Zwangsstörungen umfassen eine Gruppe von psychischen Erkrankungen, die durch wiederkehrende Zwangshandlungen und Zwangsgedanken gekennzeichnet sind.
Betroffene Patienten sind in allen Bereichen des Alltags schwer eingeschränkt, da die Zwänge ihr Verhalten dominieren.
Im Vordergrund der Therapie stehen die kognitive Verhaltenstherapie und die medikamentöse Therapie.
Für Patienten, die auf die konventionellen Therapien nicht hinreichend ansprechen, ist die Tiefe Hirnstimulation (DBS von engl. deep brain stimulation) eine neuartige, vielversprechende Behandlungsmethode.
Was sind Zwangsstörungen?
Zwangsstörungen können sich in zwanghaftem Verhalten oder zwanghaften Gedanken äussern.
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In beiden Formen rückt der Zwang in das Zentrum der Motivation und dominiert gegenüber anderen Verhaltensweisen.
Betroffene beschäftigen sich durchschnittlich etwa 7-8 Stunden am Tag mit ihren Zwängen.
Zwangsgedanken
Zwangsgedanken sind Ideen, Vorstellungen oder Impulse, die sich den Betroffenen gegen ihren Willen aufdrängen.
Sie sind aufdringlich und intensiv und für Aussenstehende oftmals rational schwer nachvollziehbar.
Betroffene haben beispielsweise übermässige Angst vor der Ansteckung mit infektiösen Erkrankungen oder vor einer Vergiftung oder sie verspüren einen zwanghaften Drang zu Ordnung und Symmetrie.
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Zwangshandlungen
Zwangshandlungen sind meist alltägliche Verhaltensweisen, die immer wieder zwanghaft wiederholt werden.
Obwohl die Betroffenen ihr Handeln als übertrieben oder sinnlos erkennen, verspüren sie einen starken Drang, das zwanghafte Handeln auszuführen.
Zwangshandlungen sorgen kurzfristig tatsächlich für Erleichterung. Das ist auch der Grund, warum Betroffene immer wieder darauf zurückgreifen.
Leider sind Zwangshandlungen aber nicht sonderlich nachhaltig.
Das liegt daran, dass sie lediglich die Symptome, nicht aber die Ursache bekämpfen.
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So kommt es, dass Zwangshandlungen den Teufelskreis der Zwangsstörung aufrechthalten.
Für die Betroffenen wird die vermeintliche Lösung zum eigentlichen Problem.
Menschen mit einer Zwangsstörung sind unheimlich kreativ, was das Erfinden und Entwickeln von Zwangshandlungen angeht.
So ist es wenig verwunderlich, dass diese grundsätzlich jede erdenkliche Form annehmen können.
Grenzen werden höchstens durch die eigene Fantasie gesetzt.
Dennoch gibt es unter den Betroffenen eine hohe Übereinstimmung.
Diese Seite soll einen Überblick über die gängigsten Zwangshandlungen liefern.
Gut zu wissen: Nicht jeder Mensch, der eine der unten beschriebenen Verhaltensweisen aufweist, muss zwangsläufig eine Zwangsstörung haben.
Es gibt beispielsweise Menschen, die 3x täglich duschen, weil sie viel Sport machen, sich gerne frisch fühlen oder einfach nur Spass daran haben.
Der grosse Unterschied liegt darin, dass diese Menschen eine Wahlfreiheit haben.
Die Welt würde sich auch weiterdrehen, wenn sie an einem Tag nicht 3x duschen würden.
Menschen mit einer Zwangsstörung fühlen sich hingegen regelrecht getrieben, die Zwangshandlungen auszuführen.
Typische Zwangshandlungen
- Kontrollzwang: Mehrfaches Überprüfen von Ofen, Herd, Wasserhahn, Lichtschalter und/oder Türe vor dem Verlassen des Hauses, häufiges Kontrollieren von Gegenstände, ob sie noch da und nicht verloren gegangen sind, oder wiederholtes Lesen von selbst geschriebenen Texten, wie z.B.
 - Wiederholzwang: Handlungen, die in einer bestimmten Anzahl durchgeführt oder solange wiederholt werden müssen, bis sich beim Betroffenen ein Gefühl von "richtig" einstellt.
 - Sammelzwang: Dinge aufbewahren oder nicht entsorgen, Dinge in mehrfacher Ausführung anschaffen oder alle im Laden berührten Gegenstände kaufen, sind typische Handlungen in dieser Kategorie.
 - Rückversicherungszwang: Ein Betroffener, der sich rückversichert, ist auf der Suche nach absoluter Gewissheit. Gewissheit darüber, etwas nicht zu sein und/oder niemals sein zu können, etwas nicht getan und/oder niemals tun zu können.
 - Vermeidungszwang: Durch das Vermeiden von gewissen Menschen, Orten, Objekten oder Tätigkeiten soll das Auftreten von Zwangsgedanken und den damit verbundenen unangenehmen Gefühlen verhindert werden.
 - Neutralisationszwang: Hierbei versuchen die Betroffenen die Zwangsgedanken, die sich als aufdringliche Gedanken, Bilder oder Impulse präsentieren, zu ignorieren, wegzuschieben oder zu unterdrücken.
 - Zählzwang: Betroffene, die zählen, können grundsätzlich alles zählen, was in irgendeiner Form zählbar ist.
 - Mentales Checken: Statt einem Lichtschalter oder einer Türe werden einfach Gedanken, Gefühle oder Empfindungen überprüft.
 - Grübelzwang: Ergebnisloses Grübeln, resp. Grübeln ist eine sehr verbreitete Zwangshandlung bei Zwangsstörungen und kann nahezu alle Themengebiete affektieren.
 - Erinnerungszwang: Es geht darum, sich möglichst detailgetreu an alles erinnern zu können. Das können Situationen, Menschen, Orte, Unterhaltungen, Handlungen, Bücher, Artikel, etc. sein.
 - Beruhigungszwang: Hier gibt sich der Betroffene die Rückversicherung selbst, indem er ständig beruhigende Aussagen wiederholt. Das grenzt oftmals an eine ritualisierte Version von positiven Affirmationen.
 - Betzwang: Exzessives Beten kommt vor allem bei Menschen vor, deren Zwangsstörung das Themengebiet "Religion" betrifft.
 - Geständniszwang: So kann zum Beispiel ein Mann, der im Supermarkt eine attraktive Frau gesehen hat, seiner Partnerin zu Hause diesen Vorfall gestehen.
 - Waschzwang: Menschen mit einem Waschzwang „müssen“ ihren Körper und vor allem ihre Hände immer wieder exzessiv reinigen.
 
Ursachen von Zwangsstörungen
Die genauen Ursachen für Zwangsstörungen sind unbekannt.
Wahrscheinlich begünstigen sowohl genetische Faktoren wie auch Umweltfaktoren (insbesondere soziale Faktoren) die Entstehung der Erkrankung.
Zentrales und gemeinsames Merkmal einer Zwangsstörung ist die Motivation zu bestimmten Verhaltensweisen und Gedanken.
Daher liegt die Vermutung nahe, dass jene Hirnareale in ihrer Funktion eingeschränkt sind, die Motivation und Belohnung steuern.
Diese Steuerung wird von Strukturen in der Tiefe des Gehirns erfüllt, unter anderem den Basalganglien.
Experten vermuten als Ursache eine Kombination aus genetischen Faktoren, einer ängstlichen Persönlichkeit und einem traumatischen Erlebnis oder ungünstigen Erziehungsmethoden.
Bei Kindern tritt oft ein Waschzwang nach einem Todesfall in der Familie, nach Krankheit oder nach der Scheidung der Eltern auf.
Dann wird der Waschzwang zur Möglichkeit, das verlorene Gefühl der Sicherheit zurückzugewinnen.
Diagnose und Behandlung
Die Diagnose und Behandlung von Zwangsstörungen sollten durch erfahrene Psychiater erfolgen.
Kognitive Verhaltenstherapie
Die kognitive Verhaltenstherapie ist die Behandlung der Wahl.
Wie bei allen Zwangsstörungen empfehlen Experten die kognitive Verhaltenstherapie mit Konfrontationsübungen, bei denen der Patient mit seinen Ängsten konfrontiert wird.
Er bekommt beispielsweise die Aufgabe, möglichst viele Gegenstände zu berühren, ohne sich anschliessend die Hände zu waschen.
Diese Übungen sind für Betroffenen zunächst eine äusserst grosse Herausforderung.
Mit der Zeit lernen die Patienten allerdings, dass ihnen trotz dieses Kontakts mit Bakterien nichts Schlimmes passiert.
Die Angst wird dadurch langsam abgebaut.
Der Therapeut begleitet die Patienten bei ihrer Konfrontation, bis die Betroffenen in der Lage sind, die Übungen allein durchzuführen.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie kann dabei in schweren Fällen unterstützend wirken.
Zusätzlich werden in der Therapie von Zwangsstörungen Medikamente, etwa selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), eingesetzt.
Tiefe Hirnstimulation
Sprechen die Symptome nur unzureichend auf diese multimodale Therapie an, ist die Tiefenhirnstimulation (DBS) eine Behandlungsalternative.
Mehrere Studien haben den Effekt der Tiefen Hirnstimulation nachgewiesen.
Ähnlich wie bei anderen Erkrankungen, die mittels DBS behandelt werden können, gibt es verschiedene Zielpunkte im Gehirn, deren Stimulation zu einer Verbesserung der Zwangsstörungen führt.
Zu den gängigen Zielpunkten im Gehirn zählen der vordere Schenkel der Capsula interna (engl. anterior limb of the internal capsule, ALIC), der anteriore Teil des Nucleus subthalamicus sowie das ventrale Striatum.
Effekte der Tiefen Hirnstimulation
- Reduktion in der Häufigkeit der Zwangshandlungen
 - Verminderter Drang, eine Zwangshandlung auszuführen
 - Insgesamte Verbesserung der Lebensqualität
 
Mehrere Studien konnten die Sicherheit und den positiven Effekt der DBS bei Zwangsstörungen nachweisen *, *, *, *.
Die Ansprechrate von Patienten liegt über alle Studien hinweg bei 50-60 %, wobei im Mittel die Symptome um 40-60 % reduziert werden können.
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