiten widmen sich besonders dem Konzept der Individuation. Damit gemeint ist der Prozess, in dem ein Mensch sich selbst als eigenständiges Individuum erkennt und entwickelt. Dabei spielen die Dynamik von Animus und Anima, die Symbolik der Gralslegende als Sinnbild für die innere spirituelle Reise und das Streben nach Ganzheit eine zentrale Rolle. In der Folge lösen sich Dualitäten wie Kultur und Natur, Gut und Böse oder Geschlechtsidentitäten auf.
Rebecca Ackroyd: Zeitgenössische Perspektiven
In Rebecca Ackroyds Œuvre finden sich zahlreiche Parallelen zu Emma Jung. Auch ihre Zeichnungen geben dem Unbewussten eine Form und reflektieren die psychologische und spirituelle Dimension von Kunst sowie Prozesse der «Weltwerdung». Ackroyds Installationen sind oft traumhaft und zeigen die Fragmentierung von Erinnerung und Zeit. Durch eine vielfältige visuelle Sprache, die grossformatige Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Objekte umfasst, verschmelzen Begierde und Abscheu, Wünsche und Ängste, Vertrautes und Unheimliches zu einem faszinierenden Ganzen.
Für ihre erste Ausstellung in der Schweiz entwickelte Rebecca Ackroyd eine neue Serie von Zeichnungen und Skulpturen, die als intime Ausdrucksformen symbolischer Ordnungen konzipiert sind. Die bewusst klein gehaltenen Zeichnungen laden zu einer intensiveren Begegnung mit der inneren Welt des Schaffens ein.
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Die Verbindung zu Dada
Die Ausstellung im Cabaret Voltaire - dem Geburtsort von Dada - ist durch eine historische Spur inspiriert: die Verbindungen zwischen Emma Jung, der Analytischen Psychologie und der Kunstbewegung Dada. 1916 nahm Emma Jung, damals erste Präsidentin des Psychologischen Clubs, an mindestens einer Dada-Soiree teil. In diesem Jahr schuf sie eindrucksvolle visuelle Metamorphosen, die sich mit Individuationsprozessen auseinandersetzen.
Künstler*innen wie Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp griffen Jung’sche Ansätze auf, etwa in ihrer Suche nach Typologien und universellen Formen. Die analytische Idee der Individuation lässt sich mit dem dadaistischen Durchbrechen von Konventionen vergleichen. Analytische Psycholog*innen wiederum erkunden die therapeutischen Wirkungen abstrakter Mandalas. Sowohl Dada als auch die Analytische Psychologie widmeten sich intensiv dem Unbewussten.
Mithilfe von Theorien der Analytischen Psychologie setzten sich Dadaist*innen mit den gesellschaftlichen Umbrüchen Anfangs des 20. Jahrhunderts auseinander, wie der Mechanisierung des Lebens und den Traumata des Ersten Weltkriegs. Richard Huelsenbeck bemerkte später eine therapeutische Qualität in den Werken vieler Dadaist*innen.
Biografische Hintergründe
Emma Jung, geboren als Emma Maria Rauschenbach am 30. März 1882 in Schaffhausen, war eine Schweizer Analytikerin und Autorin. Sie erlangte Bekanntheit als Ehefrau und enge Mitarbeiterin des Psychiaters Carl Gustav Jung, doch auch ihre eigenen Beiträge zur Analytischen Psychologie verdienen Beachtung. Emma Jung stammte aus einer wohlhabenden und einflussreichen Industriellenfamilie. Dank ihres privilegierten Hintergrunds erhielt sie eine ausgezeichnete Ausbildung, die ihr Interesse an Literatur, Philosophie und Psychologie weckte. 1903 heiratete sie Carl Gustav Jung, mit dem sie fünf Kinder hatte. Sie war nicht nur tief in die Arbeit ihres Mannes eingebunden, sondern entwickelte sich im Laufe der Jahre auch zu einer unabhängigen Analytikerin. Besonders hervorzuheben sind ihre Forschungen zum Grals-Symbolismus, die posthum 1960 veröffentlicht wurden, sowie ihre Studien über die Dynamik der Konzepte von Animus und Anima.
Rebecca Ackroyd, geboren 1987 in Cheltenham, Grossbritannien, lebt und arbeitet in Berlin und London. Sie schloss ihr Postgraduate Diplom in Fine Art an der Royal Academy of Arts, London, und ihren BA an der Byam Shaw School of Art, London, ab. Ihre jüngste Einzelausstellungen umfassen Mirror Stage auf der Biennale in Venedig (2024), organisiert von der Kestner Gesellschaft, Hannover; Period Drama in der Kestner Gesellschaft, Hannover (2023-2024); sowie Shutter Speed im Musée d’Art Contemporain, Lyon (2023-2024). Ihre Werke waren zudem Teil zahlreicher Gruppenausstellungen, darunter Antéfutur im Musée d’Art Contemporain, Bordeaux (2023); Dark Light: Realism in the Age of Post-Truth in der Aïshti Foundation, Beirut (2022); Masters and Servants in der Ygrec Gallery, École Nationale Supérieure d’Arts de Paris Cergy, Paris (2022); corpus murmur bei Peles Empire, Berlin (2022); Act 1: Body en Thrall in der Rugby Art Gallery and Museum, UK (2022); sowie Singed Lids für die 15. Biennale von Lyon, organisiert vom Palais de Tokyo (2019).
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Förderung
Die Ausstellung und das Vermittlungsprojekt wurden ermöglicht dank der Unterstützung von:
- Jubiläumsstiftung der Mobiliar Genossenschaft
 - Stanley Thomas Johnson
 - Cassinelli-Vogel-Stiftung
 - Hans F. Tellenbach Stiftung
 - Else v. Sick Stiftung
 - Stiftung C.G. Jung Küsnacht
 - Stiftung der Werke von C.G.
 
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